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04.3
Walter Rheiner
KOKAIN
Novelle
Zwei
Damen
standen an der Straßenecke, dem Bahnhofsausgang gegenüber. Tobias
äugte schnaufend hin: Oh, wie kamen die hierher?
Das war seine Mutter und seine Schwester.
Aber waren die nicht in Köln?
Gewiß, die mußten eigentlich in Köln sein! Aber
wer weiß? Vielleicht hatte
sie der Herr Bahnhofsvorsteher
telegraphisch nach Berlin
gerufen, damit die
Mutter ihren Sohn, die Schwester ihren Bruder sehen
könne, teilnehmen könne an dem unterhaltenden Schauspiel,
das das
Publikum von Berlin
W allabendlich genoß, interessanter und billiger als
im Palast-Theater oder in Nelsons
Künstlerspielen, an der amüsanten
Tragikomödie: "Der
Kloakenprinz oder - Mein Gott, mein Gott, warum
hast du mich verlassen."
Sie standen an der Ecke, im brutalen Licht der bläulichen Bogenlampe.
Die Kleider wehten ihnen um die Leiber. Es war ein Klappern da, als
ob ihnen die Gebeine schlotterten. Oder
waren es seine? Seine
Knie zitterten. Die Hände
auch. Sie
waren so dünn! Sah
er durch die gespreizten
Finger hindurch,
so waren die vielen Lichter
wirr gaukelnde kalte Monde, die mit leisem
Puff von den schwarzen Pfählen
sprangen und auf
dem Asphalt
zerschellten.
Regungslos standen die beiden Frauenfiguren. Ha, er
kannte das! ... sie
taten so
unbeteiligt und hielten ihn doch scharf im Auge! ...
Kleine blonde Schwester, lieber Dotz, warum
läßt du mir keine Ruhe? Und Sie, Frau Sch..., Eveline
oder Ernestine mit dem schwer aussprechlichen
Vatersnamen, Sie, teure Mutter, wie? ... mir schon wieder auf den Fersen? Und so weit her! Vom Rande Deutschlands nach Berlin, bloß
um den Verlorenen Sohn zu
ängstigen?
Würdig,
dreimal
würdig
Ihrer Mutterliebe!
... Was steht ihr da? Wie? Ihr Grimassen!
Eine Welle
flog durch sein brausendes Gehirn.
Er faßte sich ein Herz. Wut packte ihn.
Er ging auf die beiden Gestalten
zu, wollte
am Ausgange des Untergrundbahnhofes vorbei, der seine Treppe auf die Straße
warf, von stilisierten Lampen
umrankt.
Aber es quoll aus dem Schlund
des unterirdischen Baues herauf - eine schwarze
Menschenmenge, die ihn rasch umzingelte. Geschrei ohrfeigte ihn aufs neue. Schnell atmend
entwand er sich dieser neuen Gefahr und schoß auf
die Straßenecke zu, wo die beiden Damen standen.
Standen? Standen?
Er
sah nur zwei Reklameschilder, in Schwarz
und Gold, die ihm unverschämt entgegenleuchteten. Keine Frauen da, kein
Mensch! ... Ach, ein kümmerlicher Hund nur strich
langsam um die Ecke, schnüffelte und verrichtete
seine übliche Notdurft.
Tobias, der
seine Lunge dunkel, schwer und wie
samten werden fühlte, drückte
sich in den
Hauseingang und
spritzte, halbtot vor Angst, beobachtet zu werden, ein neues Quantum Kokain in den rasch
vom Ärmel entblößten
Unterarm.
weiter
oben
_________________________________
Textgrundlage: „Kokain“, Novelle,
Walter Rheiner.
Die Originalausgabe erschien mit sieben Zeichnungen von
Felixmüller im Dresdner Verlag von 1917, Dresden 1918
bookos.org
Logo
514: Editorial cartoon showing Uncle Sam bothered by
Demon Rum
and the various
monstors of drug addition which follow him.
1919,
gemeinfrei
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