em tieferen, vorurteilslosen Blick
erscheint unsere
Zeit — ein Ausschnitt aus der Unendlichkeit — als eine Zeit der
vielfältigsten
Möglichkeiten. — Wenn wir in schwachen Stunden an ihr zu verzweifeln
beginnen
und sehnsüchtig nach einer Vollendung ausschauen, das Hin und Her der
Unruhen,
unter dessen Mantel sich die Entwicklung von den meisten unerkannt
verbirgt,
uns zu chaotisch dünkt, so vergessen wir nur zu leicht, daß es unsere
Unfähigkeit ist, die uns schwach, untauglich macht. Wir vermögen nicht
das
Große hinter all dem Einzelnen zu sehen. Wir gleichen den Gefangenen,
die nicht
über die Mauern ihres Kerkers hinwegsehen können. — Wir treten nicht
weit genug
zurück, um den Überblick zu haben, den die Aussicht zu den Fernen gibt.
ir legen unser kleines Ich
dem
Streben der Gesamtheit unter. Wir wollen nicht warten, wir wollen
nicht
hoffen. Wir wollen dem Anderen, dem Vertrauen nichts lassen. Die
Vorwürfe, die
wir gegen die Gesellschaft zu richten wähnen, sind nur Schreie, die
unsere
eigene Ohnmacht dokumentieren, die unfähig ist, dem gewaltigen Strom,
der
immer über uns hinwegbrausen will, standzuhalten. —
Wir
glauben eine Z e r-
s p
l i t t e r u n g wahrzunehmen, wo eine M a c h t gegen uns anstürmt,
die uns
zu zersplittern droht. Und wir meinen, die Ohnmacht läge außer uns, wo
sie in
uns ist. Sie liegt tief in uns begründet und erklärt sie durch den
falschen
Standpunkt, den wir uns im Ganzen anweisen. Welchen Standpunkt wir
fernerhin
gewinnen, das kennzeichnet unsere Entwicklung.
eist
bringt das Alter diesem
Körperlichen, diesem Kampf der Organe in mir, die die Außenwelt zu
erfassen, zu
bewältigen, zu zwingen suchen, vielleicht dem Zielstreben in ihr sich
anzufügen suchen, um so dem Weltganzen innigst gesellt Geheimnisse
abzulauschen, wie zwei Lebende sich Geheimnisse ablauschen und
Zwiesprache
austauschen, selbst wenn sie noch schweigen, den Stillstand. Wer alt
wird, wer
zur Ruhe strebt, beginnt bald, die Außenwelt, die Gegenwart, seine Zeit
— den
kleinen Abschnitt der Unendlichkeit, innerhalb dessen sich die Seele
des
Einzelnen zurechtzufinden hat —der Ruhelosigkeit, des haltlosen,
zielunsicheren
Hin und Her, der grotesken Bilderflucht von unzuverlässigen
Eindrücken, der
keine vernünftige Idee mehr zugrunde läge, zu zeihen, und indem er
sich selbst
so nachdrücklich aus der Liste derer, die den Willen haben, zu
verstehen und
Einblicke zu gewinnen suchen, streicht, schwemmt ihn eine Sturzwelle
dieser
großen Flut bald hinweg. Vorwürfe und Grollen übertönt das Rollen der
Flut, sie
alle werden überhört. Denn das ist das Kennzeichen: Über den Einzelnen
hinweg
fließt und schäumt aufspritzend der Strom der Zeit. — Früher gab es nur
menschlich körperliche Mächte, Einzelne gegeneinander sich
aufrichtend, denen
vielleicht die Massen dienten, sich fügten. Wir aber beginnen zu
ahnen, daß es
noch eine andere Macht gibt, die Macht, die über dem Einzelnen steht,
sie
selbst zwingt. Es ist dies keine fatalistische Ahnung. Vielmehr liegt
in
dieser Erkenntnis das sehr deutliche Bewußtsein von dem sozialen
Zusammenhang,
dem In-Einander-Leben aller wirkenden Faktoren, deren Ausdruck diese
neue,
ausgleichende Kraft ist.
s ist eine der erhebendsten
Empfindungen, mit der die Seele der Gegenwart dem Wirken der Zeit —
diesem ge- ringen Ausschnitt der Unendlichkeit —
gegenüberzutreten allmählich
fähig
wird: das Gefühl dieses instinktiven Drängens nach einem Ziel, das
ungekannt
ist. Mit dieser Möglichkeit wächst die Seele, sie spürt ein expansives
Drängen. — Schön und erhaben ist die Beobachtung , die uns die
Entwicklung
lehrt, der wir uns beugen: daß der Einzelne vor diesem Thron nicht
viel mehr
gilt als nichts. — Macht der Einzelne sich dienstbar dieser Macht, so
wird er
aufgenommen in die unsichtbare Gemeinschaft derer, die dem gleichen
Ziel
nachstreben. Weigert er die Heerfolge, so übersieht man ihn bald. Er
ist bald
vergessen. — Und ehe eines Tages Frist noch vergangen ist, befindet
sich der
Weg der Entwicklung weitab von ihm. Sie nimmt ihren Gang ohne ihn, sie
braucht
ihn nicht.
nd
bald ist die Zeit so
unnachsichtlich verstrichen, daß er fern steht von allem Wirklichen. Er
vernimmt nur noch von weitem ein Brausen. Dort fließt und rauscht
schäumend der
Strom. Aber hier, bei ihm und um ihn, wird es einsam und stille. Er
steht für
sich. Lautlos breiten sich um ihn die Horizonte. Lautlos, beinahe tot
gähnt
ringsum: Einsamkeit. — Und höchstens baut sich der Einsiedler noch ein
einsames Glück, seltsam-groteske Bilderscheinungen, an denen er und
die, die
gleich irrgegangen sind wie er, sich freuen. Ist er einsichtsvoll, mit
dem
Sinn für Tiefen begabt, so versenkt er sich in sich selbst und lauscht
der
erhaben unendlichen Stille, die ihn umfängt.
enn
alle Instinkte jung und
stark und alle Sinne wach sind, dann fühlen wir die Einheit der
Entwicklung so
greifbar deutlich, daß nichts fähig ist, kein Widerspruch, kein
Unglück, keine
Zwietracht, uns von dieser Einsicht in das Weltgetriebe abzubringen.
Es lockt
uns dann, dem taktmäßigen, ewig unruhevollem Schlag der Wellen zu
lauschen,
den urewigen Klängen, die die Welt durchströmen und deren Rhythmus wir
in der
Stille vernehmen, wie wir den Pulsschlag in uns selbst spüren,
nachzuhängen.
Es lockt uns auch, diesem Strom uns machtvoll entgegenzustellen. Wir
freuen
uns daran, wie machtvoll er schäumt. Nur die Zaghaften, nur die
Kleinen, nur
die Schwachen und Besorgten, nur die, die ohne Zusammenhang in sich
selbst,
ohne Zusammenhang mit dem Größeren, das sie umgibt, sind, halten sich
fern und
werden, geraten sie dennoch in den Strudel, hinweggeschwemmt wie
losgerissene
Äste eines schwachen Baumes. Sie taumeln dahin, überstürzt von den
Wellen. Sie
gehen unter oder sie retten sich beiseite. Ihre Rufe verhallen.
nd
dann kommt schließlich,
allmächtig, alldrängend, das Gefühl der Sehnsucht, sich diesem Neuen
ganz
hinzugeben, diesem Wirkenden, das Kraft ist, blind zu folgen,
machtvoll als
ganze Persönlichkeit sich von diesen Wellen tragen zu lassen. Ein
Schwimmer,
der mit mutigen Armen das Wasser teilt, ist ein gutes Bild für dieses
Mühen und
Ausruhen, diese Arbeit und dieses lässige Getragenwerden. — Ein
Jauchzen weitet
die Seele. Mit dem Gefühl tiefsten Vertrauens segeln die Menschen immer
wieder
in dieses Unbekannte. Immer wieder fallen die Opfer. Immer wieder
treten Neue
ein. Welcher Drang leitet sie? Berauschend ist die Rücksichtslosigkeit
ihrer
Hingabe. Sind sie überzeugt, das Ziel zu finden? Ist es nur Drang, nur
Kraft,
die sie leitet ? Sind sie Natur, die wirkt, wird, stirbt?
ntwicklung
heißt dieser
Siegeszug, dem die Menschen sich opfern. Inferne, fernste Kreise werden
sie
hineingerissen und sie wissen nicht, wem sie dienen. Und gerade wenn
sie
trunken sind vor Lebensfülle, fühlen sie diese Wellen um sich wogen und
fühlen
ihr Blut im Takt mit dieser Melodie pochen. Trage mich hinweg, dir will
ich
mich opfern, so ruft die Stimme des wilden Blutes in uns. — Und auf der
Höhe
dieser fruchtbaren Erkenntnis formt der Künstler seine ehernen Werke,
benutzt
Wort, Stein, Ton, Farbe, um von diesem innewohnenden Geist ein Teilchen
zu
erschaffen und seiner Dichtung, seinen Statuen, seinen Bildern und
seinen
Musikschöpfungen davon zu geben.
mmer
wieder stellt die Zeit —
dieser kleine Ausschnitt aus der Unendlichkeit — diese Forderungen an
den
Einzelnen und wir verknöchern, wenn wir diese Rufe überhören. In diesem
Feuer der
Prüfungen werden die Seelen wachgeglüht und entfalten sich immer
strahlender,
mächtiger und lebenstüchtiger. — Wir haben uns zu sehr gewöhnt, den
Ablauf des
Geschehens, dessen kleinen Teil, den wir begreifen und wissen, wir
Geschichte
nennen, zu sehr vom Standpunkte des Einzelnen, dessen Wohl und Wehe
uns um
einer Laune willen schätzbarer scheint, als wir vor uns wachend
rechtfertigen
können, aufzufassen. Das Leben des Einzelnen ist eine Reihe von
Hoffnungen und
Enttäuschungen und Verzweiflungen. Wir sollen es vergessen. Wir sollen
hinauskommen
über die engen Kreise. Es gruppiert sich im Leben des Einzelnen, so
lange er
noch in Fesseln liegt, alles um das Eine: Wie der Einzelne sich zum
Ganzen
stellt, ob er aufjauchzt, ob er klagt, ob er nörgelt, ob er
unterliegt. So
zerfällt immer wieder die große Macht der Ereignisse und der Strom wird
immer
wieder eingedämmt. Da aber unser Widerstand zu schwach ist, bricht der
Ansturm
unser Wehren und dann klagen wir an und bedauern. Und so häufen sich
die
Wirrnisse. — Die
Macht der Ereignisse bedienen sich des Einzelnen nur als
Mittel, sie berücksichtigen ihn nicht. Tritt der Einzelne in den
Vordergrund,
so zerfällt immer wieder die Macht der Ereignisse in zusammenhangslose
Einzelerlebnisse: Trübungen, Hoffnungen, Freuden des Einzellebens.
reten
wir aber hinaus in die umfassenderen Kreise der seelisch-organischen
Zusammenhänge, so sind wir von den Fesseln des Individualwillens
befreit. In diesem Zusammenschluß knüpft das Ganze an das Einzelne an.
Entwicklung des Ganzen ist nichts anderes als Kräfteentfaltung des
Einzelnen,
der hinstrebt in umfassendere Bahnen, sich nicht auf sich
seelisch-organischen Zusammenselbst beschränkt. Denn der Einzelne muß
wissen,
daß nicht sein Leben und sein Werden an sich von Wert ist, sondern nur
im
Hinblick auf die Notwendigkeit, die im Ganzen sich offenbart, Bedeutung
gewinnt. Nur der eherne Gang der Entwicklung gibt dem Leben des
Einzelnen, der
Teil ist, Sinn. Tod ist Erwachen. Das höhere Bewußtwerden, das tiefere
Versinken
hebt erst an, wenn die Fesseln der engeren Begrenzung gesprengt sind.
Dann
aber, wenn Freiland gewonnen ist, beginnt nach dem Tod die
Auferstehung, die
Auferstehung der Seele. Denn sie, die im Einzelnen und bei seinen
Gelüsten
geknechtet war, reckt sich nun jugendlich stark auf, sie erstarkt an
dem
unendlichen Blick über die unbegrenzten Lande. Und sie, die erst
schüchtern
dahinvegetierte, gewinnt die Kraft, Ziele zu setzen, neue Bahnen zu
gewinnen.
Gerade im Kampf erwacht ihr Bewußtsein. Indem sie sich dem Ganzen
anschließt,
wird sie erst zu dem, was in ihr liegt. Und indem sie, die Seele des
Einzelnen,
scheinbar unterliegt, blickt sie zum erstenmal schüchtern mit
erstauntem
Blick um sich und sieht die Natur in ihrem Werdeschmuck, Blumen, die
sich
erschließen auf grünenden Wiesen, den blauen Himmel darüber und hoch
droben
weiße Wolken, die selig dahinschweben, wie strahlende Riesenvögel.
Gespannt
lauschend, vernimmt sie den Rhythmus der Natur und sie begreift,
daß
dieser Takt der gleiche ist, der in ihr lebt.
Indem
sie aufatmet, wird sie ein T
eil der
Natur,
ein Teil des Ganzen. Der Tod
ist
nur ein Erwachen. Von nun
hält
ein unsichtbarer Freund
die
Schwankende , die
nun
erst ihr Leben
beginnt.
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