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04.2
Erlebte Gedichte
Otto Julius Bierbaum
Jeanette*)
I.
Wo
ist mein Schatz? – Eine
Plättmamsell.
Wo
wohnt sie? – Unten am
Gries,
Wo
die Isar rauscht, wo die
Brücke steht,
Wo
die Wiese von
flatternden Hemden weht:
Da
liegt mein Paradies.
Im
allerkleinsten Hause
drin,
Mit
den Fensterläden grün,
Da
steht mein Schatz am
Bügelbrett,
Hoiho,
wie sie hurtig den
Bügelstahl dreht,
Gott,
wie die Backen
glüh’n!
Im
weissen Röckchen seht
sie da,
Ihre
Bluse ist blumig bunt;
Kein
Mieder schnürt, was
d’runter sich regt,
Sich
wellenwohlig weich
bewegt,
Der
Brüste knospendes Rund.
Vorüber
geh ich allmorgens
früh,
Schau
tief ihr ins Auge
hinein,
Da
liegt meine Lust, meine
Liebe, mein Glück,
Die
lachende Kunde: Komm
Abends zurück, -
Das
Waschmadl ist dein!
_________
*)
Aus den
„Studentenbeichten.“
II.
Im
alten Ton
Der
Frühling kam, die
Knospen sprangen,
Da
bin ich auf die Wiese,
Ja
Wiese,
Alleine
hinausgegangen.
Ich
ging allein
Und
kam zu Zwei’n:
Mit
einem holden Kinde;
Das
hab ich geküsst auf den
rothen Mund
Wohl
unter der grünenden
Linde,
Dem
hab ich den Blick in
die Augen gesenkt,
Das
hat mir seine Liebe
geschenkt
Und
hat bei der Nacht,
Zur
Seite geschmiegt mir im
Bette:
Ein
Waschmadl ist mein
Schatz,
Mein
brauner, mein wilder,
mein lustiger Schatz,
Und
heisst Jeanette!
III.
In
enger Kammer
Ein
Bett, ein Stuhl, ein
Tisch, ein Schrank,
Und
mittendrin ein Mädel
schlank,
Meine
lustige, liebe
Jeanette.
Braune
Augen hat sie,
wunderbar,
In
wilden Ringeln
hellbraunes Haar,
Kirschrother
Lippen ein
schwellend Paar, -
Jeanette!
Jeanette!
Am
Fensterbrett ein Epheu
steht,
Durchs
grüne Geranke die
Liebe späht,
Meine
lustige, liebe
Jeanette.
Thüre
auf: da liegt mir am
Hals das Kind.
Alleine
wir beiden, es
singt der Wind
Das
Lied von Zweien, die
selig sind. –
Jeanette!
Jeanette!
zurück
Gottesdienst
(Meinem
lieben Hanns von
Gumppenberg
zur
Erinnerung an
Dachau im Mai 1891)
Auf
steiler Höhe stand ich
schauend.
Mein
Auge trank in
tiefen,grossen Zügen
die
Schönheit. Weit in
graue, webende Fernen
schweifte
der Blick auf
fröhlichen Fittichen,
holte
die schimmernde
Schönheit mir, bettete
tief
sie ins Herz mir ein.
Rothes
Moor in schmalen
Strichen, lila-
farbener
Sammt lockerer
Frühlingsacker weich
dazwischen
gebreitet;
junges, lachendes Wiesen-
grün
wellig
hineingeschlungen: Freudenbanner
der
jubelnden Hoffnung in
des Keimdrangs
bräutlich
leuchtender,
lustiger Farbe. Flüssig
glitzerbewegtes
Silber
hurtig eilenden Wassers
blinkt
in weiten Windungen
bogengeschlungen:
Wie
ich dich liebe mit
jauchzender Seele, oh
du
frische, rauschende,
fröhliche, tummelnde
Freiheit!
Grünbehauchte
Weiherspiegel sinnen
tiefen,
stillen Traum
mitten in der übermütigen
Farbenheiterkeit.
Dunkle,
trotzige Wälder-
massen,
braun, breit,
brüten mächtigen Ernst
und
das dunkle Geheimniss
wipfelumrauschter
Einsamkeit.
Zwischenhinein
hellrote Dächer,
bläulich
wirbelnder Rauch
daraus, blitzende
Fenster
von Menschenhäusern
leuchten wie
lachende
Augen.
Aber
weit, weit drüber
hinweg, weit, in
duftiger
blauender Ferne,
weit, oh weit über
dem
Kleingespiel, starr,
gewaltig, mit rissigen
Schroffen,
in Schnee und
Eiskrystallen ge-
hüllt,
ragen die Alpen.
Stille,
Stille über dem
Riesenrund. Ueber
mir
noch in den Lüften nur
schreit ein Falke,
langsam
kreisend durch das
tiefe Lüfteblau.
Stille,
Stille . . . . die
schweigende Schön-
heit
athmet leise, voll. Da
hebt aus der Tiefe
der
kleinen Stadt empor
sich ein Singen, hell
und
schlicht:
„Der Mai ist gekommen“ . . . .
von
Kinderlippen.
In
enger Stube sitzen die
Kleinen. Ich
sehe
im Geiste die frischen
rothen Mäulerchen
sich
gleichmässig öffnen,
sehe den Lehrer die
Fiedel
streichen, sehe die
lustig mitsingenden
Augen,
- Kindheit,
Kindheit, fröhliche , frische
singende
Unschuld!
In
die Ferne noch einen
Blick, noch einen
Blick
über die Schönheit
hin, über das Farben-
wechselspiel
lebender,
athmender, wunder-
reicher
Schönheit.
Und
ich folge dem
Kindergesang, der
durch
das
schönheitstrunkene Herz mir wie
ein
Frühlingsdranghauch
weht. Hinunter steig
ich
durch Gassengewinkel,
immer den lang-
ausklingenden
Tönen
lauschend nach, gefangen,
gezogen
. . . . Da verscheidet der Sang.
Vor
einem grossen, grauen
Hause steh ich
still.
Durch offene Thore
weht von Weih-
rauch
kühl mildharziger
Duft. In die Kirche
tret’
ich . . .
Da
starb meiner Schönheit
Bild.
Hässliches,
freches Bunt an
den Wänden,
grausam
thörichter Spott
mit den Leiden
eines
gewaltigen,
liebedurchloderten, göttlichen
Menschen.
Knieende Weiber,
mit dumpfen,
blöden,
ängstlichen Zügen,
murmeln Gebete.
Klappernd
gleitet durch die
harten, gekrümmten
Finger
die abgegriffene
Perlenschnur des
knöchernen
Rosenkranzes.
Ein dickes Priester-
gesicht
aus Speckstein
neigt sich und nickt
und
wackelt und wendet sich
vorn am Altare.
Eine
tiefe, schneidende
Bitterniss grub
ätzend
sich in mein Herz.
Was der Natur
hold
heilige Schönheit mir
geschenkt, verdarb
vor
dem armen Menschenkram,
vor dem
Menschenbettelvolk,
das
sich vor fremden
Leid
in den Staub winselnd
wirft, statt freudig
hinauf,
jauchzend, freudig
mit vollen Herz-
schlag,
hoch hinauf sich zu
heben zu seliger,
lebender
Schönheit.
zurück
Ernte
Sonnengiessen
durch den
Tag,
Wellenhoch,
in fröhlichem
Schlag
Geht
mein Herz, es
schaukelt leise
Eine
Wiener Walzerweise.
Sensenschwung
und
Sichelschnitt,
Grün
und gelb fällt Gras
und Aehre,
Meine
Freude erntet mit:
Segenschwere!
Segenschwere!
Unter
einem Lindenbaum,
Auf
des weissen Kirchleins
Hügel,
Ruht
ich aus; da hub mein
Traum
Surrend
die Libellenflügel:
Steht
ein Feld im Korne
schwer,
Schwankt
in goldnem
Ueberschwange,
Früchtefroh
und reifebange,
Trocken
rauschend hin und
her.
An
des Segensgoldnem Rand,
Wo
des Himmels Blau sich
breitet,
Eine
Sense in der Hand,
Eine
Bauerndirne schreitet.
Weit
aus, wuchtig ist ihr
Schritt,
Ueberhäupten
ihr der Stahl
Lacht
in huschig hellem
Glitzern;
Schnell
im Schwung mit
einem Mal
Seh’
ich’s durch die Bläue
blitzen,
Und
die Magd beginnt den
Schnitt.
Bogenhalb
dreht sich ihr
Leib,
Bogenweit
greift aus das
Eisen,
Näher,
näher kommt das Weib
Hinter
breitem
Messerkreisen.
Langsam
rührt mit steter
Kraft
Sie
der schweren Sense
Schaft.
Brach
schon dehnt sich
Stoppelleere.
Wo
rauschgolden sich die
Aehre
In
des Windes Wehn gewiegt,
Sterbestarr
das Leben
liegt.
Näher,
näher kommt sie her,
Auf
die Seele fällt mirs
schwer.
Augen
zu. Ich höre den
Schnitt,
Und
ein Klagen hör’ ich mit
Von
Millionen Sterbequalen.
Stille
dann. Scheu schau ich
hin:
Ruhend
steht die
Schnitterin
Unter
Abendsonnenstrahlen.
Von
des vollen Goldes Roth
Einen
Augenschein umloht,
Dann
im letzten, hellen
Licht,
Umrissschwarz
. . . Bist Du
der Tod!?
Klar
blickt sie mir ins
Gesicht,
Gütig,
gross und
mütterlich,
Wendet
in die Helle sich,
Geht.
– Sie überwächst den
Schein,
Dunkel
bricht von ihr
herein.
Wo
rauschgolden sich die
Aehre
In
des Windes Wehn gewiegt,
Sterbestarr
das Leben
liegt.
Allhin
dehnt sich
Stoppelleere.
zurück
Aus
einem Herbste
Die
Flocken fielen
federsanft, mit weichem
Flaume
deckten sie die
müde, müde Erde zu.
Es
hing am Baume noch das
Laub, das
falbe,
sterbekranke Laub,
das kranke, kranke
Laub.
In
meinem Herzen stach ein
Schmerz, ein
tiefer,
dunkler,
stummer Schmerz, ein stummer
Schmerz.
Da
ging ich in die Nacht
hinaus, die sternen-
lose,
kalte Nacht, die
kalte Nacht.
Da
klang aus kleinem Haus
ein Lied, ein
schüchtern
Lied von
Kindermund, ein Lied
von
Kindermund.
Und
weinend ging ich still
nach Haus und
sang
für mich, und sang für
mich ein leises
Kinderlied
–
Und
ward gesund.
zurück
Flieder
(Erinnerungsblatt
an M. M.)
Stille,
träumende
Frühlingsnacht . . .
Die
Sterne am Himmel
blinzelten mild,
Breit
stand der Mond wie
ein silberner Schild.
In
den Zweigen rauschte es
sacht.
Arm
in Arm und wie in
Träumen
Unter
duftenden
Blütenbäumen
Gingen
wir durch die
Frühlingsnacht.
Der
Flieder duftet
berauschend weich;
Ich
küsse den Mund Dir
liebeheiss,
Dicht
überhäupten uns blau
und weiss
Schimmern
die Blüten reich.
Blüten
brachst Du uns zum
Strausse,
Langsam
gingen wir nach
Hause,
Der
Flieder duftete
liebeweich . . .
zurück
Liebenswürdiger
Rath und
Antwort
Kürzlich,
an einem
Aergertage,
Schrieb
einem Freund ich
Schriftstellerklage,
Dass
mir zuwider zuweilen
dies Schinden,
Verneigen,
Verschweigen,
Herumsichwinden,
Von
der Sorgenpeitsche
geschlagen, getrieben,
Von
niedriger Nothdurft
aufgerieben . . .
Der
Brave, ein Deutscher
von vielem Takt,
Schrieb
mir zurück ganz
nüchtern und nackt:
„Ja,
Lieber, musst Du denn
grade schreiben?
Kannst
Du denn gar nichts
andres treiben?
Hast
Du nicht Jurisprudenz
studiert?
Rasch,
in die Zeitung, und
inseriert:
Akademisch
gebildeter
Hausknecht sucht Stelle,
Jüngst
schrieb er die
zweihundertzwölfte Novelle,
War
auch Mitarbeiter am
Musenheim
Und
bastelte manchen
Ringelreim.
Wills
aber gewiss nicht
wieder thun.
Will
ganz vernünftig werden
nun.
Denn
Hunger thut zuweilen
weh.
Gefällige
Offerten sub O.
J. B.“
Jaja,
mei liebenswürdiger
Rather,
So
denkt ihr Alle, die vom
Herrn Vater
Mit
sanfter Gewalt zum
Beruf ihr gezwängt,
Die
ihr selbsteigen euch
nicht gelenkt.
Ich
aber habe mir selbst
gewählt
Meine
freie Kunst; und ob
sie mich quält,
Ich
bleibe ihr treu in Qual
und Glück.
Zu
euch, Philister, kein
Schritt zurück!
zurück
Erntelied
Es
kreiste die Sense mit
scharfem Schwung, es
fielen
die Halme, es sank
das Gras, und die Sonne
lachte
der Ernte.
Der
Himmel war blau, und
die Luft war heiss,
und
die Schnitterin schnitt
und lachte dazu: O, du
Sonne,
du Sonne, du gute!
Nun
ist es gesammelt, das
goldene Korn, und das
duftige
Heu liegt
wolkenschwer im Haus, unterm Dach:
Nun
sind wir dich los, Frau
Sorge!
Nun
klingen die Glocken zum
Erntefest, nun wollen
wir
tanzen zwischen dem
Heu, wo unsere Schlegel den
Körnertanz
laut schlugen
den Takt: auf der Tenne.
Nun
Schnitterin komm und
reich mir die Hand,
nun
will ich mal sehn, du
fröhliche Dirn, ob deine
Beine
so lustig sind, so
voll Kraft und voll Schwung,
wie
die Arme.
Und
die Geige singt, und
der Brummbass brummt,
und
die Pfeifen kichern und
kullern wie toll, und wir
drehen
uns wild rundum,
rundum zwischen duftendem
Heu
auf der Tenne.
Warm
fühl ich mir nah’
deine Frühlingsbrust, du
flinkes
Mädel; ich halte
dich fest, ich seh in dein
Auge,
es jauchzt mein Herz:
O, du Sonne, du Sonne,
du
gute!
zurück
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