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Viertes Kapitel

Leben der Seele

Ernst Schur
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ie tief umfängt mich oft die Dunkelheit! Seltsamer
leuchten die Abgründe. Und während ich stumm in der Ecke liege, nicht lebendiger als ein Totkranker, der mit stieren Augen vor sich hin sieht, der fühlt, wie eine graue Hand nach ihm tastet und verhüllende Schleier sein Gesicht zu umwallen beginnen, öffnet sich eine verborgene Tür, durch die ich hineingeführt wer­de in ein hohes Zellengemach. Die Decke ist blau. Sterne funkeln an der Wölbung. In der Mitte springt silbern ein Brunnen und tausend Ströme fließen in das leuchtende Be­cken zusammen. Dies ist der Quell und der Born der Seele. Eine Umdeutung von Geschautem in Sichtbares. Und wäh­rend in mir rastlos wie in einem Kessel das Werden bro­delt, das mich knechtet, so daß die Fieberstunde der Entwick­lung, die Fieberstunde der Geburt, die über mich hinweht, mich schüttelt und alles eigene Denken lähmt, sehe ich zugleich in diesem fernen, prächtigen Bilde den Abglanz meines Geschehens. Furchtbare Zuckungen — star­res Daliegen, als nahte der Tod — rasender Tau­mel.

in erfrischender Hauch weht über die heiße Stunde hin, er befreit die Qualen. Wie wenn Nebel aufsteigen über weites Land, so befreit sich das Dunkle von mir selbst. Und mit einem entzückten Aufruf erwache ich endlich zu dem höheren Bewußtsein, für das es keine Qual mehr gibt. Ich bin erwacht, und silbern leuchten um mich die Glanzspiegel, die mich nicht mehr blenden. Tief drunten aber rauscht das Gesche­hen, und gebändigt lehne ich an der Mar­morsäule und lau­sche den fallenden, immerfort fallenden Strömen der Unendlichkeit


ch möchte die Lippen auf dich pressen, du ferne Seele Ingrimmig würgt in mir die Sehnsucht. — Kommt herbei, ihr Seelen, die ihr sucht wie ich, wir legen die Hände ineinander. Qualvoll drängt in uns das innerlich tobende Leben und die Ver­zweiflung würgt alle Freude. Kein Wort dringt aus dem Mun­de, und die düsteren Augen warten  . . . So viel ist noch ungeklärt, so viel ist unentschieden. Wo ist das Ziel? Wo ist die Erlösung? Ich trete vor in die vorderste Reihe, ihr folgt mir. Es ist bald die Zeit, dann werden wir sagen können, was wir fühlten und deuten kön­nen, warum wir litten. Noch einen Augenblick Schweigen. Tiefes Schweigen befreit und beruhigt, gibt Waffen in die Hand. — Sagen zu können, was ich fühle, sagen zu können, was ihr alle fühlt, ist meine Aufgabe. Ihr redet durch mich. Hier gibt es kein Leiden mehr.Wo es noch Leiden gibt, da herrscht noch die Gegenwart und ihre klei­nen Gewalten. Hindurch, folgt mir nach, ins Freie, in die Unendlichkeit! — Da schwebe ich mit euch im Raume. Das Su­chen wird zum Singen. Und wäh­rend ihr mich drängtet, von euch zu reden und mich in den Vordergrund stelltet, will ich jetzt schweigen. Denn seht, hört: jetzt rauscht der Raum um euch, die Freiheit. — Um diesen Preis drückte die Fessel nicht zu schwer. Nach Befreiung lechzte die Seele. Alle die inneren Gefühle, Gesich­te, Gedanken, die die Sinne bedrückten, werden leuchtende Ster­ne, die sich loslösen von uns und im Eigenleben kreisen. Ihr Druck lastete schwer auf der Seele. Nun schweben sie dahin, sie sind frei, und ihr blickt ihnen dankbar nach. Hinaus, ins Freie — wie dunkel leuchtet das herrliche Blau der Nacht, die unendlich um euch rauscht!


Hört hin, hier hört ihr von großen und ehernen Aufgaben, die eu­rer noch warten. Hier erfahrt ihr, was ihr noch nicht wißt. Ein Land der Hoffnung und ein Land der Sehnsucht, das euch seine Früch­te entgegenstreckt. Ihr werdet es kennen. Ihr wer­det davon erzählen. Ein höheres Muß leitet euch, die ihr euch an die Spitze stellen müßt. Ein stolze­rer Wert ist in euch, als in den schwächlich greisen­haften, verkünstelten Europäern, die die Kunst zum jonglierenden Spiel erniedrigen. Und während der Name der „Europäer" Dunkelheit bringt und der Verachtung an heimfällt, werdet ihr dafür sorgen, daß das Land, dessen Einwoh­ner ihr seid, mit Achtung und Liebe genannt wird. Euer Können um­faßt mehr als die Kunst. Es ist ein Muß darin, das der Notwen­digkeit dient. Ich möchte die Lippen auf euch pressen, ihr fernen Seelen!



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