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Zweites Kapitel

Leben der Seele

Ernst Schur
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ämmerzeiten des Werdens! . . . . .

Wenn die Seele sich zum ersten Male weitet, sich ihrer wachsenden Kraft bewußt wird, sich hinausringt aus dem Dun­kel und dem Dämmer des Werdens und dem trüben, grauen Schein und mit allen Organen ins Sichtbare, in klare Regionen strebt! Sie betätigt sich als Kraft und dann beginnen von nun ab andere Regungen den Sinn zu lenken und in dem Kampf ge­gen das Widerstrebende, Bedrückende kommen hier mehr Dinge zur Sprache, als anderswo — Dinge, die sonst vielleicht schweigen.

iel lebhafter wirbelt alles durcheinander. Empfinden und Denken werfen alle Fesseln ab. Die krassesten Gegensätze be­fehden sich wütend. Es siedet der eifervolle Wille. — Und in diesem gesteigerten Kampf der Seele um ihr Dasein werden alle Kräfte frei. — Immer drängender steigt die Entwicklung hoch, die sich nicht mehr unterdrücken läßt. Immer rück­sichtsloser und wütender pocht der Wille an die Pforte der Sehnsucht. Und was wartend draußen steht, begehrt Einlaß.

a fühlen wir plötzlich — und schon ermattet unser Widerstand — wie sehr unser Wesen sich schon begrenzt hatte, wie schnell noch in letzter Stunde beinah die Fesseln gelockert werden, wie sehr wir uns schon auf Formeln hatten bringen lassen. — Sklaven des Nutzens, des Verstandes, der Überle­gung verabscheuten wir die innerst-treibende Notwendigkeit, deren grandioser Zwang uns nun entzückt und berauscht. Wir fürchteten sie und meinten, wir könnten sie umgehen.

u kannst sie nicht umgehen! Wenn du ein Mensch bist, ein Mensch werden willst, mußt du dieser Sphinx ins Antlitz bli­cken. Fürchte sie, wenn du nicht anders kannst. Aber mache fernerhin nicht den Versuch, dich vor ihr zu ducken und um sie herumzuschleichen.

nter Tänzeln und Jonglieren verbergen wir diese Feigheit und verbrämen diese Maske. Der kleinlichste Egoismus steckt dahinter, der sich selbst nur genießen will, aber sich scheut, mit dem Eigenen zu zahlen. Meist ist allerdings auch Eigenes nicht vorhanden. Genußsucht, Egoismus ist meist eine Folge innerer Leere. Wer nicht weiß, welchem Sinn er dient, womit er sein Dasein ausfüllt, der setzt sich in die Nähe der Bequem­lichkeit, der Göttin, die er liebt und anbetet und ergibt sich ei­nem Wandel, von dem er hofft, er werde ihn hinwegtäuschen über die Leere. — (Wie sehr ist unsere Kunst Ausfluß dieses Hinwegtäuschenwollens,  ein Spiel mit Formeln, ein Ducken vor den großen Notwendigkeiten, ein Tanzen vor vollen Bäu­chen, die verdauen wollen und Ha-remsgelüsten und Harems­sehnsuchten frönen!)

er starke Mensch ist immer wachsend , werdend, sich wandelnd. Er ist groß und frei und rücksichtslos; muß es sein, auch brutal. Er steht im Freien, in freier Natur. Stürme wehen um ihn. Und er scheut nicht die Abgründe menschlicher Tiefen.

er schwache Mensch will überall Erklärungen und es dauert auch nicht lange, so weiß er sie. Er sucht und fahndet danach. Er fühlt sich immer als Vertreter einer geprägten Kultur, deren Sinn in fertigen, abgerundeten, daher kleinen Arbeiten aus sich heraus­zustellen seine Aufgabe ist. Lehrlinge, die meinen, eines Tages bei zunehmendem Alter Meister geworden zu sein und nun den Kommenden Lehren vorpredigen zu dürfen. Sie mer­ken gar nicht, daß dies das Ende wäre. Und wahrlich, sie mei­nen ja auch, ihre Zeit wäre am Ende und wäre die allerweises­te. — So gräbt der schwache Mensch — der die Gegenwart meistert —dem Unerklärbaren den Boden ab, so drängt er es allmählich aus der Welt heraus. Aber der Sinn der Seele ist nicht das Ende, sondern: wachsende, unaufhörlich schwellen­de Energie.

ir können, wenn wir bewußt arbeiten wollen, weiter nichts tun, als die Irrtümer und Bequemlichkeiten des Lebens, die uns aus früheren Zeiten überkommen sind, beseitigen. Die Grenze aber des Unerklärbaren, das wir nie beseitigen können, wird nur um so tiefer verlegt. Wir übersehen es nur und mei­nen, es damit getötet zu haben. — Aber in jeder neu erwachen­den Kraft braust immer wieder von neuem der aufgeregte, chaotische Strudel der Möglichkeiten. Und jede neue Seele muß in ihrer Emanation Hemmungen beseitigen, gegen Wirr­nisse ankämpfen, ehe sie daran denken kann, sich ruhig auszu­leben. — Der tiefblickende Betrachter des Weltlaufs und der Entwicklung sieht immerfort rings um sich ein brandendes, wogendes Meer, aus dessen tosendem Gischt Millionen Arme sich emporrecken, während die Fluten unaufhörlich ineinan­der brausen. Und sein Ohr hört Schreie, die niemand sonst vernimmt. Sie ertönen wild und orgiastisch wie Mövenschreie über spritzenden Wellen. Sie ertönen gellend und seltsam und oft tierisch. Und noch immer tobt dem Seher, der das Innerste aller Dinge zu schauen sich bemüht, in der Welt ein Kampf mit dunklen, unerklärbaren Mächten, der mit verbissenen Zähnen unentwegt geführt wird, wie in den frühen antiken Tragödien, in denen der Wille sich auf sich selbst besinnt und zu rasen be­ginnt. Heute noch wilder als ehemals. Denn damals thronte oben eine Götterwelt und über ihnen ein Schicksal, in dem alle unentwirrbaren Fäden wie in einen urweltlichen Mutterschoß zusammenliefen. Heute aber — —! Und so führt der Weg heute die Pioniere dieses Urwaldes meist in dunkle, täuschende Ver­stecke, wo ein Ungeheuer lauert, das ihnen furchtbar und un­entrinnbar entgegengrinst.

o die Fluten brausen, erfaßt der Strudel die Versinkenden und führt mit ihnen, ehe er sie in den Abgrund schleudert, ein tolles, groteskes Spiel auf. In diesem Tanz ersticken die Schreie der Opfer. Und über den Fluten liegt ein fahler, bleigrauer Schimmer, ein gelblich düsteres Wolkenlicht, das das Weltall erfüllt. Es ist der Dämmerschein der Werdezeiten, der nie weicht . . . . .





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