Das
gutmütige Mäuschen
Es
war einmal ein König und eine Königin, die waren
gar herzensgut, und bemühten sich auf alle Weise, ihre Untertanen recht
glücklich zu machen, daher ihr Land auch allenthalben das
glückliche
Land hieß.
In
ihrer Nachbarschaft aber regierte ein
abscheulicher König, der an nichts Gefallen hatte, denn an Mord und
Blutvergießen, und Elend und Gräuel wohnten in seinem Reiche.
Dieser
fiel nun mit seinem wilden Kriegsheer in
das glückliche Land ein, obwohl ihm der gute König nie etwas
zu Leide
getan hatte, und verbreitete überall Angst und Schrecken: denn wohin er
kam,
verheerte er Alles, und wütete mit der größten Grausamkeit. Der gute
König war
ihm zwar mit seiner Armee entgegen gezogen, aber er hatte zu wenig
Kriegsvolk,
und verlor die Schlacht, und in derselben zugleich auch sein Leben.
Als
die gute Königin dies hörte, erschrak sie so
sehr, dass sie krank wurde, und sich in's Bette legen musste.
Bald
aber kam der Wüterich mit seinen Soldaten in
der Stadt an, wo die Königin krank darnieder lag, ging zu ihr auf's
Schloss,
und befahl ihr, sie solle sogleich aufstehen und ihm folgen. Da sie
hierüber
aber so in Angst geriet, dass sie kein Glied bewegen konnte, riss er
sie bei
ihren schönen langen Haaren aus dem Bette, ließ sie hinter sich auf
sein großes
schwarzes Pferd setzen, und trabte davon. Gewiss würde er die
Unglückliche
haben aufhängen lassen, wenn er nicht gehört hätte, dass sie bald ein
Kind zur
Welt bringen würde, das wunderschön sein sollte. Er beschloss daher,
wenn es
ein Prinz wäre, ihn mit der Mutter erwürgen zu lassen, wäre es aber ein
Mädchen, so solle es seinen einäugigen Sohn heiraten, der zwar noch
klein, aber
doch schon an Gestalt und Herzen ein wahres Ungeheuer war.
Die
Königin wurde nun in einem festen Turm in einer
elenden Kammer eingesperrt, wo sie des Nachts auf einem schlechten
Strohlager
liegen, den ganzen Tag aber spinnen musste, und nichts zu essen bekam,
als ein
Paar Händchen voll Erbsen, die in bloßem Wasser geweicht waren, und ein
kleines
Stücklein Brot.
Voll
Ungeduld zu wissen, ob ein Knabe oder ein
Mädchen zur Welt kommen würde, bat der böse König eine Fee zu Gaste,
und ging
mit ihr in den Turm der kranken Königin, um sich von ihr darüber
Gewissheit
geben zu lassen. Die Fee jammerte es, als sie die bleiche, kranke und
schöne
Frau auf ihrem Strohlager so sanft und geduldig liegen sah, und sprach
ihr
heimlich Trost und Mut zu; dem Könige aber sagte sie, er werde eine
schöne
Tochter bekommen.
»Das
rettet ihr das Leben!« sagte der Tyrann.
»Trifft jedoch die Wahrsagung nicht ein, und ist das Mädchen nicht
schön, so
lass ich sie an einen Baum hängen, und an ihrem Halse ihr Kind.«
»O
wie unglücklich bin ich!« jammerte die Königin.
»Ist das Kind nicht schön, so werden wir beide umkommen, und ist es
schön, so
muss es den abscheulichen Prinzen heiraten, und zeitlebens unglücklich
sein.
Ach, was soll ich anfangen, und wie soll ich mein Kind retten, wenn es
geboren
ist?«
Eines
Tages saß die arme Königin auch in Tränen an
ihrem Rocken, wehklagend und jammernd, als ein niedliches Mäuschen
daher
geschlüpft kam, und nach Brosamen suchte. »Du liebes, kleines,
hungriges Ding,«
sagte die Königin sehr traurig, »hier suchst du vergebens, wo ich
selbst fast
verhungern muss; suche du da, wo du etwas finden kannst.« Die Maus aber
hüpfte
ganz lustig hin und her, machte Männchen, und tat gar nicht scheu.
»Da!«
sagte die Königin, »noch hab' ich zwei
Erbsen, die will ich dir geben, obwohl ich sie selbst gern äße!« und
damit warf
sie ihm die Erbsen hin, welche das Mäuschen verzehrte. Als aber die
Königin
wieder auf ihren Tisch sah, stand auf demselben ein gebratenes Rebhuhn,
und
feines Weißbrot lag daneben.
»Ei,«
sagte die Königin, »das ist gewiss von der
mitleidigen Fee, die mich in meinem Kerker mit dem Tyrannen besucht und
getröstet hat.« Sie griff sogleich danach, und es schmeckte ihr ganz
vortrefflich. Als sie sich aber halb gesättigt hatte, dachte sie wieder
an ihr
Kind, das in wenigen Tagen zur Welt kommen sollte, und da fing sie an,
bitterlich zu weinen, und ließ das Essen stehen. »Ach,« seufzte sie
tief, »ist
denn keine Rettung für uns?«
Da
holte das Mäuschen ein Paar Halme aus dem
Strohsäcke, und ließ die Halme dann liegen.
Da
sann die Königin hin und her, was wohl das
Mäuschen damit habe sagen wollen. »Meinst du vielleicht,« sagte sie
nach einem
Weilchen, »es ließe sich ein Körbchen aus Stroh für das Kind flechten?
und ein
Seil, das Körbchen daran vom Turme herabzulassen, damit es ein
Vorbeigehender
an sich nähme? – Ja, fürwahr, das wird gehen!«
Die
Königin wurde ordentlich vergnügt über diesen
Gedanken, und fing fleißig an zu flechten, erst an dem Körbchen, dann
an dem
Seil, und da sie kein Stroh mehr in dem Strohsacke hatte, schleppte ihr
das
Mäuschen viel Strohhalme zu, die es durch sein Löchelchen hereinzog. Es
bekam
jetzt so viel Erbsen und Brosamen, als es nur wollte, und dafür standen
immer
auf dem Tische viel bessere Gerichte, nahrhaft und wohlschmeckend.
Eines
Tages sah die Königin aus dem Fenster, um zu
untersuchen, wie lang das Seil sein müsse, um das Kind daran
herablassen zu
können. Da ging zum Glück eben eine alte ehrbare Frau vorbei, die sah
hinauf,
und sagte: »Ich weiß deine Not wohl, du arme Gefangene, und bin bereit,
dir zu
dienen.« Darüber ward die Königin sehr erfreut, und bat sie, alle
Abende unter
das Fenster zu kommen, wo sie nächstens ein Kind am Seile wolle
herablassen,
dessen möchte sich dann die Frau wohl annehmen, sie wolle es ihr gut
vergelten,
wenn ihr nur Gott erst aus dem Turme würde geholfen haben.
»Nach
Geld und Gut frage ich nicht,« erwiderte die
Alte, »denn ich habe so viel, als ich brauche; aber ich habe zuweilen
ein
seltsam Verlangen, ein fettes Mäuslein zu speisen. Fange doch
einige, und
töte sie, und wirf sie mir vom Turme herab, so will ich dafür mich
deines
Kindes erbarmen.«
»O
ich Unglückliche! Es ist nur ein einziges
Mäuschen auf meiner Kammer, das ist so freundlich und zutulich, und ist
meine
einzige Gesellschaft. Mein Herz würde mir brechen, wenn ich es töten
sollte!«
»So?«
sagte die Alte spöttisch. »Nun, wenn du deine
Maus lieber hast, als dein Kind, so ist es mir auch recht; ich will
schon noch
Mäuse anderswo finden!« Damit ging sie murrend davon.
Aber
die Königin war nun untröstlich, und sah das
Essen nicht auf ihrem Tische, und das freundliche Mäuschen nicht, das
in der
Kammer umherspielte.
In
der Nacht brachte die Königin ein wunderschönes
Kind zur Welt, welches ein Mädchen war. Sie küsste es mit tausend
Tränen, und
jammerte: »Ach, wer wird dir nun helfen, du kleiner, holder Engel? Ach,
ich
muss von dir scheiden!«
Sie
legte das Kind in's Körbchen, und band das
Körbchen an's Seil. Sie hatte einen Zettel mit zum Kinde gelegt, darauf
stand,
es sollte Tränenblüte heißen, und sei ein sehr unglückliches
Kind.
Als
sie es nun wollte herablassen, und hatte es
noch zuvor geküsst, kam die kleine Maus, und sprang zum Kinde in's
Körbchen. Da
sprach die Königin: »Ach, du liebes kleines Tier, du weißt nicht, wie
viel du
mir kostest. Vielleicht mein armes Kind! Ich sollte dich töten, aber
das konnte
ich nicht über's Herz bringen.«
Da
tat die Maus das kleine Spitzmaul auf, und fing
an zu sprechen. Die Königin aber erschrak gewaltig darüber, weil sie
das gar
nicht vermutet hatte. »Wohl weiß ich,« sagte die Maus, »was
du getan
hast; es soll dich gewiss nicht gereuen.«
Nach
diesen Worten verwandelte sich die Maus. Die
kleinen Vorder- und Hinterpfoten streckten sich aus, und wurden Hände
und Füße,
der kleine Kopf wurde ein Menschenkopf, und Alles an ihr wurde größer
und immer
größer, und stand zuletzt als Fee da, welche sie mit dem bösen König
besucht
hatte.
»Königin,«
sprach die Fee, »ich wollte dein Herz
nur prüfen, weil mich gleich anfangs dein Unglück jammerte, und ich
habe dich sanft
und gut gefunden. Ich war die Maus nicht nur, sondern war auch die alte
Frau.
Nun will ich mich deines Kindes treulich annehmen, und es soll einmal
deine
Freude und dein Stolz sein!«
Jetzt
ließ die Fee die Kleine am Seile herunter,
und verwandelte sich wieder in eine Maus: denn sie mochte wohl nur in
dieser
Gestalt zum Turme hinaus können. Die Fee kroch als Maus zum Turme
hinaus, am
Seil herab, als sie aber hinab kam, war das Kind fort.
Da
kroch sie zitternd wieder zu der Königin hinauf,
und klagte ihr das Unglück, und sagte, das habe ihr die böse
Fee Gangrüne angerichtet, die sei ihre Feindin, die ihr alles
Gute
verderbe; dabei sei sie sehr mächtig, und man werde ihr das Kind nicht
leicht
wieder nehmen können. Über diese Rede erbleichte die arme Königin, und
die Fee
kroch vor Scham und Kümmernis in's Mauseloch.
Am
andern Morgen kam der böse König, welcher
wusste, dass das Kind gekommen sein müsse, in den Kerker der
unglücklichen
Mutter, und fragte, wo das Kind sei? Als die Königin ihm sagte, es sei
fort,
und eine böse Fee habe es ihr mit List und Gewalt genommen, da wurde er
grimmig, und rief wütend: »Nun sollst du hängen, wie ich es dir
gedrohet habe,
und ich will dich selbst mit dem Stricke am Baume hinaufziehen, und
meine Lust
daran haben!«
Hiemit
zog er die Königin an den Haaren hinter sich
her nach einem Walde hin, wo er auf einen Baum stieg, und die arme
Verlassene
am Stricke hinaufziehen wollte. Aber die gute Fee stieß unsichtbar den
ruchlosen König vom Baume herab, dass er einen schweren Fall zur Erde
tat, und
sich Arme und Beine heftig zerschlug.
Während
ihm nun seine Leute zu Hülfe kamen, führte
die Fee die gerettete Königin in ihrem Luftwagen davon, und behielt sie
bei
sich und ließ es ihr an nichts fehlen. Die Königin lebte hier nun ganz
zufrieden,
denn sie hatte bei der guten Fee ja Alles, was ihr Herz nur verlangen
konnte;
aber sie war doch oft sehr betrübt, dass sie nicht ihr liebes Kind bei
sich
hatte, nach welchem ihr Mutterherz große Sehnsucht empfand.
Fünfzehn
Jahre hatte bereits die Königin in dieser
Einsamkeit zugebracht, als man hörte, der Sohn des bösen Königs, der
Prinz Unhold, wie man ihn nannte, wollte sein
Gänsemädchen heiraten, die aber wolle ihn durchaus nicht haben;
die schönsten, kostbarsten Brautkleider habe er ihr geschenkt, allein
sie wolle
dieselben nicht anziehen. Darüber wunderte sich alle Welt gar sehr.
Prinz Unhold aber
dachte, er wolle das
Mädchen zur Heirat schon zwingen, und hatte viele Gäste zur Hochzeit
eingeladen, die auch in kurzer Zeit wohl hundert Meilen weit her
gekommen
waren.
Die
gute Fee war auch mit unter den Gästen, denn
sie hatte sich wieder in ein Mäuschen verwandelt, und kroch in ein
Kämmerchen
neben dem Gänsestall, worin das Gänsemädchen wohnte. Da lagen die
prächtigsten Kleider, Bänder, Spitzen, Ringe und kostbare Steine auf
dem Boden
neben dem Mädchen; das Mädchen aber war gar schlecht gekleidet, und
dennoch sah
es die herrlichen und glänzenden Sachen nicht einmal an.
Jetzt
nun trat der
Prinz Unhold zum Gänsemädchen, und sagte: »Nun
ist's hohe
Zeit, du nichtswürdiges Ding; nimm mich und habe mich lieb, oder ich
schlage
dich tot!« Das Mädchen aber hatte Herz, und antwortete dreist: »Wer
kann dich
denn lieb haben? Du bist ja gar nicht liebenswürdig, sondern
abscheulich. Ja,
an Deine hässliche Ungestalt wollte ich mich wohl noch gewöhnen, denn
die hast
Du Dir nicht selbst gegeben; aber Du bist auch so boshaft und grausam
und
tückisch. Darum will ich Dich nicht, und mag Dich nicht; schlage mich
lieber
nur tot, das ist viel besser für mich!«
Der Unhold wusste
nicht, was er anfangen
sollte, und ging fort. Die kleine Maus aber verwunderte sich über den
Mut des
Mädchens, noch mehr aber über seine außerordentliche, wunderherrliche
Schönheit.
Am
andern Morgen trat die Fee in der Gestalt einer
Hirtin zum Mädchen, als es die Gänse wieder hütete, und erkundigte sich
nach
Allem. Da erzählte die schöne Gänsemagd, dass sie Tränenblüte heiße,
und wäre der bösen Fee Gangrüne entlaufen, die sie immer
gepeitscht und
gequält hätte ohne Schuld, und nun wäre sie hier ein Gänsemädchen
geworden, und
wolle das lieber bleiben ihr Lebelang, als den garstigen, bösen Prinzen
heiraten, oder sich lieber heut Abend in den finstern Turm einsperren
lassen,
und darin bis zum Tode bleiben, wie der Prinz ihr gedroht habe, wo sie
ihn
nicht noch heute zum Gemahl nähme.
»Ich
weiß nun Alles,« sagte die Hirtin; »lass Dich
nur einsperren, ich will Dir schon helfen.«
Tränenblüte wurde
eingesperrt; aber in
derselben Nacht verwandelte sich die Fee in eine Maus, und biss den
König jetzt
in das eine und jetzt in das andere Ohr, dass das Blut häufig
darnach
floss Dann rannte sie behende zu dem Bette des Prinzen, und machte es
mit ihm
eben so, und zerkratzte ihm noch das Gesicht. Und als der König ein
bisschen
wieder eingeschlafen war, biss sie ihn in die Nasenspitze, dass er vor
Schmerz
gewaltig aufschrie, und die Zunge heraussteckte; da biss sie ihm die
Zungenspitze ab, dass er wütend wurde, und die Maus überall suchen
ließ, und
selbst mit bloßem Degen suchen half. Die kleine Maus hatte indessen
aber schon
dem Prinzen Unhold das eine Auge fast ausgebissen, das er noch
hatte.
Da wurde auch dieser wütend, und nahm seinen Degen, und rasselte, so
arg er nur
konnte, im Schlosse umher, und hieb links und rechts um sich. Da
schimpfte der
Vater auf ihn, und schlug ihn mit dem Degen. Das wollte er aber nicht
leiden,
und hieb und stach nach dem Vater, und der Vater hieb und stach nach
dem Sohne.
Da
rammten sie sich Beide den Degen durch den Leib, und blieben Beide auf
der
Stelle tot.
Tränenblüte wurde
nun von dem Volke aus dem
Kerker erlöst, und zur Königin ausgerufen, weil sie so schön war, und
so viel
erlitten hatte, und weil ihr Vater auch ein König gewesen war. Die
Mutter wurde
nun wieder mit ihrer Tochter vereinigt, und hatten Beide große Freude,
als sie
einander sahen, und dankten der guten Fee mit herzlicher Rührung für
die Hülfe
und den Beistand, welchen sie ihnen mit so vieler Liebe und Teilnahme
bewiesen
hatte. Alle waren nun recht froh und glücklich, und blieben es bis an
ihren
Tod. Das machte, weil sie so gut waren, und sich nichts Böses zu
Schulden
kommen ließen.
oben
____________________________