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04.2
Gedichte
- Totentanz
Allgemein - Goethe
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Der
Totentanz
Der
Türmer, der schaut zu mitten der Nacht
Hinab auf die Gräber in Lage;
Der Mond, der hat alles ins Helle gebracht:
Der Kirchhof, er liegt wie am Tage.
Da regt sich ein Grab und ein anderes dann:
Sie kommen hervor, ein Weib da, ein Mann,
in weißen und schleppenden Hemden.
Das
reckt nun, es will sich
ergötzen sogleich,
Die
Knöchel zur Runde, zum Kranze,
So
arm und so jung und so alt und so reich;
Doch
hindern die Schleppen am Tanze.
Und
weil nun die Scham hier nun nicht weiter gebeut,
Sie
schütteln sich alle: da liegen zerstreut
Die
Hemdlein über den Hügeln.
Nun
hebt sich der Schenkel, nun wackelt das Bein,
Gebärden
da gibt es, vertrackte;
Dann
klippert's und klappert's mitunter hinein,
Als
schlüg' man die Hölzlein zum Takte.
Das
kommt nun dem Türmer so lächerlich vor;
Da
raunt ihm der Schalk, der Versucher, ins Ohr:
Geh!
hole dir einen der Laken.
Getan
wie gedacht! und er flüchtet sich schnell
Nun hinter geheiligte Türen.
Der Mond, und noch immer er scheinet so hell
Zum Tanz, den sie schauderlich führen.
Doch endlich verlieret sich dieser und der,
Schleicht eins nach dem andern gekleidet einher,
Und husch! ist es unter dem Rasen.
Nur
einer, der trippelt und stolpert zuletzt
Und tappet und grapst an den Grüften;
Doch hat kein Geselle so schwer ihn verletzt,
Er wittert das Tuch in den Lüften.
Er rüttelt die Turmtür, sie schlägt ihn zurück,
Geziert und gesegnet, dem Türmer zum Glück:
Sie blinkt von metallenen Kreuzen.
Das
Hemd muß er haben, da
rastet er nicht,
Da
gilt auch kein langes Besinnen,
Den
gotischen Zierat ergreift nun der Wicht
Und
klettert von Zinnen zu Zinnen.
Nun
ist's um den armen, den Türmer getan!
Es
ruckt sich von Schnörkel zu Schnörkel hinan,
Langbeinigen
Spinnen vergleichbar.
Der
Türmer erbleichet, der Türmer erbebt,
Gern
gäb' er ihn wieder, den Laken.
Da
häkelt - jetzt hat er am längsten gelebt -
Den
Zipfel ein eiserner Zacken.
Schon
trübet der Mond sich verschwindenden Scheins,
Die
Glocke, sie donnert ein mächtiges Eins,
Und
unten zerschellt das Gerippe.
oben
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Textgrundlage: " Der
Totentanz" - Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe.
Poetische
Werke [Band 1–16], Band 1, Berlin 1960 ff, S. 145-147, gemeinfrei
zeno.org
Johann Wolfgang Goethe
schrieb dieses Gedicht um
1813, während er auf der Flucht vor
den Unruhen nach den Napoleonischen Kriegen
nach Teplitz reiste. Von dort schickte er
das Gedicht per Post zu seinem Sohn August.
Dieser ließ das Werk 1815 drucken und
veröffentlichen. Ernst Barlach
illustrierte die Ballade um 1924.
wikipedia
Bilder: Zeichnung
von Ernst Barlach (erschienen 1924 bei Paul Cassirer in Berlin)
goethezeitportal
Logo 470: „Totentanz", Lundström, Johan Pehr,
Entst.J: 19. Jh, Stockholm, SE, gemeinfrei
zeno.org
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