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Literatur


04.w2

Weihnachten

Märchen und Geschichten




Weihnachts-Abend


Fezziwig's Weihnachtsball


 Drittes Kapitel IX - Der Zweite der drei Geister

Es war jetzt dunkel geworden und es fiel ein starker Schnee; und wie Scrooge und der Geist durch die Straßen gingen, war der Glanz der lodernden Feuer in Küchen, Putzstuben und aller Art Gemächern wundervoll über alle Maßen. Hier zeigte die flackernde Flamme die Vorbereitungen zu einem traulichen Mahl, die heißen Teller, wie sie sich vor dem Feuer durch und durch wärmten, und die dunkelroten Gardinen, bereit, Kälte und Nacht auszuschließen. Dort liefen alle Kinder des Hauses hinaus auf die beschneite Straße, ihren verheirateten Schwestern, Brüdern, Vettern, Basen, Onkeln und Tanten entgegen, um sie zuerst zu begrüßen. Hier zeigten sich an den Fenstern Schatten versammelter Gäste; und dort eine Gruppe hübscher Mädchen in Pelzkragen und Pelzstiefeln. Alle zugleich redend und mit leichten Schritten in eines Nachbars Haus eilend. Wehe dem Junggesellen, der sie dort ganz glühend eintreten sah, und die kleinen Hexen wussten das recht gut!

Wenn man nach der Zahl der Leute hätte urteilen wollen, die zu freundschaftlichen Besuchen eilten, hätte man glauben können, es sei Niemand da, sie zu bewillkommnen. Aber anstatt dessen erwartete jedes Haus Gäste und in jedem Kamine loderte die Flamme. Wie sich der Geist freute! wie er seine breite Brust entblößte und seine volle Hand auftat und dahinschwebte, freigebig seine heitere und harmlose Lust über Alles in seinem Bereiche ausschüttend! Selbst der Laternenmann, welcher durch die dunklen Straßen rannte, um ihre trüben Nebel mit Flecken Licht zu erhellen und der bereits angeputzt war, um den Abend irgendwo zuzubringen, lachte laut auf, wie der Geist vorüberschwebte.

Und jetzt, ohne dass der Geist vorher etwas gesagt hätte, standen sie auf einer kahlen, öden Heide, wo ungeheure Felsblöcke umhergestreut waren, als wäre hier eine Begräbnisstätte von Riesen; und Wasser breitete sich aus, wo es nur Lust hatte – oder würde es getan haben, wenn es der Frost nicht gefangen hielt; und nichts wuchs dort, als Moos und Gestrüpp und hartes, spitziges Gras. Tief im Westen hatte die untergehende Sonne einen Streifen glühenden Rotes gelassen, der einen Augenblick auf die öde Steppe niederschaute, wie ein zürnendes Auge, und immer tiefer und tiefer sank, bis er sich im Dunkel der tiefsten Nacht verlor.

„Was ist das für ein Ort?“ frug Scrooge.
„Ein Ort, wo Bergleute in den Tiefen der Erde arbeiten“, antwortete der Geist. „Aber sie kennen mich. Sieh!“

Ein Licht glänzte aus dem Fenster einer Hütte und sie schwebten schnell darauf zu. Hier fanden sie eine fröhliche Gesellschaft um ein wärmendes Feuer sitzen. Ein alter, alter Mann und eine greise Frau mit ihren Kindern und Enkeln und Urenkeln, Alle in festlichen Kleidern. Der Alte sang mit einer Stimme, die nur selten das Heulen des Windes auf der Einöde übertönte, ein Weihnachtslied; es war schon ein sehr altes Lied gewesen, als er noch ein Knabe war; und von Zeit fielen sie Alle im Chore ein. Und stets wie ihre Stimmen ertönten, wurde der Alte lebendig und laut; und immer, wie sie aufhörten, sank seine Kraft wieder.

Der Geist verweilte hier nicht, sondern befahl Scrooge, sich an sein Gewand zu halten. Sie schwebten über die Öde, aber wohin? doch nicht auf’s Meer? Auf’s Meer! Zu seinem Schrecken sah Scrooge hinter sich das Land verschwinden; und sein Ohr wurde betäubt von dem Donner der Wogen, wie sie unter den grausenden Höhlen, welche sie genagt hatten, heulten und brüllten und wüteten und mit wildem Grimm die Erde zu unterwühlen trachteten.

Auf einer einsamen, halb im Wasser versunkenen Klippe, wohl eine Meile vom Lande, stand ein einsamer Leuchtturm. Das ganze öde Jahr hindurch schäumten und tosten um ihn die Wogen. Große Haufen von Seegras umgaben seinen Fuß, und Sturmvögel – geboren vom Winde, konnte man glauben, wie Seegras von den Wellen – hoben sich und senkten sich um seine Spitze, wie die wogenden Wellen unten, über die sie segelten.

Aber selbst hier hatten die zwei Turmwächter ein Feuer angezündet, welches durch das Guckloch in der dicken, steinernen Mauer einen hell glänzenden Streifen auf die nächtliche See hinauswarf. Die harten Hände sich über den Tisch hinreichend, an dem sie saßen, wünschten sie sich eine fröhliche Weihnachten und stießen mit den Groggläsern darauf an; und einer der Beiden, der Ältere noch dazu, mit einem Gesicht von Sturm und Wetter gebräunt und gefurcht, wie das Gallion-Bild eines alten Schiffes, stimmte ein kräftiges Lied an, das wie ein Sturmwind schallte.

Wieder schwebte der Geist über die dunkelwogende See dahin, immer weiter und weiter, bis sie, fern von jeder Küste, wie der Geist zu Scrooge sagte, auf einem Schiffe niedersanken. Sie standen neben dem Steuermann an dem Rade, dem Ausgucker vorn, neben den Offizieren, welche die Wacht hatten. Wie dunkle, gespenstige Gestalten standen diese auf ihrem Posten, aber Jeder von ihnen summte ein Weihnachtslied, oder hatte einen Weihnachtsgedanken, oder sprach leise zu seinen Kameraden von einem früheren Weihnachtsabend und heimatlichen Hoffnungen, die sich daran knüpften. Und jeder Einzelne an Bord, wachend oder schlafend, gut oder schlecht, hatte an diesem Tage ein herzlicheres Wort für seine Kameraden gehabt, als an jedem andern Tag des Jahres, und wenigstens einigermaßen ihn gefeiert; und hatte an Die gedacht, die sich jetzt seiner in der Ferne erinnerten, und hatte gewusst, dass sie jetzt seiner freundlich gedachten.

Eine große Überraschung war es für Scrooge, während er dem Stöhnen des Windes lauschte und nachdachte, wie schauerlich es doch sei, durch die öde Nacht über einen unbekannten Abgrund, der Geheimnisse barg, so tief wie der Tod, zu schiffen; eine große Überraschung war es für Scrooge, sagte ich, plötzlich ein herzliches Lachen zu vernehmen. Noch größer war Scrooge’s Überraschung, als er darin das Lachen seines eigenen Neffen erkannte und sich in einem hellen, behaglich warmen Zimmer wiederfand, während der Geist an seiner Seite stand und mit beifälligem, mildem Lächeln auf diesen selbigen Neffen herabblickte.

„Haha!“ lachte Scrooge’s Neffe. „Hahaha!“

Wenn durch einen sehr unwahrscheinlichen Zufall Jemand einen Menschen kennt, der sich glücklicher fühlt, zu lachen, als Scrooge’s Neffe, so kann ich nur sagen, ich möchte ihn auch kennen. Stellt mich ihm vor und ich werde seine Freundschaft kultiviren.

Es ist doch eine gerechte und schöne Anordnung, dass, wie Krankheit und Kummer ansteckend sind, auch in der ganzen weiten Welt nichts so unwiderstehlich ansteckend ist, wie Lachen und Fröhlichkeit.

Wie Scrooge’s Neffe lachte und sich den Bauch hielt und mit dem Kopfe wackelte und die aller merkwürdigsten Gesichter schnitt, lachte Scrooge’s Nichte  (durch Heirat) so herzlich wie er. Und die versammelten Freunde, nicht faul, fielen in den Lachchor ein.

„Haha! Haha! Haha!“
„Er sagte, Weihnachten wäre dummes Zeug, so wahr ich lebe“, rief Scrooge’s Neffe. „Er glaubt es auch.“
„Die Schande ist um so größer für ihn, Fritz“, sagte Scrooge’s Nichte entrüstet. Gott segne die Frauen! Sie tun nie etwas halb. Sie sind immer in vollem Ernste.

Sie war hübsch, sehr hübsch. Sie hatte ein liebliches, schelmisches Gesicht; einen frischen kleinen Mund, der zum Küssen geschaffen schien – wie er es ohne Zweifel auch war; alle Arten lieber kleiner Grübchen um das Kinn, welche ineinander flossen, wenn sie lachte; und das sonnenhellste Paar Augen, welches je erblickt wurde. Ja, sie war reizend, liebenswürdig, hinreißend.

„Es ist ein komischer alter Kerl“, sagte Scrooge’s Neffe, „das ist wahr; und nicht so angenehm, wie er sein könnte. Doch seine Fehler bestrafen sich selbst und ich habe ihn nicht zu tadeln.“
„Er muss sehr reich sein, Fritz“, meinte Scrooge’s Nichte. „Wenigstens sagst Du es immer.“
„Was geht das uns an, Liebe!“ sagte Scrooge’s Neffe. „Sein Reichtum nützt ihm nichts. Er tut nichts Gutes damit. Er macht sich nicht einmal selbst das Leben damit angenehm. Er hat nicht das Vergnügen, zu denken – hahaha – dass er uns am Ende damit eine Freude machen wird.“
„Ich habe keine Geduld mit ihm“, bemerkte Scrooge’s Nichte. Die Schwester von Scrooge’s Nichte und all die anderen Damen waren derselben Meinung.
„O, ich habe Geduld“, sagte Scrooge’s Neffe. „Mir tut er leid; ich könnte nicht bös auf ihn werden, selbst wenn ich’s versuchte. Wer leidet unter seiner bösen Laune? Er selber, weiter Niemand. Jetzt hat er sich in den Kopf gesetzt, uns nicht leiden zu können und will nicht unsere Einladung zum Mittagsessen annehmen. Was ist die Folge davon? Er verliert nicht viel an unserm Essen.“
„Nun, ich meine, er verliert ein sehr gutes Essen“, unterbrach ihn Scrooge’s Nichte. Die Anderen sagten dasselbe und man konnte ihnen die Kompetenz nicht bestreiten, weil sie eben zu essen aufgehört hatten und jetzt bei dem Dessert bei Lampenlicht um das Kamin saßen.
„Nun, es freut mich, das zu hören“, sagte Scrooge’s Neffe, „weil ich kein großes Vertrauen in diese jungen Hausfrauen habe. Was sagen Sie dazu, Topper?“

Ganz klärlich war’s, Topper hatte ein Auge auf eine der Schwestern von Scrooge’s Nichte geworfen, denn er antwortete, ein Hagestolz sei ein unglücklicher, heimatloser Mensch, der kein Recht habe, eine Meinung über diesen Gegenstand auszusprechen; bei welchen Worten die Schwester von Scrooge’s Nichte – die Dicke mit den Spitzenkragen, nicht die mit der Rose im Haar – rot wurde.

„Weiter, weiter, Fritz!“ sagte Scrooge’s Nichte, in die Hände klatschend. „Er bringt nie zu Ende, was er angefangen hat! Er ist ein so närrischer Kerl.“

Scrooge’s Neffe schwelgte in einem andern Gelächter, und es war unmöglich, sich von der Ansteckung fern zu halten, obgleich die dicke Schwester es sogar mit quatre voleurs versuchte: sein Beispiel wurde einstimmig nachgeahmt.

„Ich wollte nur sagen“, sagte Scrooge’s Neffe, „dass die Folge seines Missfallens an uns und seiner Weigerung, mit uns fröhlich zu sein, die ist, dass er einige angenehme Augenblicke verliert, welche ihm nicht schaden würden. Gewiss verliert er angenehmere Unterhaltung, als ihm seine eigenen Gedanken in seinem dumpfigen alten Comtoir oder in seiner Wohnung geben. Ich denke ihm jedes Jahr die Gelegenheit dazu zu geben, ob es ihm nun gefällt oder nicht, denn er dauert mich. Er mag auf Weihnachten schimpfen, bis er stirbt, aber er muss doch endlich besser davon denken, wenn er mich jedes Jahr in guter Laune zu ihm kommen sieht, mit den Worten: Onkel Scrooge, wie befinden Sie sich? Wenn es ihm nur den Gedanken eingibt, seinem armen Diener funfzig Pfund zu hinterlassen, so ist das doch wenigstens etwas; und ich glaube, ich packte ihn gestern.“

Es war jetzt an ihnen die Reihe zu lachen, bei dem Gedanken, dass er Scrooge gepackt hätte. Aber da er durch und durch gutmütig war und sich nicht sehr darum kümmerte, über was sie lachten, wenn sie nur überhaupt lachten, so fiel er in ihre Fröhlichkeit ein und ließ die Flasche munter herum gehen.

Nach dem Tee war Musik. Denn sie waren eine musikalische Familie und wussten, was sie taten, wenn sie einen Glee oder Catch sangen, darauf könnt Ihr Euch verlassen, vorzüglich Topper, der den Bass brummen konnte nach Noten, ohne dass die großen Adern auf der Stirn anschwollen, oder sein Gesicht rot wurde. Scrooge’s Nichte spielte die Harfe recht gut; und spielte unter anderen Stücken auch ein kleines Liedchen (ein bloßes Nichts, Ihr hättet es in zwei Minuten pfeifen gelernt), welches das Kind, von dem Scrooge aus der Schule geholt worden war, wie ihn der Geist der vergangenen Weihnachten gezeigt hatte, oft gesungen hatte. Als Scrooge dieses Liedchen hörte, trat Alles, was ihm der Geist gezeigt hatte, wieder vor seine Seele; er wurde weicher und weicher und dachte, wenn er es vor Jahren oft hätte hören können, so hätte er die gemütlichen Seiten des Lebens genießen können, ohne erst zu des Totengräbers Spaten, der Jacob Marley begraben, seine Zuflucht nehmen zu müssen.

Aber sie widmeten nicht den ganzen Abend der Musik. Nach einer Weile fingen sie Pfänderspiele an, denn es ist gut, zuweilen Kind zu sein und vorzüglich zu Weihnachten, als der Gründer dieses Festes selbst ein Kind war. Doch halt, erst spielten sie noch Blindekuh. Und ich glaube eben so wenig, dass Topper  wirklich blind war, als ich glaube, er hätte Augen in seinen Stiefeln gehabt. Ich vermute, es war zwischen ihm und Scrooge’s Neffen abgekartet und der Geist der heurigen Weihnacht wusste es. Die Art, wie er die dicke Schwester in dem Spitzenkragen verfolgte, war eine Beleidigung der menschlichen Leichtgläubigkeit. Wo sie ging, ging er auch, die Feuereisen umstoßend, über Stühle stolpernd, an das Piano anrennend, sich in den Gardinen verwirrend. Immer wusste er, wo die dicke Schwester war. Wenn Jemand gegen ihn gefallen wäre, wie Einige taten, oder sich vor ihn hingestellt hätte, würde er getan haben, als bemühe er sich, ihn zu ergreifen, wäre aber augenblicklich umgekehrt, der dicken Schwester nach. Sie rief oft, das sei nicht ehrlich und wirklich war es das auch nicht. Aber endlich hatte er sie gefunden und trotz ihres Sträubens sperrte er sie in eine Ecke, wo keine Flucht möglich war; und da wurde seine Aufführung ganz abscheulich. Denn sein Vorgeben, er kenne sie nicht: er müsse ihren Kopfputz anfassen und, um sie zu erkennen, einen gewissen Ring auf ihrem Finger und eine gewisse Kette um ihren Hals befühlen, war ganz, ganz abscheulich! Und gewiss sagte sie ihm auch ihre Meinung darüber, denn als ein anderer Blinder an der Reihe war, waren sie hinter den Gardinen sehr vertraut mit einander.







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Textgrundlage: "Der Weihnachts-Abend",
Charles Dickens, Entstehungsdaten: 1843,
ED: 1877, Übersetzer: Julius Seybt, Verlag
G. Grote, Druck Fischer & Wittig, Erscheinungsort:
Berlin

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Bild 1: "Fezziwig‘s Weihnachtsball",
Federzeichnungen von 
John Leech (1817-1864)


Logo 171: "Ghost Trees on the Isle of Wight"
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Robin Alasdair Frederik Hutton,
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Namensnennung 2,0 US-amerikanisch.

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