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04.2
Literarische Epochen
Verzeichnis der literarischen Epochen
Realismus
Die
Füße im Feuer
Wild
zuckt der Blitz. In fahlem Lichte steht ein Thurm.
Der
Donner rollt. Ein Reiter kämpft mit seinem Roß,
Springt
ab und pocht ans Thor und lärmt. Sein Mantel saust
Im
Wind. Er hält den scheuen Fuchs am Zügel fest.
Ein
schmales Gitterfenster schimmert golden hell
Und
knarrend öffnet jetzt das Thor ein Edelmann ...
–
„Ich bin ein Knecht des Königs, als Courier geschickt
Nach
Nimes. Herbergt mich! Ihr kennt des Königs Rock!“
– „Es
stürmt. Mein Gast bist du. Dein Kleid, was kümmert’s mich?
Tritt
ein und wärme dich! Ich sorge für dein Thier!“
Der
Reiter tritt in einen dunklen Ahnensaal,
Von
eines weiten Herdes Feuer schwach erhellt,
Und
je nach seines Flackerns launenhaftem Licht
Droht
hier ein Hugenott im Harnisch, dort ein Weib,
Ein
stolzes Edelweib aus braunem Ahnenbild ...
Der
Reiter wirft sich in den Sessel vor dem Herd
Und
starrt in den lebend’gen Brand. Er brütet, gafft ...
Leis
sträubt sich ihm das Haar. Er kennt den Herd, den Saal ...
Die
Flamme zischt. Zwei Füße zucken in der Glut.
Den
Abendtisch bestellt die greise Schaffnerin
Mit
Linnen blendend weiß. Das Edelmägdlein hilft.
Ein
Knabe trug den Krug mit Wein. Der Kinder Blick
Hangt
schreckensstarr am Gast und hangt am Herd entsetzt ...
Die
Flamme zischt. Zwei Füße zucken in der Glut.
–
„Verdammt! Dasselbe Wappen! Dieser selbe Saal!
Drei
Jahre sind’s ... Auf einer Hugenottenjagd ...
Ein
fein, halsstarrig Weib ... „Wo steckt der Junker? Sprich!“
Sie
schweigt. „Bekenn!“ Sie schweigt. „Gieb ihn heraus!“ Sie schweigt.
Ich
werde wild. Der Stolz! Ich zerre das Geschöpf ...
Die
Füße pack’ ich ihr und blöße sie und strecke sie
Tief
mitten in die Glut ... „Gieb ihn heraus!“ ... Sie schweigt ...
Sie
windet sich ... Sahst du das Wappen nicht am Thor?
Wer
hieß dich hier zu Gaste gehen, dummer Narr?
Hat
er nur einen Tropfen Bluts, erwürgt er dich.“
Ein
tritt der Edelmann. „Du träumst! Zu Tische, Gast ...“
Da
sitzen sie. Die Drei in ihrer schwarzen Tracht
Und
er. Doch keins der Kinder spricht das Tischgebet.
Ihn
starren sie mit aufgerissnen Augen an –
Den
Becher füllt und übergießt er, stürzt den Trunk,
Springt
auf: „Herr, gebet jetzt mir meine Lagerstatt!
Müd
bin ich wie ein Hund!“ Ein Diener leuchtet ihm,
Doch
auf der Schwelle wirft er einen Blick zurück
Und
sieht den Knaben flüstern in des Vaters Ohr …
Dem
Diener folgt er taumelnd in das Thurmgemach.
Fest
riegelt er die Thür. Er prüft Pistol und Schwert.
Gell
pfeift der Sturm. Die Diele bebt. Die Decke stöhnt.
Die
Treppe kracht ... Dröhnt hier ein Tritt? ... Schleicht dort ein
Schritt? ...
Ihn
täuscht das Ohr. Vorüber wandelt Mitternacht.
Auf
seinen Lidern lastet Blei und schlummernd sinkt
Er
auf das Lager. Draußen plätschert Regenflut.
Er
träumt. „Gesteh!“ Sie schweigt. „Gieb ihn heraus!“ Sie schweigt.
Er
zerrt das Weib. Zwei Füße zucken in der Glut.
Aufsprüht
und zischt ein Feuermeer, das ihn verschlingt ...
–
„Erwach! Du solltest längst von hinnen sein! Es tagt!“
Durch
die Tapetenthür in das Gemach gelangt,
Vor
seinem Lager steht des Schlosses Herr – ergraut,
Dem
gestern braun sich noch gekraust das Haar.
Sie
reiten durch den Wald. Kein Lüftchen regt sich heut.
Zersplittert
liegen Aestetrümmer quer im Pfad.
Die
frühsten Vöglein zwitschern, halb im Traume noch.
Friedsel’ge
Wolken schwimmen durch die klare Luft,
Als
kehrten Engel heim von einer nächt’gen Wacht.
Die
dunkeln Schollen athmen kräft’gen Erdgeruch.
Die
Ebne öffnet sich. Im Felde geht ein Pflug.
Der
Reiter lauert aus den Augenwinkeln: „Herr,
Ihr
seid ein kluger Mann und voll Besonnenheit
Und
wißt, daß ich dem größten König eigen bin.
Lebt
wohl. Auf Nimmerwiedersehn!“ Der Andre spricht:
„Du
sagst’s! Dem größten König eigen! Heute ward
Sein
Dienst mir schwer ... Gemordet hast du teuflisch mir
Mein
Weib! Und lebst! ... Mein ist die Rache, redet Gott.“
Der
geschändete Baum
Sie
haben mit dem Beile dich zerschnitten,
Die
Frevler – hast du viel dabei gelitten?
Ich
selber habe sorglich dich verbunden
Und
traue: Junger Baum, du wirst gesunden!
Auch
ich erlitt zu schier derselben Stunde
Von
schärferm Messer eine tiefre Wunde.
Zu
untersuchen komm’ ich täglich deine
Und
unerträglich brennen fühl’ ich meine.
Du
saugest gierig ein die Kraft der Erde,
Mir
ist, als ob auch ich durchrieselt werde!
Der
frische Saft quillt aus zerschnittner Rinde
Heilsam.
Mir ist, als ob auch ich’s empfinde!
Indem
ich deine sich erfrischen fühle,
Ist
mir, als ob sich meine Wunde kühle!
Natur
beginnt zu wirken und zu weben,
Ich
traue: Beiden geht es nicht ans Leben!
Wie
viele, so verwundet, welkten, starben!
Wir
beide prahlen noch mit unsern Narben!
oben
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Textgrundlage:
„Der
geschändete Baum“,
Conrad Ferdinand Meyer aus: Gedichte, S. 41, 1.
Auflage,
ED: 1882, Verlag von H. Haessel, Leipzig
wikisource.org
Textgrundlage: „Die
Füße im Feuer“,
Conrad Ferdinand Meyer, aus: Gedichte, 1. Auflage,
ED:
1882, Verlag
von H. Haessel, Leipzig
wikisource.org
Logo 404: "Die
Wellen", Gustav Courbet, 1869,
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