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Gedächtnisbuch

Ernst Schur

Stimmungen



Herbstabend

Wenn die Sonne sinkt und die Dämmerung sich breitet, dann hören die Bäume auf zu rauschen, die Büsche flüstern nicht mehr, der Wind ermahnt die Welle, sich schlafen zu legen, und der Fluß liegt still und glatt da und plätschert nicht mehr von Stein zu Stein. Alles will ruhen und zieht sich zurück und die ganze Natur sieht mit einemmal, obgleich sie dieselbe ist wie früher, ganz anders aus. Nur die Nachteule macht sich zurecht und rüstet sich zu ihrem Dienst; denn da sie in der Nacht sieht, ist sie bestellt, im Dunkeln zu wachen und so paßt sie auf, das die Glühwürmchen alle ihr Licht anzünden. Ein leiser Nebel steigt auf und im Nebel nahen Gestalten, unsicher zu erkennen. Und wie sie nahen im langsamen Schweben, hört der leise säuselnde Wind ihre Worte:
 
„Die Dämmerungsfeen sind wir und mit uns kommen die Schleierfrauen. Wir ruhten im Verborgenen und schliefen, wo uns niemand sah, in den Furchen der Äcker, unter den Zweigen bei den Wurzeln der Bäume. Wenn die Sonne sinkt, erwachen wir, steigen wir auf aus unserer Ruhe und schweben. Wir tragen ein graues Kleid und lang schleppt unser Gewand. Die Menschen fürchten uns, weil wir alles verhüllen und undeutlich erscheinen lassen. Wenn sie uns schweben sehen, wissen sie nicht, wer wir sind. Wir locken sie hinweg; wir locken sie dahin, wo keine Spur mehr zu erkennen ist. Wir bringen die grauen Schleier und die verhüllenden Tücher, die hängen wir den Zweigen, den Büschen und den Bäumen um. Die warten schon darauf. Denn zur Dämmerung wird es kühl und sie zittern schon ein wenig. Und in den Zweigen betten wir die Nebelkinder, die kleinen, zur Ruhe, da liegen sie behütet und geschützt und der schlanke Zweig ist ihre Wiege und nichts wagt mehr, sich zu rühren. Wenn eines ängstlich ist, holen wir ein Glühwürmchen, das muß die Nacht über ihm zur Seite wachen und leuchten.“

„Weiter, Schwester, weiter.“
 
„Sieh’, wie sind die Wälder so schön sie werden so schweigend und eine melancholische Schönheit ist ihr Kleid.“
 
„Die Kiefern, die ernsten, stehen wie träumend hochgereckt und zeigen die edle Schlankheit ihres Wuchses.“
 
„Das Licht der scheidenden Sonne fällt vielleicht noch an ihre Stämme, so daß sie glänzen und glühen. Und weich und breit schweben oben die Wipfel hoch in den Lüften, dunkel und mattgrün getönt.“
 
„Dazwischen stehen die Birken, unsere zartesten Freunde: sie erzittern leise, wenn wir kommen; denn sie kennen unser Flüstern. Mit ihrem hellen, grünen Schleierhaar der Zweige, kosen sie uns¸das hängt so leicht, so traumhaft und im Wind bewegt es sich und flattert wie das leichte Haar eines fliehenden Mädchens.“
 
„Nur selten stehen noch Silberpappeln dazwischen, hingesetzt am Rand des Kiefernwaldes sie schlummern so schön wie mattes Silber. Und es kommt vor, daß die Tannen schon die jungen hellen Triebe zeigen, sie sind wie Kerzen aufgesteckt, sie leuchten uns auf den Weg.“
 
„Aber wir vergessen auch das Kleinste nicht, und gerade die kleinen, unansehnlichen Bäumchen, die nicht recht vorwärts kommen, die behüten wir besonders. Sie stehen bescheiden zur Seite, aber wir sehen sie doch. Wir sprechen freundlich zu ihnen und sie sehen uns glücklich an.“
 
„Und seht ihr, so ist es vielleicht auch mit den Menschen. Manchmal denken sich die Menschen, wenn sie nur flüchtig zusehen: hu, das ist garstig, oder wie langweilig ist das Kind¸aber vielleicht kann es nur nicht so zeigen, was es fühlt, und es tut ihm vielleicht selbst leid, und so wird es  immer verschlossener. Aber es bedarf vielleicht nur ein bißchen Freundschaft und Liebe. Was mit diesen Augen betrachtet wird, gewinnt ein eigentümliches Leben und belohnt uns selbst wieder durch seinen neuen Reichtum, den es nun zeigt. Ja, gerade solche verschlossene, bescheidene, stille Naturen bergen oft ungeahnte Schätze und sie haben oft eine unbegrenzte Fähigkeit, zu beglücken. Man muß nur verstehen, sie zu wecken, denn oft sind sie so fremd und fern, daß sie nicht einmal glauben wollen, daß die Welt ihre Liebe braucht.“

So sprachen sie miteinander und erfüllten die Räume mit ihrem sanften Flüstern und schwebten von Baum zu Baum und lauschten an jedem und stellten sich zu ihm und horchten, ob er ihnen etwas zu sagen hatte, eine Bitte oder eine Frage. Dann gingen sie weiter, ihr Reich war unendlich. Ganz hinten aber nahte schon der Abend, dem sie den Weg zu bereiten hatten, damit er alles in Ruhe und Schlaf vorfand.
 
Da ermahnten sie sich zur Eile:
 
„Weiter, Schwester, weiter!“ Der Mond kommt. Wir haben noch einen weiten Weg. Noch müssen wir zur Sonne und ihr ihr Bett bereiten. Ehe sie ganz sinkt, hüllen wir sie noch in unsere Schleier, und erst am Morgen legen wir uns zur Ruhe.“
 
Und wie der Zug vorübergeschwebt war, kam dahinter ein ernster Mann, blieb wie zögernd stehen und deutete mit der Hand nach dem ansteigenden Wald.
 
„Sieh’ diesen Wald, der ins Dunkle hinüberträumt. Wie in seltsamer Schönheit  steigen seine Formen auf. Eindringlich ist seine Erscheinung. Eine wundervolle Linie fließt vor dem hellen Abendhimmel über die Kiefernkronen, eine wechselnd flutende, auf- und absteigende Linie.
 
Nichts Einzelnes ist mehr zu erkennen, schon haben die Dämmerungsfeen und die Schleierfrauen alles verhängt und alles Sichtbare verhüllt; Schleier breiten sich über die Dinge, und du zweifelst vielleicht, ob wirklich ein Wald vor dir steht. Mattblau ist der Himmel, mattgrau und sanftbraun die Massen des Waldes. Und dieses Bild ist so zart, daß du fürchtest, es könnte wieder verschwinden. Es ist  ein Wechsel in diesen Flächen, die undeutlich gegeneinander stehen, und immer feiner werden die Farben, immer zarter bauen sie sich auf und verschwinden endlich in dem blassen, blauen Reich des Himmels, wie leichte Wölkchen mit dem Lichte des Abendhimmels verschwimmen.
 
So zögernd steigen auch die Hügel an und gehen ineinander über und zeigen nur das Ganze, Große, Einfache ihrer Erscheinung. Denn das ist das Zeichen meines Reiches: es macht das Kleine verschwinden und nur das Große, das Einfache lebt. Alles einzelne taucht unter in dem matten Schein, der wie eine sanfte und leise Musik alles umhüllt.
 
Siehst du die milchigen Wolken, mattrostig getönt? Sie schweben hinter den Stämmen; die Sonne singt, sie schwebt hinab auf weichen Wogen; weißlich überzogen ist ihr Schein; sie ist noch nicht erloschen. Ein mattroter Dunst hüllt sie ein; die Dämmerungsfeen haben auch über sie nun das Schleiertuch gehängt; bis zu ihr ist der Weg am weitesten.
 
In dieser tiefsten Ruhe, die mich umgibt, habe ich nur einen Begleiter, das ist die leise wehende Luft, die noch wach und lebendig sein darf und leise Melodien singt. In diesen Melodien ist die Sehnsucht nach Heimkehr und Ausruhen. Die Welt wird wie eine große Wiege, die im unermeßlichen Raume sich von dem summenden Nachtwind schaukeln läßt, sanft und ohne Widerstreben.“
 
Der alte Mann zog eine Laterne aus der Tasche und nahm ein paar Glühwürmchen vom Strauch und setzte sie hinein:
 
„Nun will ich nachsehen, ob alles schläft, die Nebelkinder an den Zweigen und die Vögel in ihren Nestern und all die Tiere in ihren Schlupfwinkeln. Und wenn ich dann so gehe in meinem Reiche, dann fächelt mich die Luft lind und langsam und sacht, und sobald ich das leise Wehen spüre, ist es mir, als müßte auch ich bald ruhen.
Denn wenn ich meinen Rundgang gemacht habe, kommt die Nacht.
 
Ach, solch linder Abend ist schön! Kein Stürmen, kein Brausen, kein lauter Lärm. Ein leises, begütigendes Streicheln, lind und kosend, kommt zu mir. So gehe ich durch das zum Schlummer sich breitende Reich. Wald und Wiesen haben sich ganz eingehüllt. Und in dem sanften Wehen des Windes, der mich fächelt, spüre ich schon das träumende Schweigen der Nacht. Wo alles Schimmernde erlischt und doch die Dinge der Dunkelheit glänzen, in jener eigenen, strahlenden Schönheit der Nachteinsamkeit, die selten einer belauscht, in die die Seelen eingehen, die Abschied genommen haben vom Tage; ich höre ihren sanften Gruß, wenn Busch und Baum miteinander flüstern und wenn der Wald seine weichen Schatten breitet.“

Dann verschwand der Abend und seine Laterne erlosch.
 
Am Waldrand aber stand eine große stille, schöne Frau und blickte weithin über die Wiesen. Das war die Nacht. Sie stand ganz still und löste ihren silbernen Gürtel und legte ihn sich zu Füßen, da wurde daraus ein fließender Bach, der wie ein silbernes Band schimmerte. Dann hob sie beide Arme und öffnete ihren Mantel und sprach:
 
„In meinem blauen Mantel sind alle Träume, darum liebe ich das Schweigen.
In meinen dunklen Räumen hat die Sehnsucht ihre Heimat, und alle Wünsche ruhen bei mir aus; darum ist in meinen Augen alle Schönheit.
 
Und wenn ich mein Diadem schüttle, dann fallen alle silbernen Sterne heraus und bringen den Menschen Glück; sie umschweben mich gleich leuchtenden Kugeln, sie verlassen mich nicht, denn sie sind mein Eigen, und immer wieder kehren sie zu mir zurück.
 
Der dunkelblaue Nachthimmel, der sich über mir wölbt, ist mein Palast, in dem ich wohne. Alle Nacht ist er festlich für mich geschmückt und die Sterne schimmern an den dunkelblauen Wänden. Und so weit dehnt sich der Himmel mit seiner Wölbung, daß alle Menschen darunter schlafen können, und auch die Tiere und die Blumen haben hier ihre Ruhestatt.“



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