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04.2
Erlebte Gedichte
Otto Julius Bierbaum
Bilder von
Böcklin
An
Wilhelm Weigand
I.
Die
Toteninsel
Ganz
einsam liegt im
riesigen Ozean ein
stiller
Platz.
Steinriesen warf die Natur mitten in
salzige
Brandung,
Menschenhände
bauten Kammern
hinein
zur Ruhe der Todten.
Auf dem starren
Gestein,
dem kalte Winde
von fernher kümmer-
liche
Ackerkrume schenkten,
wächst kein Leben
ausser
dem Todtenbaum, der
düster wilden
Cyprisse.
Sie winkt, sie winkt, die dunkelgrüne
Flagge des Todes.
Im grellrothen Mantel, den kein Wind be-
wegt,
der todt hinabfällt
an dem starr gereckten
Leibe,
steuert ein Ferge
den Leichenkahn dem
dunklen
Ruhethale zu.
In weissem Linnen liegt die Leiche, lang
gestreckt.
Vom Leben draussen dringt nur ein leiser
Plätscherschall
matt
ersterbender Wellen in
diese
grosse, heilige
Stille.
II.
Pan
im Schilf
Der
grosse Pan ist todt!
Neue Götter kamen.
Trauere,
heiteres
Heidenthum. Der grosse Pan
ist
todt.
Aber nein, - er lebt. Er stahl sich in
Einsamkeit,
müde der
Herrschaft.
Sinnend sitzt er im raschelnden Schilfe
und
freut sich der
blitzenden Sonnenstrahlen,
die
ihn besuchen.
III.
Die
Heimkehr des Schweizers
Ein
Schweizer Landsknecht
kehrte heim von
Seinen
Fahrten in fremdem
Solde.
Nun ist er dem Rauch seines Heerdes
wieder
nahe und seinem
Frieden.
Ehe er einkehrt in seine niedere Hütte
hält
er letzte Rast am
kleinen Wasserspiegel
eines
Weihers.
Im stillen Wellenaufundniedergang des
Wässerchens
sieht er sein
ruhig gewordenes
Herz
und denkt der
überwundenen grossen,
rauhen
Stürme.
IV.
Frühling
Der
Thauwind küsste die
schlafende Erde
wach.
Sie hob die Fesseln des Winters mit
keimen-
den
Trieben, und sie that
an die Farbe der
Hoffnung,
das zarte
Maiengrün.
Freiheit und Freude singen die Winde und
neues
Werden. In
Hoffnungssinnen hütet die
junge
Nymphe den wieder
sprudelnden Quell.
Ein kleiner Vogel sitzt auf ihrer Linken
und
singt sein erstes
Frühlingslied.
Oben am Rande des Wiesenhügels tanzen
Amoretten
einen bunten
Ringelreihen: ihre
Zeit
ist gekommen. Nun
dürfen sie fröhlich
sein.
An der Quelle unten
schöpft sich Frische
Alter
und Jugend. Ein alter
schmeerbäuchiger
Faun
spürt schon die erste
Hitze und pustet
vom
schnellen Lauf in der
Lenzsonne. Der
Junge
mit dem fröhlich
bewegten kurzen Ziegen-
schweif,
der roth gesunde,
wurde nicht müde
in
der Frühlingswärme. Ihm
gab sie Durst und
Sehnsucht.
V.
Der Ritt des Todes*)
Die
Herbstnacht ächzt unter
stossenden
Winden,
die durch die
Wipfel der Bäume
rasen
und schnelles Sterben
künden. Seltsam
violette
Farben geistern
durch die Luft, Farben
der
Herbstzeitlose, die des
Todes Lieblings-
blume
ist.
Da kommt er geritten, der Allbeherrscher,
der
einzige Unsterbliche,
der kalte Tod.
Eines riesigen Rappen gewaltigen Leib um-
zwingen
die
Knochenschenkel. Als zitternder
Gruss
des grossen Sterbens
tanzen ihm ent-
gegen
die raschelnden
Blätterm ein wirrer Reigen
ohne
Fröhlichkeit.
Es wanken die Mauern; der Mörtel, der
lange
sie hielt,
zermorscht: Moder duftet wo
der
Tod reitet.
Grellzuckendes Licht der Zerstörung glüht
ihm
voran, dem grossen
Verderber.
_______
*)
Aus dem Prachtwerke
„Arnold Böcklin“ (Münchner
Kunst-
und Verlagsanstalt
Dr. E. Albert & Co.,)
zurück
Nach Bildern von Hans Thoma
I.
Sonnenuntergang
Aus
dämmergrauer Wolke
fällt stechend-
hellblutiges
Roth herab,
zischend ins graue,
flockende
Spiegelbild der
Wolken im Wasser.
Es
zuckt und zittert,
flimmert und flackt über
das
dunkle Grau und
verscheidet bebend im
molligen
Schattengewebe.
Buschige Bäume
runden
sich weich zum
wolkigen Grau hinauf.
Leiser Athemzug der Nacht.
Aus allen Winkeln geistert im Husch tag-
schlafendes
Fabel-Gesindel
her. Ein lüsterner
Faun
schreckt eine Badende
auf. Die läuft mit
fliegenden
Haaren,
fliegenden Brüsten davon,
vom
flatternden Laken
kümmerlich eingehüllt.
Wie
ihr das Herzchen
hämmert vor Schreck,
vor
Schreck! Der
bocksbeinige, geile Tölpel
stützt
sich mit plump
triumphirendem Grinsen
auf
seine haarigen
Schenkel. Ueber seine
hartbraune
und über des
Mädchens rosazarte
Haut
läuft wie tropfendes,
flüssiges Gold das
gleissende,
hellblutige
Roth, der untergehenden Sonne.
II.
Landschaft
mit Ritter
Im
Thale unten die blaue
Tiefe, grau am
Himmel
jagende Wolken;
langsam reitet, die
Lanze
im Arm, auf braunem
Rosse ein schwarzer
Ritter;
rothe
Ebereschentrauben leuchten aus
dunklem
Grün heraus wie
offene Wunden . . .
III.
Idylle
In rosafarbenem Kleide, den Korb mit
Blumen
im Schoos, sitzt und
träumt, wachend,
im
blumigen Gras die
kleine, niedliche Schäferin,
blickt
hinaus in die
webende Ferne, weit,
weit,
weit. Mildes, junges
Glück, frauliche Huld
lacht
aus den braunen,
sehnsuchtfeuchten Augen.
In allen Prächten junggesunder Nacktheit
liegt
ihr zur Seite der
braune Knabe im Schlaf.
Ueber
sein frisches Antlitz
geht leicht wie
Hauch
ein spitzbübisch
Lächeln seliger Er-
innerung.
Was im Wachen sie
denkt, schaut
er
im
Traum . . .
Ein tiefer, blauer Himmel strahlt freundlich
herein
über die Spitze des
Berges auf das
heimliche
Naheglück der
Beiden. Leicht
wispern
die Zweige der
Büsche und Bäume,
und
die Blumen im Grase
leuchten wie lachend.
IV.
Flötender
Faun
In Stahl gehüllt, auf weissem Ross, reitet
ein
Ritter durch dämmernden
Wald. Von der
verscheidenden
Sonne träuft
goldig mattes Licht
durch
die ruhenden Blätter.
Sinnenversunken reitet der Reiter, es tönt
ihm
im Herzen klingende
Klage, flötende Freude,
schwellend,
quellend, leise
im Hauch.
Was er im Herzen klingen hört: in die
Abendluft,
in den Schatten
der Bäume, seinen
ruhenden
Hirschen bläst es
der junge Faun
aus
dem Rohre.
Klage des Herzens, Stimme des Schilf-
rohrs,
mattes Verglühen der
goldenen Sonne,
webender
Dämmerzauber des
Waldes, Rascheln,
Rauschen:
es verklingt in
die schwarze Nacht; -
in
schwarze Nacht reitet
der träumende Ritter.
V.
Parkaussicht
vom Fenster
Am Fensterbrett ein weisheitsträchtiges
Buch.
Leichtsinnige
Blumensträusse rechts und
links
lachen es aus. Denn,
der es lesen soll,
weitet
den Blick über
unendliche, blühende
Schönheit,
bettet das
saftige Wiesengrün,
Schwankendes
Buschwerk,
blauenden Himmel,
bettet
das Bild der schönen
Freiheit lieber,
lieber
in sein Herz, als
die protzige, buch-
stabenklotzige
Weisheit.
zurück
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