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04.3
Geschichten
Emil Verhaeren
Fünf Erzählungen
Der
Jahrmarkt
zu Opdorf
Alljährlich
im Juni findet in dem kleinen Dorfe Opdorp, dicht an der Grenze von
Flandern und
Brabant, ein berühmter Jahrmarkt von bunt und heiter aufgeputzten
Pferden
statt. Um ein weites, rasengeschmücktes und von Ulmen, Eschen und
Weiden
geziertes Viereck reihen sich die Häuser — ihre Mauern gleichen weißen
Röcken, ihre Dächer roten Kappen —, und sie bewachen einander mit den
frisch
gewaschenen und sauberen Augen ihrer Fenster. Am Ende steht die Kirche
mit dem
Turm und seinem goldstrahlenden Hahn; um sie der armselige, ungezäunte
Friedhof.
Das
Dörfchen ist still, traurig, unscheinbar. Die Arbeit geht dort in
Regelmäßigkeit, ohne Eile, mit langsamen Händen vor sich, als wollte
man, ohne
je es zu verwirren, das nützliche und kostbare Gewebe der Zeit
abhaspeln.
An
Werktagen
entströmt den Kellern ein Duft von Butter und Milch. Langsam
hinziehende Kuhherden
kommen des Abends von der Tränke und den Wiesen heim; hinter
ihnen pfeift der Kuhhirt sein Lied. Ein Brüllen wird laut, ein Tor
knarrt, ehe
es sich schließt. Nur der Turm verbreitet mit seinem Geläute des
Sonntags ein
wenig frommes und wärmeres Leben. Man drängt sich zur Messe, zur
Vesper, zum
Schlußgebet. Vom Montag an wird alles Leben wieder still und tritt in
seine
geregelte und eintönige Ordnung.
Der
Jahrmarkt von Opdorp aber ist berühmt. Da finden sich beim ersten
Morgengrauen
die linkischen Füllen ein, die neben ihren Müttern mit kindlichem Trab
daherhüpfen; die ungeheuren Hengste, die von Bauernburschen am Halfter
gefuhrt
werden; dann Arbeitstiere, eine Art von eigensinnigen und noch
kräftigen Dienstboten
nach weiß Gott wie viel erbrachten Saaten und Ernten, weiß Gott wie
vielen Mühen
im weichen, fetten Boden der flandrischen Herbsterde.
Sie
ziehen längs der Buden hin, und die Hanswurste erschrecken sie durch
ihren
Lärm, schlagen sie mit ihren hölzernen Degen auf die Kruppe, schimpfen
auf ihre
tölpelhafte Art und machen sich über ihre wolligen Schwänze und die
durch ihre
Zottigkeit noch schwerfälliger aussehenden Hufe lustig, die groß und
rund sind
wie riesige Schwämme. Zwischen Bauern und Clowns entsteht Streit; die
einen bekräftigten
ihren Zorn mit Faustschlägen, die andern schütteln flink und lachend
ihr ihre
Beschimpfungen gleichsam aus dem Ärmel und bekräftigen sie mit einem
Nasenstüber.
Schreie ertönen, streifen an den Anschlagzetteln vorbei, verlaufen sich
in den
Gassen und Gäßchen aus Zelttuch und vermengen sich mit dem Wiehern der
Pferde,
den Hufschlägen, dem Klang des stolpernden Galopps auf dem Pflaster.
Sobald die
Trompeten und Posaunen und die große Trommel sich hören lassen, wird
der
Spektakel zur Raserei. Es ist, als ob das ganze Dorf sich in einen
riesigen
Strauß von Getöse verwandelt hätte, in dem schrille Töne, freche Pfiffe
und furchtbare
Laute die
derben, düsteren und roten Blumen darstellten.
Trotzdem
aber finden sich die Leute aus der Umgebung, obwohl es noch jährlich
bei diesem
Feste sehr übermütig zugeht, immer spärlicher ein. Sie haben ihre guten
Gründe.
Seinerzeit
sandten die Bischöfe von Gent und Tournay ihre Stallmeister hin, die
großen
Abteien von Aberbode und Perck trafen dort die Auswahl ihrer Tiere, und
hauptsächlich schickte die Leichenbestattung der kleinen Stadt Termonde
alle
fünf Jahre ihre prunkvollsten Totenwagen, gezogen von vier schwarzen,
abgenützten mageren Mähren, die man nach einigen Dienstjahren ersetzen
mußte,
damit der Pomp der wohlbestallten Leichenbegängnisse keine Kritik zu
fürchten
habe.
Sobald
die Ankunft des Wagens angezeigt war, bestiegen die Hanswurste wieder
die Bühne
und überboten sich in närrischen Reden. Vier vergoldete Skelette hingen
zur
Seite des Gefährtes, ein Clown kniff sie ins Kinn, ein anderer steckte
Blumen
in ihre Knochenhöhlen. Die Musikanten bliesen mit geschwollenen Backen
heftige Trauermärsche,
aufgeregte Affen verrenkten sich in Sprüngen längs der Budenplanken,
und die
Schlangenbändigerin, ihre Riesenschlange um den Leib gewunden, packte
den Kopf
des Tieres und streckte ihn mit offenem Rachen dem nahenden finsteren
Gefährt entgegen.
Das
Gespann fuhr langsam an dem zynischen und grotesken Mummenschanz
vorbei,
streifte mit seinen Federbüschen und schwarzen Behängen den gemeinen,
grellen
Aufputz, die kreuz und quer aufgeklebten Anschlagzettel und die
gehißten Fahnen
und Wimpel. Der Wagen war voll nichtsnutziger Gassenjungen und
-mädchen, die
auf den Brettern, die sonst zum Tragen der Särge dienten, herumtanzten
und sich hin
und her stießen. Neben dem Glockenturm hatten sich ein oder zwei Küster
aufgestellt. Und damit der Frevel vollständig sei, brannten düster und
zwecklos
die Lichter der vier Laternen.
Der
Kutscher stellte im Gasthof „Zu den drei Königen" ein. Sobald er
ausgespannt hatte, verkaufte er seine Tiere, die den Abdecker
schielenden Auges
betrachteten. Rasch handelte er andere ein, ohne den Preis besonders zu
drücken
; die Leichenbestattung von Termonde war reich.
Und
kaum war die Wirtin bezahlt, das Glas in Eile geleert, die Harnische
und das
Sattelzeug gebürstet, die Riemen verkürzt oder verlängert . . . je nach
dem Maß
der neuen und diesmal munteren Rosse, setzte sich das verjüngte Gespann
mit den
Kirchenvorstehern und Gassenjungen, die auf den Sitzen und Brettern
thronten,
wieder in Bewegung. Es schlug denselben Weg ein, den es gekommen war,
aber diesmal
stellten die Jahrmarktsleute,
die jetzt vor seinem anständigen Aussehen
ernster
und fast ehrfurchtsvoll verharrten, alle Possen ein.
Ein
wenig Staunen,
wenn
nicht gar ein wenig Furcht, hatte sie ergriffen, und man sah, wie ihre
Frauen
sich bekreuzten. Der Tod, der des Morgens zerschlagen, hinkend,
abgebraucht, zu
nichts mehr nütz geschienen hatte, trabte nun, herausgeputzt wie zum
Kampfe,
wieder munter von dannen.
Nun
geschah es, es dürfte so zwanzig Jahre her sein — und seither ist der
Jahrmarkt
wie verflucht —, da waren die neugewählten Pferde so ungestüm und
unlenksam, daß sie
das Dorf im Sturmlauf verließen.
Sie rannten
Buden und Gestelle um, und
weiter
draußen, auf der Landstraße, gingen sie, dank einer am Wegrand
aufgepflanzten Vogelscheuche,
durch. Die auf den Wagen Gekletterten bekamen Angst; einige sprangen,
auf die Gefahr hin, sich zu erschlagen, auf Böschungen in die weiche
Erde am
Wege, andere wieder, aneinander gekauert, stießen so schreckliche
Schreie aus,
daß die Leute mit zum Himmel gerungenen Händen aus den Gehöften
hervorkamen. Im
vollen Sonnenschein, mit fliegenden Behängen, polternden Rädern,
stürzte der
Leichenwagen, ein lebendiges schwarzes Gerassel, vorbei. Die Laternen
hüpften in
ihren Untersätzen, das entwurzelte Kreuz wurde heftig von rechts nach
links und
von links nach rechts geschüttelt, die Silberfransen verwickelten sich
in den
Büschen, und an den Zweigen blieben schwarze Fetzen hängen.
Von
den Wällen in Termonde sah man diesen Wirbel herankommen, und der
Schrecken war
groß. Man ängstigte sich hauptsächlich wegen der Kirchenvorsteher,
dieser
ehrbaren, gediegenen Würdenträger, deren Beine nicht mehr geschmeidig
genug
waren, um abzuspringen.
Der
wildwütende Leichenwagen durchquerte die ganze Stadt. Das gab Schreien
und
Klagen. Das Entsetzen verbreitete sich von Haus zu Haus, von Stadtteil
zu
Stadtteil. Man sah Frauen, die die Hände nach ihren Knaben oder Mädchen
ausstreckten, die der Wirbel mit fortführte. Ein Greis wurde über den
Haufen
gerannt. Die Straßen leerten sich . . . Bleiche Gesichter drückten sich
an die
Fensterscheiben. Leute liefen atemlos hinter dem Wagen her.
Der
Glöckner am
Hauptplatz wollte die Sturmglocke läuten,
aber der Tod lief
zu rasch, und der Blitz seines Vorbeijagens traf
schon das entgegengesetzte
Ende der Vorstädte.
Die
wahnsinnigen Pferde, weiß von schäumendem Schweiß, Blut an den Mäulern
hielten erst
vor einer Friedhofsmauer an. Eines von ihnen schlug hin. Ein kleines
Mädchen wurde
getötet. Einem Kirchenvorsteher wurde das Bein zermalmt. Alle anderen
hatten
Verletzungen zu beklagen. Nur der Kutscher kam heil davon, ohne den
kleinsten
Riß, und da sich die Pferde ihrerseits von ihrem Schrecken erholt
hatten,
lachte er schließlich über das Abenteuer.
Aber
die Menge ließ sich ihre Furcht nicht nehmen. Was für ein unseliges
Geschehnis mochte
dieser so sinnfällige Unglücksfall voraussagen? Sie verdoppelten ihre
Gebete und
Andachtsübungen. Es half nichts.
Während
des endlosen Winters wurde die Stadt durch ein unbekanntes Fieber
verwüstet, und
die Scheide trat dreimal über die Ufer. Die Straßen, durch die der
Leichenwagen
gekommen war, wurden vor allen andern ergriffen. Die Trauer erstreckte
sich bis
Opdorp.
Wie
sehr schwand aus dem reinen, netten Dorfe die Ruhe! Täglich gab es
einen
Todesfall. Dies dauerte Monate und Monate solchermaßen an, daß man den
Friedhof vergrößern
mußte.
Noch
heute hat sich die Erinnerung
dieses schwarzen Ereignisses
kaum abgeschwächt,
ja man sagt, daß in wenigen Jahren der berühmte Jahrmarkt von Opdorp
aus den
Kalendern gestrichen sein wird.
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