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04.3
Walter Rheiner
KOKAIN
Novelle
II
Federnden
Schrittes ging er hin und ließ sich am
beglänzten Marmortisch
voll plaudernder Frauen und Herren nieder. Er bestellte und entzündete
die herbe Zigarette, den Gefährten
in Trauer und Glück.
Doch da er
aufschaute, sah er die Nacht drohen hinter
dem aromatischen
Qualm, den sein Mund ausstieß
– jene
Nacht, seine Nacht, die mit
schwarzem Faustschlag diese kurzen Minuten
des heiteren
Rausches zertrümmerte und sich selbst unerbittlich
heranschob mit jenem neuen
düsteren Qual-Rausch, dessen rhapsodischen
Gesang, endlos gedehnt, sie ihm von jetzt an in die Ohren gellte.
Was verzerrten sich die Antlitze ihm gegenüber am
Tisch, die eben noch lächelten? Woher die schielende Bedeutung
in den Blicken, die diese Menschen ihm zuwarfen und dann untereinander
austauschten, vielsagend und unwillig?
Und da beugten sie sich auch schon zueinander und
flüsterten ...
Angestrengt horchte er hin ... und da, war es nicht da?
Hatte er nicht eben deutlich das Wort vernommen, das fatale Wort, das
riesenhaft über die Firmamente dieser seiner Nächte gespannt war und
(im Klang schon erbarmungslose Maschine) ihn langsam zerhackte:
Kokain! ... Ko-ka-in!
Stück für Stück hackte es ab von ihm, bis er dereinst bald
ganz zermalmt sein wird.
Da, jener Herr (... bleich sprang Tobias der Schreck in
die Augen ...): ganz deutlich, unerhört leise und klar zugleich, hatte
er gesagt: "Diese Bestie pumpt sich jeden Abend mit Kokain voll!"
Ach, da schlug das Herz in rasendem Getrommel, da würgte
etwas den kalten klammen Hals, da fuhr eine geisterhafte Hand durch das
Haar, das zitterte, und ein kalter Schweiß brach unter dem Rückrat aus.
Auf! Fort von hier! Schon
schwirrte die große Peitsche in der Luft über seinem Haupt. Es knallte
und klatschte laut. Bebend bezahlte er, erhob sich
wankend und
wie gelähmt und floh, floh aus diesem Kessel hinaus.
Ein Blick zurück im Hinausstürzen
zeigte ihm noch, wie alles Publikum
schon aufmerksam geworden war. Man lachte, man deutete auf Tobias.
Ein fetter Herr, ganz rot im
Gesicht, schlug sich brüllend
vor Lachen
auf den Schenkel und bog sich zurück, der rote Kopf drohte abzubrechen
und hinter die Stuhllehne zu kollern. – Gräßlich! – Die Wirbeltür spie
Tobias auf die Straße. Aber auch hier war kein Rasten für ihn. Die
Menschen blieben stehen und schauten ihn an. Harmlose Spaziergänger
schüttelten die Köpfe und ließen
Tobias herankommen, um ihn genauer zu betrachten. Hier konnte er nicht
bleiben!
Er drückte sich eilig die Häuser
entlang, die
Joachimsthaler Straße
hinauf, zum Bahnhof: schon gehetztes Wild, verscheucht von jedem
Fensterladen, der sein Licht auf ihn warf. Was blieb ihm übrig in
solcher Not, da Gott ihn
höhnisch auf den nächtigen Wolken anschrie und
Erzengel eherne Fäuste schüttelten, daß die Straßen klirrend
widerhallten? Was blieb anderes als das gebenedeite Gift, das er
in der
Tasche trug?
Die Tränen stiegen ihm bereits in
die Kehle, als
er in der Bahnhofshalle verschwand. Wieder kehrte er ein bei den
Aborten, er, der stete Gast, er,
die stinkende Kellerassel, das
Klärichtvieh.
Hei, da pfiffen,
den lieben Vöglein auf der Dämmerung gleich, die
Bahnhofsbeamten auf ihren Signalpfeifen – oh, da klappten die
Schaltertürchen der Fahrkartenausgabe auf, und alles schaute diesem
Menschen nach, der, einem Betrunkenen ähnlich, zu den Aborten torkelte.
Er riegelte sich auf einem der Klosetts ein. Was war
das für
ein Leben? Ein Aasleben! O du verhaßt-geliebtes Gift,
Kokain, Kokain (... die Maschine stampfte: klick-klack,
klickklack: wieder ein Stück ab ...).
Oben donnerte der Zug in die Halle (... sicherlich, dachte
Tobias, Expreß zur Riviera, weiß schon: blaue Gestade,
taubenumflattert, Pinien- und Orangenhain und der selige
Berg: Santa Margherita ... ), und er nahm zwei neue Injektionen vor, in
beide Oberschenkel je eine.
Das erleichterte einen Augenblick: ... Riviera, dachte Tobias, Riviera,
Santa Margherita ...
Dann betete er, murmelnd: Gib,
lieber Herr von Gott, du
selige Exzellenz, gib, daß ich bei der nächsten Injektion lautlos
verrecke!
Als
er die Waschräume der
Bahnhofshalle verließ, schien ein Rauschen den riesigen gewölbten Raum
zu erschüttern. Normaluhr drohte mit aufrechtem Finger: zwölf Uhr.
In der Vorhalle war ein tosender
Verkehr. Gekreisch einer
Horde von
Satanen stürzte in Tobias’ Ohren, der sich durch die (vermeintliche)
Menschenmenge drängte, schamerfüllt, als sei er nackt.
Hatten
diese Menschen, dieses Gebräu aus Hohn und Schadenfreude, nichts
anderes zu tun, als ihm aufzulauern, sich am Bahnhof aufzustellen um
Mitternacht, um dies Schauspiel zu genießen: – wie er, der Kokainist,
aus seiner Kloake gekrochen kam, mit blutenden Armen und Beinen, an die
sich das Hemd festklebte? Fluch über sie! Fluch über seinen hellen
Anzug ... Da: waren das nicht schon Blutflecke?
Er feuchtete die Fingerspitzen an
und wollte so die Flekken fortreiben.
Am Ausgang wollte er sich in die
Brandung der Straße stürzen, doch
plötzlich schwenkte er ab und versteckte sich unter der Bahnüberführung.
weiter
oben
_________________________________
Textgrundlage: „Kokain“, Novelle,
Walter Rheiner.
Die Originalausgabe erschien mit sieben Zeichnungen von
Felixmüller im Dresdner Verlag von 1917, Dresden 1918
bookos.org
Logo
514: Editorial cartoon showing Uncle Sam bothered by
Demon Rum
and the various
monstors of drug addition which follow him.
1919,
gemeinfrei
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