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Literatur


04.2


Literarische Epochen

Verzeichnis der literarischen Epochen




Deutscher Barock
- Angelus Silesius -

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  Epigramme

Gott lebt nicht ohne mich
Ich weiß, daß ohne mich Gott nicht ein Nun kann leben,
Werd' ich zunicht', er muß von Not den Geist aufgeben.

Gott ergreift man nicht
Gott ist ein lauter Nichts, ihn rührt kein Nun noch Hier:
Je mehr du nach ihm greifst, je mehr entwird er dir.

Der Mensch ist Ewigkeit
Ich selbst bin Ewigkeit, wenn ich die Zeit verlasse
Und mich in Gott und Gott in mich zusammenfasse.

Ein Abgrund ruft dem andern
Der Abgrund meines Geists ruft immer mit Geschrei
Den Abgrund Gottes an: Sag, welcher tiefer sei ?

Das Bildnis Gottes
Ich trage Gottes Bild: Wenn er sich will besehn,
So kann es nur in mir, und wer mir gleicht, geschehn.

Die Gottheit ist ein Nichts
Die zarte Gottheit ist ein Nicht und Übernichts:
Wer nichts in allem sieht, Mensch, glaube, dieser sieht's.

Man weiß nicht, was man ist
Ich weiß nicht, was ich bin. Ich bin nicht, was ich weiß:
Ein Ding und nicht ein Ding: Ein Tüpfchen und ein Kreis.

Du mußt, was Gott ist, sein
Soll ich mein letztes End und ersten Anfang finden,
So muß ich mich in Gott und Gott in mir ergründen.
Und werden das, was Er: Ich muß ein Schein im Schein,
Ich muß ein Wort im Wort, ein Gott im Gotte sein.

Erheb dich über dich!
Der Mensch, der seinen Geist nicht über sich erhebt,
Der ist nicht wert, daß er im Menschenstande lebt.

Zufall und Wesen
Mensch werde wesentlich: Denn wann die Welt vergeht.
So fällt der Zufall weg, das Wesen, das besteht.

Dein Kerker bist du selbst
Die Welt, die hält dich nicht, du selber bist die Welt,
Die dich in dir mit dir so stark gefangen hält.

Wer in dem Wirken ruht
Der Weise, welcher sich hat über sich gebracht,
Der ruhet, wann er läuft, und wirkt, wenn er betracht.

Die Unruh kommt von dir
Nichts ist, dirs dich bewegt, du selber bist das Rad,
Das aus sich selbsten läuft und keine Ruhe hat.

Sei mehr als ein Mensch
Erkenne selber dich. Wer sich erkennen kann,
Trifft inner sich oft mehr als einen Menschen an.

Ohne warum
Die Ros' ist ohn warum, sie blühet, weil sie blühet,
Sie acht' nicht ihrer selbst, fragt nicht, ob man sie siehet.

Der Geist ist wie das Wesen
Mein Geist ist wie ein Sein: Er ahnt dem Wesen nach,
Von dem er urgestand und anfangs aufgebrach.

Jetzt mußt du blühen
Blüh auf, gefrorner Christ, der Mai ist für der Tür:
Du bleibest ewig tot, blühst du nicht jetzt und hier.

Das Große ist im Kleinen verborgen
Der Umkreis ist im Punkt, im Samen liegt die Frucht,
Gott in der Welt: Wie klug ist, der ihn drinne sucht!

Das Innere bedarf nicht des Äußeren
Wer seine Sinnen hat ins Innere gebracht,
Der hört, was man nicht redt, und siehet in der Nacht.

Eines offenbart alles
Wer die Natur der Ding und Sachen will ergründen:
Kennt alle, kann er recht die Tür zu einem finden.

Eines so alt als das andere
Nichts wird, nicht ist, nicht bleibt im Himmel und auf Erden,
Als diese Zwei: Das ein ist Tun, das andre Werden.

Beschluß
Freund, es ist auch genug. Im Fall du mehr willst lesen,
So geh und werde selbst die Schrift und selbst das Wesen.






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Textgrundlage: Epigramme
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