Herbstabend
Wenn
die
Sonne sinkt und die Dämmerung sich breitet, dann hören die Bäume auf zu
rauschen, die Büsche flüstern nicht mehr, der Wind ermahnt die Welle,
sich
schlafen zu legen, und der Fluß liegt still und glatt da und plätschert
nicht
mehr von Stein zu Stein. Alles will ruhen und zieht sich zurück und die
ganze
Natur sieht mit einemmal, obgleich sie dieselbe ist wie früher, ganz
anders
aus. Nur die Nachteule macht sich zurecht und rüstet sich zu ihrem
Dienst; denn
da sie in der Nacht sieht, ist sie bestellt, im Dunkeln zu wachen und
so paßt
sie auf, das die Glühwürmchen alle ihr Licht anzünden. Ein leiser Nebel
steigt
auf und im Nebel nahen Gestalten, unsicher zu erkennen. Und wie sie
nahen im
langsamen Schweben, hört der leise säuselnde Wind ihre Worte:
„Die
Dämmerungsfeen sind wir und mit uns kommen die Schleierfrauen. Wir
ruhten im
Verborgenen und schliefen, wo uns niemand sah, in den Furchen der
Äcker, unter
den Zweigen bei den Wurzeln der Bäume. Wenn die Sonne sinkt, erwachen
wir,
steigen wir auf aus unserer Ruhe und schweben. Wir tragen ein graues
Kleid und
lang schleppt unser Gewand. Die Menschen fürchten uns, weil wir alles
verhüllen
und undeutlich erscheinen lassen. Wenn sie uns schweben sehen, wissen
sie
nicht, wer wir sind. Wir locken sie hinweg; wir locken sie dahin, wo
keine Spur
mehr zu erkennen ist. Wir bringen die grauen Schleier und die
verhüllenden
Tücher, die hängen wir den Zweigen, den Büschen und den Bäumen um. Die
warten
schon darauf. Denn zur Dämmerung wird es kühl und sie zittern schon ein
wenig.
Und in den Zweigen betten wir die Nebelkinder, die kleinen, zur Ruhe,
da liegen
sie behütet und geschützt und der schlanke Zweig ist ihre Wiege und
nichts wagt
mehr, sich zu rühren. Wenn eines ängstlich ist, holen wir ein
Glühwürmchen, das
muß die Nacht über ihm zur Seite wachen und leuchten.“
„Weiter,
Schwester, weiter.“
„Sieh’,
wie sind die Wälder so schön sie werden so schweigend und eine
melancholische
Schönheit ist ihr Kleid.“
„Die
Kiefern, die ernsten, stehen wie träumend hochgereckt und zeigen die
edle
Schlankheit ihres Wuchses.“
„Das
Licht der scheidenden Sonne fällt vielleicht noch an ihre Stämme, so
daß sie
glänzen und glühen. Und weich und breit schweben oben die Wipfel hoch
in den
Lüften, dunkel und mattgrün getönt.“
„Dazwischen
stehen die Birken, unsere zartesten Freunde: sie erzittern leise, wenn
wir
kommen; denn sie kennen unser Flüstern. Mit ihrem hellen, grünen
Schleierhaar
der Zweige, kosen sie uns¸das hängt so leicht, so traumhaft und im Wind
bewegt
es sich und flattert wie das leichte Haar eines fliehenden Mädchens.“
„Nur
selten stehen noch Silberpappeln dazwischen, hingesetzt am Rand des
Kiefernwaldes sie schlummern so schön wie mattes Silber. Und es kommt
vor, daß
die Tannen schon die jungen hellen Triebe zeigen, sie sind wie Kerzen
aufgesteckt, sie leuchten uns auf den Weg.“
„Aber
wir
vergessen auch das Kleinste nicht, und gerade die kleinen,
unansehnlichen
Bäumchen, die nicht recht vorwärts kommen, die behüten wir besonders.
Sie
stehen bescheiden zur Seite, aber wir sehen sie doch. Wir sprechen
freundlich
zu ihnen und sie sehen uns glücklich an.“
„Und
seht
ihr, so ist es vielleicht auch mit den Menschen. Manchmal denken sich
die
Menschen, wenn sie nur flüchtig zusehen: hu, das ist garstig, oder wie
langweilig ist das Kind¸aber vielleicht kann es nur nicht so zeigen,
was es
fühlt, und es tut ihm vielleicht selbst leid, und so wird es
immer verschlossener. Aber es bedarf
vielleicht nur ein bißchen Freundschaft und Liebe. Was mit diesen Augen
betrachtet wird, gewinnt ein eigentümliches Leben und belohnt uns
selbst wieder
durch seinen neuen Reichtum, den es nun zeigt. Ja, gerade solche
verschlossene,
bescheidene, stille Naturen bergen oft ungeahnte Schätze und sie haben
oft eine
unbegrenzte Fähigkeit, zu beglücken. Man muß nur verstehen, sie zu
wecken, denn
oft sind sie so fremd und fern, daß sie nicht einmal glauben wollen,
daß die
Welt ihre Liebe braucht.“
So
sprachen sie miteinander und erfüllten die Räume mit ihrem sanften
Flüstern und
schwebten von Baum zu Baum und lauschten an jedem und stellten sich zu
ihm und
horchten, ob er ihnen etwas zu sagen hatte, eine Bitte oder eine Frage.
Dann
gingen sie weiter, ihr Reich war unendlich. Ganz hinten aber nahte
schon der
Abend, dem sie den Weg zu bereiten hatten, damit er alles in Ruhe und
Schlaf
vorfand.
Da
ermahnten sie sich zur Eile:
„Weiter,
Schwester, weiter!“ Der Mond kommt. Wir haben noch einen weiten Weg.
Noch
müssen wir zur Sonne und ihr ihr Bett bereiten. Ehe sie ganz sinkt,
hüllen wir
sie noch in unsere Schleier, und erst am Morgen legen wir uns zur
Ruhe.“
Und
wie
der Zug vorübergeschwebt war, kam dahinter ein ernster Mann, blieb wie
zögernd
stehen und deutete mit der Hand nach dem ansteigenden Wald.
„Sieh’
diesen Wald, der ins Dunkle hinüberträumt. Wie in seltsamer
Schönheit steigen seine Formen auf. Eindringlich ist
seine Erscheinung. Eine wundervolle Linie fließt vor dem hellen
Abendhimmel
über die Kiefernkronen, eine wechselnd flutende, auf- und absteigende
Linie.
Nichts
Einzelnes ist mehr zu erkennen, schon haben die Dämmerungsfeen und die
Schleierfrauen alles verhängt und alles Sichtbare verhüllt; Schleier
breiten
sich über die Dinge, und du zweifelst vielleicht, ob wirklich ein Wald
vor dir
steht. Mattblau ist der Himmel, mattgrau und sanftbraun die Massen des
Waldes.
Und dieses Bild ist so zart, daß du fürchtest, es könnte wieder
verschwinden.
Es ist ein Wechsel in diesen Flächen,
die undeutlich gegeneinander stehen, und immer feiner werden die
Farben, immer
zarter bauen sie sich auf und verschwinden endlich in dem blassen,
blauen Reich
des Himmels, wie leichte Wölkchen mit dem Lichte des Abendhimmels
verschwimmen.
So
zögernd
steigen auch die Hügel an und gehen ineinander über und zeigen nur das
Ganze,
Große, Einfache ihrer Erscheinung. Denn das ist das Zeichen meines
Reiches: es
macht das Kleine verschwinden und nur das Große, das Einfache lebt.
Alles
einzelne taucht unter in dem matten Schein, der wie eine sanfte und
leise Musik
alles umhüllt.
Siehst
du
die milchigen Wolken, mattrostig getönt? Sie schweben hinter den
Stämmen; die
Sonne singt, sie schwebt hinab auf weichen Wogen; weißlich überzogen
ist ihr
Schein; sie ist noch nicht erloschen. Ein mattroter Dunst hüllt sie
ein; die
Dämmerungsfeen haben auch über sie nun das Schleiertuch gehängt; bis zu
ihr ist
der Weg am weitesten.
In
dieser
tiefsten Ruhe, die mich umgibt, habe ich nur einen Begleiter, das ist
die leise
wehende Luft, die noch wach und lebendig sein darf und leise Melodien
singt. In
diesen Melodien ist die Sehnsucht nach Heimkehr und Ausruhen. Die Welt
wird wie
eine große Wiege, die im unermeßlichen Raume sich von dem summenden
Nachtwind
schaukeln läßt, sanft und ohne Widerstreben.“
Der
alte
Mann zog eine Laterne aus der Tasche und nahm ein paar Glühwürmchen vom
Strauch
und setzte sie hinein:
„Nun
will
ich nachsehen, ob alles schläft, die Nebelkinder an den Zweigen und die
Vögel
in ihren Nestern und all die Tiere in ihren Schlupfwinkeln. Und wenn
ich dann
so gehe in meinem Reiche, dann fächelt mich die Luft lind und langsam
und
sacht, und sobald ich das leise Wehen spüre, ist es mir, als müßte auch
ich
bald ruhen.
Denn
wenn
ich meinen Rundgang gemacht habe, kommt die Nacht.
Ach,
solch linder Abend ist schön! Kein Stürmen, kein Brausen, kein lauter
Lärm. Ein
leises, begütigendes Streicheln, lind und kosend, kommt zu mir. So gehe
ich
durch das zum Schlummer sich breitende Reich. Wald und Wiesen haben
sich ganz
eingehüllt. Und in dem sanften Wehen des Windes, der mich fächelt,
spüre ich
schon das träumende Schweigen der Nacht. Wo alles Schimmernde erlischt
und doch
die Dinge der Dunkelheit glänzen, in jener eigenen, strahlenden
Schönheit der
Nachteinsamkeit, die selten einer belauscht, in die die Seelen
eingehen, die
Abschied genommen haben vom Tage; ich höre ihren sanften Gruß, wenn
Busch und
Baum miteinander flüstern und wenn der Wald seine weichen Schatten
breitet.“
Dann
verschwand der Abend und seine Laterne erlosch.
Am
Waldrand aber stand eine große stille, schöne Frau und blickte weithin
über die
Wiesen. Das war die Nacht. Sie stand ganz still und löste ihren
silbernen
Gürtel und legte ihn sich zu Füßen, da wurde daraus ein fließender
Bach, der
wie ein silbernes Band schimmerte. Dann hob sie beide Arme und öffnete
ihren
Mantel und sprach:
„In
meinem blauen Mantel sind alle Träume, darum liebe ich das Schweigen.
In
meinen
dunklen Räumen hat die Sehnsucht ihre Heimat, und alle Wünsche ruhen
bei mir
aus; darum ist in meinen Augen alle Schönheit.
Und
wenn
ich mein Diadem schüttle, dann fallen alle silbernen Sterne heraus und
bringen
den Menschen Glück; sie umschweben mich gleich leuchtenden Kugeln, sie
verlassen mich nicht, denn sie sind mein Eigen, und immer wieder kehren
sie zu
mir zurück.
Der
dunkelblaue Nachthimmel, der sich über mir wölbt, ist mein Palast, in
dem ich
wohne. Alle Nacht ist er festlich für mich geschmückt und die Sterne
schimmern
an den dunkelblauen Wänden. Und so weit dehnt sich der Himmel mit
seiner
Wölbung, daß alle Menschen darunter schlafen können, und auch die Tiere
und die
Blumen haben hier ihre Ruhestatt.“
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