insam und in ewiger Armut geht
unser Leben dahin. Wir schleppen uns dahin in harten Ketten. Immer
wieder
fließen die Wasser den Fluß hinab, unaufhörlich. Wir aber sehen zu und
sehen
die Bewegung. Zweige und Baumstämme gleiten vorbei. Ach, die Zweige
sind alle
entlaubt, die Stämme sind alt und vermodert. Keine Wohnstätte weit und
breit.
Jahrelang, ein Leben lang geht es so dahin, am Fluß entlang, am traurig
eintönig
murmelnden Fluß, in der breiten, stummen Ebene. Der Strom zieht
schweigend
dahin und sieht uns nicht. Geh du mit mir, du fremde Seele!
n
diesem grauen Gestade
begegnete ich dir, wo die Entbehrung lauert. Wo härteste Arbeit
erniedrigt,
täglich, stündlich. Ich suchte die Notwendigkeit. Ich blieb allein. Ich
sprach
kaum mit den Gefährten. Nur ab und zu hörte ich einen Ruf. Irgend einen
Warnruf, gewohnheitsmäßig ausgestoßen. Ich beachtete ihn nicht und ging
blindlings weiter. Ich suchte dich, ich
hoffte auf dich. Mich trieb die Kraft.
o
flattert die Sehnsucht umher.
Jede Einzelseele sucht und rastet nicht. Verborgen sind alle
Triebfedern, und
was wir beginnen, ist nur ein Hindeuten. — Ich will nichts von dir.
Die
Einsamkeit ist groß und schaurig und weitet die Seele. Fremd alles, was
ich
sehe. Abgewandt allem Menschlichen, gehe ich an trüben Gestaden
entlang. Geh du
mit mir, du fremde Seele!
ings
brütet das eisige, große
Schweigen. Es lastet auf den Gemütern. Kannst du es ertragen? Noch fand
ich
niemanden, der es ertrüge. Komm mit, es ist die Wahrheit. Ich will dir
zeigen,
was wenige sahen: die endlosen Scharen derer, die trübe dahinziehen am
fließenden Strom der Entwicklung. Sie kennen kein Ziel. Wer kennt es?
Es gibt
nur die Kraft, die von innen wirkt. Die Bewegung. Die Seele. — Wenn
die Müden
angelangt sind an einer Station, so jubeln sie auf und rasten. Aber
sie
wissen, bald drängt es sie weiter. Es ist nur eine kurze Pause.
Vielleicht
geht es denselben Weg wieder zurück. Und dann beginnt das Wandern
wieder von
neuem. So wickelt das Leben sich ab. Lichtblicke sucht jeder. Und jeder
strebt
dahin, wo die Freude winkt.
s
gibt ein Rad, ein ungeheures,
unerbittliches Rad, das dreht sich unaufhörlich, das Rad: Schicksal.
Über
einem Abgrund drehen sich die Speichen und sausend schwirrt der
Schwung. Die
Opfer fallen hinein, werden hineingedrängt und sinken zerstückelt unten
in den
Abgrund. Es hilft kein Versuch, es gibt keine Befreiung. Jeder weiß, es
nützt
kein Unterfangen. Ja, wer hinauszukommen versucht, der fällt um so
schneller
zum Opfer, ihn zermalmen noch früher die sausenden Speichen. So
erfüllt jeder
seine Linie, bis sein Leben endet. Nur einen Teil gibt er dazu her. Er
selbst
ist nur ein Teil. Nach ihm setzen andere die Linie fort. Und die Seele
steht
stumm und groß dabei und sieht zu, ohne sich zu rühren. Denn die Seele
ist
Kraft, also ein Teil jener Wut, die vernichtet. Das ist Geheimnis, sie
reißt
nieder und baut auf. Sie ist Opfer und Herr zugleich.
ie
Seele dürstet und sucht sich
zu vollenden und scheut keine Verschwendung und keine Opfer. Diese
große,
grausame Monotonie des Weltgeschehens erfüllt uns, die Einzelseelen,
mit
Staunen und Grauen. Wir sind von Nacht umgeben, aber wir fühlen
unsichtbare
Hände. Wir sind in der Stille, aber wir hören Stimmen. Ja, selbst oft
in ganz
unscheinbaren Sätzen, die nicht viel mehr als Tatsächlichkeiten
enthalten,
spüren wir den Glanz dieser großen, ganzen Seele suggestiv aus den
Worten. Das
Schlichte wird groß. Das Einfache wird kraftvoll. Das Ende scheint ein
Anfang.
Und nur uns erscheint der Sinn, der
hinter dem Ganzen steht, trostlos,
verzweiflungsvoll, einsam und kalt.
n dieser Weite
der seelischen
Räumlichkeit, in dieser Expansionskraft, der Fähigkeit, diese Weite zu
füllen,
spüren wir einen neuen Beginn. Wenn das Einzelschicksal ertrinkt, so
ist es
seine Pflicht, Opfer zu sein. Die Aufschreie, die wir vernehmen, die
Trauer,
die wir mitansehen, bleiben uns nicht fremd, aber sie erfüllen uns
nicht ganz.
Wir finden die Zeichen dieser Hand überall wieder, auf dem Antlitz, in
den
Zügen der Menschen, in den Büchern, in den Ereignissen.
n
diesem Zusammenhang begreift
sich das Menschen- schicksal. Die drohende Faust, die äußerlich
gewalthaberisch
die Menschen knechtet, die uns so spukhaft gräßlich erscheint, daß wir
oft
glauben, uns äffte nur der nüchtern-kalte Traum eines Pessimisten, ist
nur
äußere Macht. In uns selbst, die wir Teilerscheinungen sind, überträgt
sich
dieses Gesicht ins Lebenswahre, Innerlich-Wirkende. Das Leiden ist nur
eine Begleiterscheinung
des Geschehens und scheint symbolischen Wert zu bekommen. — Wir
glauben oft,
die Verzweiflung sei greifbar ins Sichtbare, Lebendige projiziert, wenn
ein
Unglück sich ereignet, ein Leiden beginnt. Und dennoch bleibt all dies
tief
unten. Oder besser, es befindet sich an irgend einem behiebigen Teil
einer
großen Linie, deren Kurven wir nicht überblicken.
ann
besinnen wir uns darauf,
daß dies Geschehen, das uns täglich in die tiefsten Regionen
hinabführt, uns
daran erinnert, immer wahr und wirklich zu sein. Das heißt, wir sollen
nicht
unsere Bequemlichkeit, unsere Gewohnheit, unsere Sentimentalität,
unsere
Hoffnung, unseren Haß, unsere Liebe, allzusehr zum Maßstab werden
lassen. Der
unendliche Luftraum umgibt uns. Er nimmt alles auf, die Flüche, die
Schreie,
die Bitten, und nach einer kurzen Strecke beginnt die Kälte und das
Schweigen.
Aber auch dieses noch ist Vorstellung, die noch nicht das Ende gibt.
Denn
innerhalb dieser Kälten fließen Wärmewellen. Durch das Schweigen tönen
Luftakkorde. Das Leiden ganzer Menschengruppen füllt nur wenig den
Luftraum.
Und die eingehende Darstellung dieses Leidens hat nur vorübergehenden
Einfluß.
Wir vergessen es.
enn
wir fühlen, wir alle sind
zusammengepfercht in diesen Höllenaufenthalt und mögen wir auch noch
so weit
entfernt sein, wir bleiben immer noch auf der Erde. Weit, weit entfernt
— tönt
ein Ruf. Aber immer noch auf diesem Stern — antwortet das Echo. Ja,
denken wir
uns eine noch viel raffiniertere Hölle aus, mit Qualen, Verzweiflungen
und noch
viel reuevolleren Fragen, gegen die alles, was wir kennen, klein und
unbedeutend
ist, wir würden dennoch einen Punkt ahnen, wo wir uns über diese
Schrecklichkeit stellen. Denn all dieses Leiden ist nur Eindruck,
Impression,
und der Schrei, der den Schmerz ankündigt, Reaktion. Dies aber hat mit
der
innersten, mit der im Menschen als der Teilerscheinung eines
universalen Organismus
wirkenden Kraft, den das Blut der Seele wie ein einheitlicher Strom
durchfließt, nichts zu tun. Diese wirkt von innen heraus. Ein
Samenkorn, das
aufbricht, den Erdboden lockert, emporstrebt, mag in seiner
umgewandelten
Folgeerscheinung, im Einzelnen gebrochen oder auch im Ganzen
vernichtet
werden. Mit diesem Einzelerleben geht das Seelische nicht unter. Darum
hängt
auch die Seele in ihren feierlichsten, erhabensten Stunden nicht an der
Einzelexistenz.
Ihr Leben ist ein Fluten, hin und her. Nicht einmal vorwärts und
rückwärts
könnte man die Richtung nennen, denn das wäre nur für uns giltiges
Bezeichnen.
Der Raum aber, in dem sie sich ganz auswirkt, ist so unendlich, wie
der
ungeheure Luftraum, der uns umgibt.In ihm lebt und atmet sie und strömt
durch
die Dinge, sie mit geheimnisvoller Kraft anfüllend, die sie von ihnen
zurückerhält,
anziehend, abstoßend, sich mischend, sich trennend, ewig ein Wechsel
in Ruhe
und Kampf, sich wiegend und träumend. Und nur uns erscheint diese
Notwendigkeit, diese Bedingtheit kalt, ehern, rücksichtslos und brutal.
Wir
gaben ihr diese Namen und nennen das Gegenteil milde, weich, liebend.
Aber auch
das wissen wir ja, daß dies nur Worte sind. Und feierlicher erscheint
uns die
Stunde, wo wir dies einsehen und bejahen, wo wir die Notwendigkeit
begrüßen, wo
die kleine Seele in uns sich befreit und den Weg zu der großen
Ganzheit
sucht, die keine Gesetze respektiert, weil sie wirkt, schafft, ist,
weil
sie
Erfüllung der Gesetzmäßigkeit ist, oberster Maßstab und Sinn aller
Dinge
zugleich und selbst da noch Kraft besitzt, wo sie unterliegt, indem
sie sich
über sich selbst setzt und sich dem Ganzen nähert, eins wird mit dem,
das sie
zuerst fürchten und hassen zu müssen meint.
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