|
|
|
|
|
lifedays-seite
moment
in time
|
|
|
04.2
Walter
Rheiner
Kleine Prosa
Das
Kabarett
hat einen riesenhaften
Namen. Wie ein
Berliner Warenhaus oder
ein New-Yorker Wolkenkratzer. Auch
der Duft der Pariser
Untergrundbahn ist mir da, wenn ich ihn höre:
„Metropol-Bierpalast“. Darum ging
ich hin, mit
ihr, der Sehr-Schönen, Sehr-Lieben.
Da es noch
früh war, bekamen
wir den wunderschönsten
Platz und waren
glücklich. Die Musiker
lagen vereinzelt, unvollzählig auf dem Podium herum wie Wachsfiguren;
sie waren noch nicht in Betrieb gesetzt. Plötzlich verdunkelte mir der
Bauch
des Oberkellners alle Aussicht, so daß ich in Schrecken und Aufregung
geriet und nach einem Schutzmann spähte; denn ich
hielt das für nicht erlaubt. Der aber stand unbekümmert streng an
einer Türe; wußte,
daß sein Dasein
so mächtig war,
daß er auch hätte abwesend
sein können und wäre doch Herr geblieben im Sturm der Antlitze, Gläser
und
Lichter. Oft schwebten Wesen vorbei in weiten weißen oder zart
hellfarbenen
Blusen, die sich wie Segel
im Winde blähten. Ich
hielt sie für himmlische Fledermäuse, und
ihre Augen schauten sehr klug aus dem Schmelz der Haare hervor. Das
ganze Innere des Kabaretts war
japanisch ausstaffiert und hieß ›Eine Nacht im Reich des Mikado›. An
die
Wände waren große Bilder mit japanischen
Männern und Frauen gespannt, die
dasaßen oder -standen
und sich ansahen, als wollten sie in der nächsten
Minute unzüchtige Handlungen begehen. In der Nähe des Ausgangs taten
sie
es auch wirklich, aber das bemerkte ich erst beim
Fortgehen.
Die Decke war
eine Wolke von Papierlaternen und
Lampions. Einige
drehten sich fortwährend
um sich selbst, wie
von
einem Uhrwerk getrieben.
Später schrieb ich
jede süße Folge der Orchestermusik ihrer Bewegung zu und
war so den ganzen Abend über aufrichtig dankbar gegen diese
Papierlampen, zu denen
man emporblicken konnte wie zu Göttern.
Wir
tranken
Bier. Das leise
Vorübergleiten der weißen
Fledermäuse dauerte
an. Auf einmal
barst das Orchester
in einem brillanten
Akkord. Der Dirigent, im lila Frack, schwamm gewaltig oben
auf. Die
Kontrabässe der Zweiten
Ungarischen Rhapsodie zogen
mächtige Furchen in die Menschenmenge. Am Nebentisch wurde
Wein getrunken; es klirrte Geld, und man stieß mit den Gläsern an,
während oben im Orchester Frisca mit
ihrem Tanzen den armen Lassan verrückt machte. Ich war sehr froh, als
es dann endlich
zum Koitus kam: tempo giusto, ratatáh
dadatatáh . . .
Dann
war
eine kleine Pause,
während der das
Gespräch der Besucher
wie ein Mückenschwarm
an der japanischen
Decke hing. Die Musiker
räumten überraschend schnell
das Podium und verzogen
sich ganz in seinen Hintergrund. Der schneeweiße
Scheinwerfer blitzte auf
und bespie sie
mit unerbittlicher Beleuchtung.
Ich schloß sanft die Augen, um abzuwarten, bis das Licht
Kraft
genug gesammelt haben
würde, eine Person
auf die Bühne zu
materialisieren. Als ich
wieder aufsah, stand
dort ein Mädchen im
kurzen Kinderkleidchen, das
den Eindruck einer Zehnjährigen erwecken
sollte, und schrie
mit Rohfleischstimme ein Lied
über die Schlamperei
in Wien. Jedes
Wort war ein Spucknapf, jede
Geste gewerbsmäßige Unzucht.
Sie verschwand schnell,
denn ich entzog ihr meine Projektionsfäche.
Als
ich mich zurücksetzen wollte, tauchte ich unvermutet mit den Blicken
in das Décolletée einer Dame, die nahebei saß. Dort blieb ich liegen
bis
zur nächsten Nummer.
Das
war
eine gigantische Negerin
mit ungeheurem, gepanzertem Brustkorb.
Sie wuchs auf
die Bühne wie ein
Turm. Der Kapellmeister glitzerte
mit seinen Brillanten
und schillerte mit dem
Frack. Sie hatte
ein feuerrotes Schleppkleid
an, und ihre Augen
waren Büsche im Urwald. Sie sang mit strahlendem Gebiß
und
majestätischem Blick ein
englisches Lied, während ihr
Kinn bulldogghaft hin- und herschwappte. Sie trat als Stimmphänomen
auf; ihre Stimme war wie geschmolzener Stahl im
Hochofenausfluß; bei
den piano-Stellen kreiste
sie über uns wie ein tropischer Sternenhimmel.
Sie bekam viel Applaus; selbst meine Kleine
war erschüttert und
klatschte. Dann sang
sie ein amerikanisches
Tanzlied, tanzte aber nicht beim Refrain, sondern deutete im
synkopierten
Zucken der Unterarme und Knöchel den Tanz nur an, der vielleicht alle
Saloons
der Bowery bewegt. MeinHerz hüpfte mit.
Dann
war sie fort. Ich sah sie durch die Menge schreiten,
beifallumplätschert. Sie
entfernte sich, und
ihr Kleid, feuerrot
und immer dunkler werdend, schleppte nach. Und plötzlich kam mir
ein
dämmerndes Gefühl, Ahnung
von Abschied, und
Gesichter tauchten mir
auf, die lange
in meiner Seele
gelegen hatten. Ich klammerte
mich innerlich an die Frau neben mir, die ich liebte, und wollte einen
Augenblick lang fort. Doch
schon gab die Musik eine Einlage.
Es
war sehr lustig. Der
Kapellmeister ulkte mit dem Taktstock, und das Publikum amüsierte sich
sehr. In
mir war ein Wirbel. Ich war ganz nahe bei der
Frau neben mir, die ich liebte. Sie redete, ich hörte zu. Manchmal
sprach auch ich, doch fiel mir nie ein, das zu
sagen, was eigentlich in mir war. Eine neue Reihe der weißen Engel floß
still vorbei; sie gingen in die Bar. Ich war weit fort, die Zeit
verfloß wohl. Als ich einmal auf das Podium
sah, erblickte ich einen drolligen
Neger mit einer Baßklarinette. Auf der grölte er: „Mariette, ma
midinette“ . . .
Seine Partnerin verbot ihm das, er tat es aber immer wieder. Sie
stellte
ein American girl vor und hatte sehr
wenig an. Ihre starken und festen Brüste, über die sich das Kleid
straffte, wälzten sich mir um den Kopf.
Ich dachte, das Kleid würde zerreißen, aber das geschah nicht.
Ein
Humorist
kam, sang, erzählte,
machte Kapriolen. Wir lachten
beide sehr. Dann
gingen wir. Unter
der Tür schillerte der Kapellmeister noch einmal
gewaltig auf; aber die japanischen Bilder, die schon zu großer Unzucht
übergegangen waren, ließen uns
links liegen. Die
Lampions tanzten, die
Musik schrie, die Blusen
leuchteten. –
Was
blieb, war das Gesicht der Garderobefrau, arm, fern, nüchtern und
eindringlich. War sie es, die ich dann später in den Armen hielt, in
der heißen, uferlosen
Nacht?
weiter
___________________________
Textgrundlage: "Kleine
Prosa", Walter Rheiner
BookOS
Logo 515: “Deat Rat Café" The Cocainbe Fiends, 1935
,
gemeinfrei
wikimedia
|
lifedays-seite
- moment in time |
|
|
|
|
|
|
|