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04.3
Lina’s Mährchenbuch
Eine Weihnachtsgabe
von
Albert
Ludwig
Grimm.
Erster
Band und
Zweiter Band
Mit
fünf
colorierten Kupfern.
Zweite
Auflage.
Grimma,
Verlag
von
Julius Moritz Gebhardt
************
Von
seltsamer Freundschaft zwischen einer
Katze, einem
Kaninchen und einem Perlhuhn - Seite 2
Aber
die Katze saß mit dem
Kaninchen unter dem Ofen, und sagte zu dem Kaninchen ganz heimlich:
„Hast du
den Vogel gesehen auf dem Ofen?“
„Ja,“
sagte das Kaninchen,
„er wird uns doch nichts thun?“
„Nein!“
antwortete die
Katze. „Aber ich will ihm was thun. Ich will die Nacht, wenn er
schläft,
hinaufspringen und will ihn würgen und rupfen und fressen. Jetzt, gute
Nacht!
jetzt will ich erst noch ein Stündchen schlafen.“ Und damit
machte sie die Augen zu, und fing an zu schnurren und schlief ein.
Aber
die beiden Hunde
liefen wieder im Hofe herum. Da sagte der Haushund Kalif zu dem
Jagdhund Ryno:
„Potz, ich hätte beinahe vergessen dir’s zu erzählen! es ist heute ein
gar
garstiger Vogel gebracht worden, der ganz buckelicht aussieht. Ich weiß
nicht,
sind’s blos die Federn, die ihm so buckelicht auf dem Rücken stehen,
ober ist’s
wirklich ein Buckel. Die Menschen haben ihn ein Perlhuhn genannt. Es
ist aber
kein Huhn, wie unsere Hühner, die da im Hofe gewöhnlich herum laufen.“
„Ja,
ja,“ sagte der
Jagdhund, „ich kenne die Perlhühner wohl.“
„Und
das ist auch in der
kleinen Stube eingesperrt worden;“ fuhr Kalif fort.
„Auch?“
fragte Ryno. „Nun,
das wird die Katze diese Nacht schon fressen, oder ich freß’ es, sobald
es in
den Hof kommt, und trage seine Federn in den Korb hinter dem Ofen. Dann
kommt
der Verdacht auf die Katze, und sie wird von unsrer Herrin dann gewiß
gejagt. Denn
die Perlhühner sind
ausländische Vögel, und werden von den Menschen gar hoch gehalten.“
„Ja,“
sagte Kalif, „wenn
sie aber morgen früh auch freundlich zusammen spielen?“
„Das
wäre freilich nicht
gut. Dann dürft’ ich ihm auch nichts thun,“ sagte Ryno, „denn alsdann
käm’ auch
der Verdacht nicht auf die Katze, und man würde gleich vermuthen, daß
ich’s
gethan hätte, und ich bekäme vom Jäger gar jämmerlich Schläge. Aber das
geschieht nicht. Das ist nicht möglich, daß ein Vogel seine angeborne
Furcht
vor der räuberischen Katze ablegen kann, besonders wenn er noch jung
ist. Die
Alten können sich schon manchmal gegen die Katzen wehren.“
Das
Kaninchen hatte aber
die Augen noch auf, und wachte noch, und hatte zugehört, was die beiden
Hunde
mit einander sprachen. Da schüttelte es die Katze, daß sie aufwachte,
und
erzählte ihr Alles, und sagte: „Du darfst nun dem Perlhuhn nichts thun;
es
möchte dir Schaden daraus entstehen.“
„Ja,
es ist wahr!“
antwortete die Katze. „Aber wie mach ich’s, daß das Perlhuhn seine
Furcht vor
mir verliert. Denn wenn man morgen diese Furcht vor mir sieht,
und der garstige Jagdhund das Perlhuhn frißt und die Federn in
meinen Korb
trägt, so wird unsere Herrin gewiß glauben, ich hätte es gewürgt, was
ich aber
jetzt nicht thue, so gern ich möchte. Ich hatt’ es vorhin nicht so
recht
überlegt.“
„Ei,“
antwortete das
Kaninchen, „das Perlhuhn schläft jetzt recht fest. Steige nun recht
sachte
hinauf, daß es dich nicht merkt, und setze dich neben es hin, und
stell’ dich,
gleich als ob du schliefest. Wenn du es aufweckst, so erschreckt es,
und fliegt
gleich weg, und glaubt, du wolltest es fressen. Wenn es aber dann von
selbst
erwacht, und dich neben sich schlafen sieht, so merkt es doch, daß du
es nicht
umbringen wolltest. Und wenn es dann auch erschrickt, und herunter
fliegt, so
stell dich nur, als ob du fortschliefst. Dann will ich ihm schon Alles
erzählen, was die Hunde für Anschläge wider uns haben.“
Dieser
Vorschlag gefiel der
Katze aber sehr wohl, und sie dankte dem Kaninchen, ihrem Freunde,
recht
herzlich, und stieg ganz still und unbemerkt auf den Ofen, und setzte
sich
neben das Perlhuhn, und schlief ein. Und als das Perlhuhn aufwachte,
und etwas
neben sich schnurren hörte, und sich umsah, da sah es die Katze neben
sich
sitzen, und erschrack sehr. Als es aber herunter fliegen wollte, sah es
sich noch einmal
um, und merkte, daß die Katze schlief. Da dachte es: „Die Katze muß
doch nicht
so böse seyn, als mir meine Mutter gesagt hat. Denn diese hätte mich
nun im
Schlafe erwürgen können, wenn sie gewollt hätte, und sie hat’s doch
nicht
gethan. Aber ich will doch hinunter fliegen, es ist doch besser!“ und
flog von
dem Ofen herunter. Aber die Katze schlief fort.
Da
rief das Kaninchen aus
seinem Korbe hervor: „Guten Morgen, Perlhuhn! Ei, du hast ja gar früh
ausgeschlafen?“
„Ja,“
sagte das Perlhuhn,
„ich wäre vielleicht wieder eingeschlafen; aber da sitzt eine Katze
oben auf
dem Ofen, und der trau ich doch nur halb.“
„O,“
sagte das
Seidenhäschen, „der darfst du auch ganz trauen. Die thut dir gewiß
nichts.
Sieh, ich bin ja auch wehrlos, und die Katzen stellen uns Thieren vom
Hasengeschlechte eben so sehr nach, als euch Vögeln, und doch schlafe
ich ganz
sicher. Und wir liegen dazu noch meistens zusammen
in einem Korbe.“
Da
fragte das Perlhuhn:
„Wie kommt das, daß ihr so vertraut zusammen worden seid?“ Und das
Kaninchen
erzählte ihm die Geschichte, wie die beiden Hunde der Katze feind
wären, und
sie gern um die Gunst der Herrin bringen möchten, und erzählte ihm
auch, was sie gestern Abend schon wieder gegen
das Perlhuhn beschlossen hatten.
Aber
das Perlhuhn fürchtete
sich doch immer noch, und sagte: „Darf ich dir denn auch glauben? oder
hast du
vielleicht mit der Katze einen Anschlag gegen mich gemacht, wie ihr
mich nur
sichrer umbringen mögt!“
„Nein,
nein, gewiß nicht!“
sagte das Kaninchen. „Sieh, die Katze hätte dich ja am sichersten im
Schlafe
umbringen können, wenn sie gewollt hätte. Denn gesehen hat sie dich gar
wohl,
die Katzen sehen ja auch im Dunkeln. Was sollten wir da noch weiter für
einen
Anschlag gegen dich gemacht haben? Wenn du mir aber nicht glaubst, so
komm nur
her, und sieh mir in die Augen. Ich kann dir offen und ehrlich in’s
Gesicht
sehen, und das könnt’ ich nicht, wenn ich gelogen hätte.“
„Nein,
ihr seid aufrichtige
Thiere!“ sagte das Perlhuhn. „Aber ich will doch noch eine Probe
machen, und
will hinauf fliegen und die Katze wecken, und schnell wieder fort
fliegen. Wenn
sie im Aufwachen gleich mit den Krallen nach mir hackt, so glaub’ ich
dir
nicht, und werde mich in Zukunft vor dir und deiner Freundin zu hüten
wissen. Bleibt
sie aber gutmüthig liegen, und streckt sich blos, so will ich dir
glauben, und will auch Freundschaft mit dir und der Katze
schließen.“
Und
damit flog das Perlhuhn
auf den Ofen, und schlug die Flügel auseinander, damit es schnell
fortfliegen
könnte, und pickte der Katze auf die Stirn, und als es sah, daß die
Katze die
Augen aufschlug, flog es fort. Die Katze hatte aber schon lange
gewacht, und
hatte Alles mit angehört. Darum stellte sie sich nur, als ob sie eben
aufwachte, und stellte sich auf, und stellte die Füße ganz nahe
zusammen, und
machte einen Buckel, und streckte die Vorderfüße darauf aus, und bog
den Leib
vorn bis auf den Ofen nieder, und streckte auch ihre Krallen weit aus;
und
sperrte ihr Maul auf und gähnte, und sagte dabei: „Guten Morgen, liebes
Kaninchen! guten Morgen liebes Perlhuhn! Ei, du brauchst dich nicht zu
fürchten, denn ich thue dir nichts. Komm, laß uns recht gute Freunde
seyn, denn
wenn du dich heute im Hofe vor mir fürchtest, so hat der Jagdhund Ryno
beschlossen, dich zu fressen, um mich in den Verdacht zu bringen, als
hätte
ich’s gethan.“ Und als sie das gesagt hatte, sprang sie hinunter in den
Korb, und
spielte mit dem Kaninchen. Da kam auch das Perlhuhn gelaufen, und
sagte: „Ich
will dir’s glauben. Kommt, laßt mich auch Freundschaft mit euch
machen!“ Und es sprang auch in den Korb. Und sie wälzten
sich alle drei auf dem Heu
herum, und zuweilen ging eines von ihnen hinaus, und die Andern
spielten, als
wollten sie es nicht mehr herein lassen, und liefen sie dann wieder
einander
nach, und spielten so lange, bis die Thüre geöffnet wurde.
Aber
das Mädchen hatte die
Thüre aufgethan, und hatte grüne Krautblätter für ihr liebes Kaninchen
mitgebracht, und warf sie gleich vor die Thüre in den Hof. Und das
Kaninchen
fing gleich an zu fressen. Da kam aber die Katze, und spielte mit ihm,
und das
Perlhuhn kam auch, und faßte das Blatt, woran das Kaninchen nagte, mit
seinem
Schnabel und zerrte daran, als wollte es ihm dasselbe nehmen, und
spielten
hernach mit einander, und liefen einander nach, und purzelten über
einander.
Und das Perlhuhn pickte dem Kaninchen in’s Ohr, aber so, daß es ihm
nicht wehe
that, und zog es daran, und die Katze rannte nun das Perlhuhn wieder
um, und
das Perlhuhn lief der Katze wieder nach, und die Katze legte sich, als
ob sie
sich fürchte. Da stellte sich das Perlhuhn auf sie, und pickte sie zum
Scherz,
und dann wälzte sich die Katze, und warf das Perlhuhn herunter, und so
machten
sie hunderterlei Späße, woran sich das Mädchen gar sehr ergötzte,
und ihre Mutter wieder rief, die sich auch darüber freute und
wunderte. Und als der Vater aus der Stadt kam, wo er immer viel
Geschäfte
hatte, da zeigte ihm das Mädchen auch ihre Thiere und deren
possirliches Spiel.
Und der Vater freute sich auch darüber. Und wer kam, und die drei
Thiere mit
einander spielen sah, wunderte sich, daß so fremdartige Thiere so
vertraulich
und freundlich zusammen seyn konnten, und ergötzte sich über sie. Und
so wurden
sie ihrer Herrin immer lieber, und wurden von ihr gar sorgsam gepflegt.
Aber
die Hunde ärgerten
sich und gaben es auf, der Katze zu schaden, und ließen die Thiere in
Friede
zusammen leben. Ja, am Ende ergötzte ihr Spiel sogar den alten Kalif,
den
Haushund, so sehr, daß er sich selbst in ihr Spiel mit einmischte. Und
besonders ward er dem guten Hännschen, dem Kaninchen gar hold. Er nahm
es oft
zwischen seine Pfoten, und ließ sich von ihm necken auf allerlei Weise,
und
sich sonst manche Kinderei von dem lustigen Hännschen gefallen. Aber
Ryno, der
Jagdhund, blieb den Thieren immer noch innerlich böse, und hätte sie
gern
zerrissen, wenn er nur gedurft hätte. Er wurde aber gar sorgfältig
gehütet, daß
er’s nicht konnte, und durfte nie allein bei den Thieren seyn. Deßwegen
war ihm
auch das fromme Mädchen nie mehr so gut, als dem
ehrlichen Haushund Kalif, und den andern frommen Thierchen, die sich
durch ihre
Freundschaft so vor den bösen Anschlägen der Hunde geschützt hatten.
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