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Literatur


04.2


Literarische Epochen

Verzeichnis der literarischen Epochen
Realismus



 Die arme Else

Die Mutter spricht: „Lieb Else mein,
Du musst nicht lange wählen;
Man lebt sich ineinander ein,
Auch ohne Liebesquälen;

Manch Eine nahm schon ihren Mann,
Dass sie nicht sitzen bliebe,
Und dünkte sich im Himmel dann,
Und – alles ohne Liebe.“

Jung-Else hört’s und schloss das Band,
Das ew’ge, am Altare,
Es nahm zur Nacht des Gatten Hand
Den Kranz aus ihrem Haare;
Ihr war zu Sinn, als ob der Tod
Zur Opferbank sie triebe,

Sie gab ihr alles, nach – Gebot,
Und – alles ohne Liebe.
Der Mann ist schlecht; er liebt das Spiel
Und guten Trunk nicht minder,
Sein Weib zu Hause weint zu viel,
Und ewig schrei’n die Kinder;

Spät kommt er heim, er kost, er – schlägt,
Nachgiebig jedem Triebe,
Sie trägt’s, wie nur die Liebe trägt,
Und – alles ohne Liebe.

Sie wünscht sich oft, es wär’ vorbei,
Wenn nicht die Kinder wären,
So aber sucht sie immer neu,
Den Gatten zu bekehren;
Sie schmeichelt ihm, und ob er dann
Auch kalt beiseit’ sie schiebe,
Sie nennt ihn „ihren liebsten Mann“,
Und – alles ohne Liebe.


 Berliner Republikaner

Berliner Jungen scharten sich
Vor einiger Zeit allabendlich
Nicht weit vom Kupfergraben
Und sangen gottserbärmlich:
„Wir brauchen keenen Kenig nich,
Wir wollen keenen haben!“

Da endlich packt ein Fußgendarm
Nicht eben allzuzart am Arm
Den allergrößten Jungen,
Und spricht: „He, Bursch, juckt dir das Fell,
Du Tausendsapperments-Rebell?
Was hast du da gesungen?“

Doch der Berliner comme il faut
Erwidert: „Hab Er sich nicht so,
Und laß Er sich begraben;
Wozu denn gleich so ängstiglich,
Wir brauchen keenen Kenig nich,
Weil wir schon eenen haben!“





oben
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Textgrundlage: „Die arme Else“, Theodor Fontane, aus:
Die zehnte Muse. Dichtungen vom Brettl und fürs Brettl.
S. 267–268,  Herausgeber:  Maximilian Bern.  ED: 1904,
Verlag: Otto Eisner, Berlin
wikisource.org


Textgrundlage: „Berliner Republikaner“, aus:
Aus dem Nachlaß von Theodor Fontane. S. 129,
Herausgeber: Josef Ettlinger, Auflage: 4. Auflage,

 ED: 1908, Verlag: F. Fontane, Berlin

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"Die Wellen", Gustav Courbet, 1869,
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