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Leben der Seele

Gefährten

Ernst Schur


Gefährten
 
Ich bin unter Menschen. Unter Menschen allein.
Sie sind stumm. Sie reden Phrasen.
Sie reden wie Puppen.
Leer sind ihre Augen,
tot sind ihre Blicke.
Sie wissen nicht, was sie sind.
 
O weshalb redet ihr nicht, wie Menschen reden?
Auf leere Gaukelbilder hofft ihr
trügerisch wie spielende Farben
und starrt hinweg von euch nach fremden Bildern
und laßt eure Seele verschütten von dem Staub der
Tage.
 
Auf – laßt euer Blut erwachen!
Schürt die Flammen, die in euch ruhen,
die zur Stille gewiegt sind in der langen Eintönigkeit
der Tage.
Schürt die Flammen, daß ein heißer Hauch
sengend euren Lippen entströmt.
 
Ihr seid Menschen.
Ja – Lebensglut sengt.
Lebensglut schürt das Blut.
Daß es wallt, kocht und vorwärts stürmt
und drängt und überschwillt.
Ich will mich an euch versengen.
 
Aber ihr wartet immer und hofft
und laßt euch begraben unter euch selbst,
Totengräber eures Selbst.
Ihr selbst singt euch Leichenlieder,
Eure Reden klingen so überlegt wie die
 Grabrede eines Pastors.
 
Leer sind eure Blicke
und ihr redet, einer vor dem anderen, mit
Hinterhalt.
Träge arbeitet bei euch die komplizierte Maschine:
Herz,
jener seltsame Motor, jener urkräftige Muskel,
der immer das Blut treibt, ob ihr Kummer habt
oder euch freut.
 
Ihr geht, sitzt, schlaft, ihr lacht, ihr trauert,
Ihr steht am Sarge von Freunden,
und immer klopft das Herz und arbeitet
unentwegt und treu, diese rätselhafteste
Maschinerie.
 
Und immer, wenn ihr vor mir sitzt,
sehe ich dieses arbeitsame Herz vor mir:
Eine Reihe minutiöser Apparate,
die rastlos arbeiten, immerfort,
während ihr stumm vor mir sitzt.
Herz an Herz, Strom bei Strom
pulsierenden Blutes.
Wie präparierte Schaustücke in einem
anatomischen Museum.
 
Ich suche eure Augen – warum versteckt
ihr euch?
Ich will mit meinen Worten eindringen in eure
Ohren –
warum verstellt ihr euch?
Ihr zuckt die Achseln und lacht. Lacht nicht –
es wird euch gereuen.
Ich will zu euch reden.
Ich will zu euch reden, daß ihr aufmerkt.
 
Ich strebe hin zu euch. Fühlt ihr es nicht?
Wo ist euer Herz, ich will es betasten.
Hier, hier habt ihr mein Herz!
Nehmt es und tut damit nach eurem Gefallen.
Hier meine Hand, hier meine Lippen.
O gebt mir euer Herz, gebt mir eure Hände.
Gebt mir eure lebendigen Lippen!.
 
Ich will euch küssen. Nichts geht über die
Berührung lebendiger Lippen.
Meine Liebe gehört euch – o daß ihr
erwarmt!
Brust an Brust will ich bei euch sein und euch
in die Augen sehen.
Vielleicht wecke ich die Glut.
Vielleicht fangt ihr an zu stammeln.
Vielleicht redet ihr zu mir.
 
Es gehen viele Menschen über die Erde.
Horcht hin, was sie euch sagen.
 
Vielleicht glüht ihr dann wie ich. Wie ich zu
euch erglühe.
Bald ist die Zeit um,
dann fragt niemand nach euch,
und niemand will eure Sehnsucht.
Dann müßt ihr stumm sein.
 
Aber jetzt, jetzt noch
Redet, lacht.
Glüht, liebt, jetzt seid ihr noch Menschen.
Ihr seid, seid, seid!
Begreift ihr, was das heißt: Sein.
Sein! Sein! Faßlich und unangreifbar.
(Wie lange noch – ja: Aber in diesem Moment
unvertilgbar, unleugbar.)
 
Es tönt eine Glocke über das Weltenall.
Ihr Ton schwillt – ihr hört sie wohl.
Nein – verstopft nicht eure Ohren!
Auf, verschlingt ihren Ton,
Schlürft ihn ein wie eine Süßigkeit, wie seltene
Mannaspeise.
Der Glocke Ton schwillt über die Erde.
Sie singt und klingt, was euer Herz will,
im Einklang mit euch, was euer Herz sich
ersehnt.
 
Ihr aber denkt nur: wir hörens wohl.
Und nickt dann mit den Köpfen.
Sei stille, mein Herz – sagt ihr zu euch.
Nein – seid nicht stille.
Der Ton wartet auf euch. Er will einziehen
in eure Seele.
 
Mitklingen sollt ihr, ihr sollt mitbrausen.
Im All ein schwellender Orgelton!
Hier, glüh an meine Seele.
Ihr seid es, ihr seid es, so ruft die Glocke.
Rottet euch zusammen, wir stürmen die Gipfel.
Trunken stürmen wir hinauf, wo die Sonne lacht.
Sie übergießt euch mit Glanz.
Befiehlt wie die Erde sei – sie ist es.
Befiehlt, daß alle Dinge nach eurem Sinne leben,
und sie leben nach eurem Sinn.
 
Nichts steht euch im Wege! Nur ihr selbst.
Es wartet alles auf euch, greift lachend zu und
packt an
in jubelnder Werdemacht, sorglos, frei und ohne
Grübeln.
O nehmt meine Hände – ihr seid es, ihr seid es!
 
Dann, ja dann –
dann sinken wir zusammen ins Dunkle,
zusammen ziehen wir ein in die stumme Nacht,
ziehen zusammen die starre Straße, wo es kein
Umschauen gibt,
Zusammen stürzen wir in das gähnende Grab
Vergessenheit,
das alles Lebende verschlingt.
 
Darum liebe ich euch, weil wir Gefährten sind.
Ich habe Vertrauen zu euch, weil ich zu euch
gehöre.
Millionen Stunden und mehr werden noch
hinziehen,
Nichts gleicht der Stunde, als wir uns trafen
 und fühlten,
Was jetzt nicht wird, entsteht, wächst,
 verloren ist es,
Nie kommt es wieder.
 
Was kümmern euch die Andern?
Sorgt für euch, so wird für alle gesorgt sein.
Sie werden kommen nach euch und werden
eure Spuren suchen.
Sie werden fragen und werden sich wundern:
Was taten sie? Was trieben sie?
Waren es Menschen? Glückselig und ganz?
 
Lebende seid ihr, allesamt, Herrscher!
Wir leiden dasselbe, wir jubeln über dasselbe,
Wir haben die gleiche Sehnsucht und gleiche
Trauer.
Hier meine Hand.
Hier mein Herz,
Hier meine Lippen.
Nur euch liebe ich, die ihr meine Gefährten seid.
Verschwindende Augenblicke in einer ruhelosen
Ewigkeit.
Wie ich.
 
Zusammen mit euch sinke ich ins Dunkle,
Zusammen mit euch ziehe ich ein in die stille
Nacht.
Zusammen mit euch gehe ich die starre Straße,
     wo es kein Umschauen gibt.
Zusammen mit euch verliere ich die Spuren,
stürze taumelnd mit euch hinab in das gähnende
Grab: Vergessenheit,
das alles Lebendige verschlingt.
Einen seligen Gruß auf den Lippen.

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