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Literatur


04.2




Erlebte Gedichte

Otto Julius Bierbaum

 

Lyrikerchens Traum

 

„Ach Gott, wie grob ist unsre Zeit!
Wie starr, wie eisern-folgerichtig,
Nichts als die graue Nützlichkeit
Erscheint modernem Volke wichtig.
 
Was schiert sie Mondschein, Blütenduft
Und all’ die süssen, zarten Dinge,
Die frührer Zeit so lind die Luft
Durchsäuselten wie Schmetterlinge?
 
Kompakte Nahrung will das Pack
Und sicher-feste Staatspapiere,
Geld, Geld nur immer in den Sack . . .
Schlaf ein, mein lyrisch Herz, erfriere!“
 
Der dies schrieb in lang und kurzen
Zeilen mit blassblauer Tinte
In ein zierlich-goldgerändert
Aber umfangreich Volumen,
War der Dichter Balduin.
 
Balduin vom grünen Hage
Nannt! er sich, in Wahrheit hiess er
Emil Blempke; blond, blauäugig
War er, lang behaart und mager.
 
Dieses ist mein Held! – Wahrhaftig,
Stolz will mir die Seele schwellen,
Wenn ich denke dieses Helden.
War er nicht berühmt im Lande,
Herzberühmt bei allen Damen?
Wob sein Lied nicht ambraduftig
Still in tausend Backfischherzen
Rosarote Sehnsuchtsschleier?
Guckte nicht aus allen Winkeln
Sittentücht’ger Wochenblätter
Seine blasse Mondscheinmuse
Mit dem Blick voll dünner Wehmuth?
Ja, er war ein auserwählter,
Anerkannter, vielberühmter,
Sinnig-minnig-unschuldsvoller,
Braver, lieber Lyraschläger.
Aber ach! sein Sinn war trübe.
Dicke, schwere, schwarze Wolken
zogen dicht sich um sein Herzchen,
Und die Seele ward ihm bänglich.
Täglich sanken sie im Preise,
Seine Rosenölpoeme,
Täglich wurden mehr abwendig
Seiner zarten Weltauffassung,
Ungebührlich laute Stimmen
Schrie’n nach festrem Lyraton.
Nannten seine Lieder Singsang,
Klimperei und Duseltöne,
Wollten etwas andres hören,
Als beglänzte Abendwiesen,
Liebesqualen, Herzensschwanken,
Sprachen viel von Kraft und Wahrheit.
Weh! ach weh! die Welt geht unter!
Ja -, der Untergang ist da!
Balduin wards offenbarlich
Jüngst in lyrisch-grausen Träumen,
Als ihm schnöde returniert ward
Ein aus Duft und Dunst gewobnes
Lenzgedicht im ziersten Tone:
Gott sei Dank! ’s  war nur ein Traum.
Seelenschmerz voll Bangigkeiten
Warf ihn nieder auf das Sofa,
Jenes blaue Lotterbette,
Dessen schwippend-sanfte Polster
Ihn mitsamt der wolkenduft’gem
Muse, ach, wie viele Male
Schwangen in Begeistrungssphären,
Glatt, elastisch wie sein Reim.
Aber jetzt, wie eine Leiche
Lag er mit geschlossnen Augen
Auf dem hehren Musenlager,
Krampfhaft hielt die Hand das schnöde
Rückgeschickte Lenzpoemlein,
Doch sein Geist ersah, wie folgt:
Grau in Grau die Welt: - ein Dröhnen
Kraftgespannten Arbeitsringens
Schallt ringsum, ein feierlicher
Düstrer Ernst liegt auf den Zügen
Allen Volks, die Luft ist ruhig,
Schwefelduftig, widerwärtig.
Wie nach Menschenschweisse riechend.
Sehr geduckt, im schwarzen Gehrock,
Schwanken tausend Lyraschläger
Wimmernd durch die dunklen Strassen,
Schwerbepackt mit Manuskripten,
Trostlos und Verlegerlos.
Aufgestapelt riesenmässig
Liegen zentnerweise Ballen
Lyrisch-himmelblauer Bände
In profanen Käseläden,
Und der Mann der stumpfen Arbeit
Kriegt als Hülle gelblich-weisser,
Nicht lavendelduftiger Speise
Ach, ein Blatt von Balduin.
Deutlich sieht’s der Unglückselige:
Seite 13 „An Klarissa“.
Ach, es ist der allerbeste
Seiner keuschen Minnesänge,
Ach, es ist das wunderbare
Lied, in welchem Mond und Sterne,
Sonne, Thau und Himmel glänzen,
Nachtigall und Amsel flöten,
Selbst die Steine und Flüsse jubeln,
Kurz, in welchem Balduin
Der Natur sämmtliche Reiche
Kühn mobilisirt, um seiner
Wolkenhaften, herzgeträumten,
Nie gewes’nen, still ersehnten,
Blond-blauäugigen Klarissa
Einen schnellen Blick zu rauben.
Dieses Lied im Käseladen!
Und statt dieser süssen Lyrik
Tönen ihm ins Ohr gewaltige,
Für sein zart Gehör zu laute,
Leidenschaftlich-volle Weisen.
Bald wie brausende Choräle
Kraftentzückten Menschenstrebens,
Bald wie Schmerzensschrei aus tausend
Qualzerrissenen Menschenherzen,
Bald wie tosend schrankenlose
Blutlebendige Menschenlust.
Dieser Ton fährt wie ein Sturmwind
In die dünnen Gehrockdichter,
Fegt wie herbstlich Laub in Haufen
Sie zusammen, und betrüblich
Wie ein Zug von Leichenbittern
Wandeln sie zur Welt hinaus.
Balduin packt kalt Entsetzen.
Ganz unleidlich tönt’s im Ohr ihm,
Tief im Herzen hockt Verzweiflung.
Und so zieht er als der letzte
Dichter von der dünnen, blassen
Observanz wehmuthumnachtet
Durch die düstre Trümmerpforte
Einer kalt gewordnen Welt.
Draussen blickt noch einmal rückwärts
Er mit seinen wasserblauen
Abbildaugen seiner Muse,
Setzt sich hin, wie Meister Walter
Von der Vogelweide: treulich
Deckt er Bein mit Beine, schmieget
Die ätherisch zarte Wange
Auf die schmale Dichterhand. . . .
Thränen tröpfeln aus den Augen,
Wirklich salzig-echte Thränen,
Wirklich nasse, grob-reelle,
Nicht die Thränchen seiner Lyrik,
Welche nur ein Requisit sind
Klug erfahrnen Dichterhandwerks.
Und aus thränumflorten Augen
Blickt er starr und unbeweglich,
Ein Gespenst der Wasserlyrik,
Auf die arbeitslaute Stadt.
Rückwärts wirft er dann die Locken
Starken Rucks und schnellt gen Himmel
Seine traurig-nassen Blicke,
Nimmt zur Hand das Heft in Goldschnitt,
Spitzt den goldgefassten Bleistift
(Ein Verein von stillerglühten
Balduinverehrerinnen
Hatte dieses Stück gestiftet),
Sinnt skandirend noch ein Weilchen,
Aber dann, heidi! geht’s los.
Flott, mit schreibgewandtem Finger
Eilt er in bald lang bald kurzen
 
Zeilen über das vorzüglich
Schneeig-weisse, undschuldweisse,
Glatte, brave Schreibpapier.
„Letzter Gruss des letzten Dichters“,
Also nennt er seiner Wehmuth
Hingehauchte Rhythmenseufzer,
Und die Seufzer klangen so:
 
„Verweht, ach, und verklungen
Ist nun die Rosenzeit –
Die Welt hat ausgesungen . . .
Mit Brausen kommt herangeschnaubt,
Der Wind, der Baum und Strauch entlaubt, -
Wem je ein Lied gelungen,
Der gehe nun beiseit.
 
Mondschein und Liebesjammer,
Wer kümmert sich noch drum?
Es herrschen Dampf und Hammer!
Statt unseres Reichs Lavendelduft
Durchzieht Fabrikqualm nun die Luft -,
Geh’ still in Deine Kammer,
Poet, und bring’ Dich um!
 
Geh’ aus der Welt, der schnöden,
Die keine Schönheit will,
Nach Wahrheit schreit, der blöden!
Ein Lied nur noch im alten Ton,
Und dann ins bess’re Sein geflohn,
In rein’re Morgenröthen,
Wo’s duftig, selig still! –„
 
- Schreibt’s und greift sich in die Locken.
(Wie er immer that beim Dichten)
Und erhebt sich, will zum Spiegel
Eilen (wie er ditto immer
That, wenn ihm ein Wurf gelang).
Aber dieses Aufsprungs mächtige
Dichtermuskelüberspannung
Warf ihn um vom Musensofa;
Schweren Falles rollt der edle
Balduin vom grünen Hage
Auf die Diele, vom brutalen
Fallgesetze unmanierlich
Attakiert, und er erwacht.
In der Hand noch ruht zerknittert
Jenes herzlos rückgesandte
Manuskript – er wirft es zornig
Weit von sich, erhebt sich, reibt sich
Seiner Hinterseite Flächen,
Reibt sich auch die Dichterstirne,
Blinzelt mit den sinnig-blauen
Augen und besinnet sich.
Welch ein Bild! Wie wenn des Mondscheins
Sanfte Strahlen langsam, sieghaft
Sich durch Wolkenballen drängen
Und mit lächelnd zartem Lichte
Plötzlich dann auf dunklen Wellen
Eines nächtigen Seees ruhn;
So rang langsam, glänzend, sieghaft
Sich ein Lächeln auf die Lippen,
Um die Augenfältchen, auf die
Dichterstirne, um die feinen
Holdgeschwungenen Nasenflügel
Balduins, - verklärt und eilig
„Wallt“ er hin zum Dichterpulte,
Oeffnet das im Traum gesehne
Goldschnittschöne, glattpapierne
Verseheft mit stillem Lächeln,
Tunkt die Feder in die blasse,
Blaue Sehnsuchtslyriktinte,
Fährt noch einmal durch die Locken,
Sinnt, und sieh’, da steht es nun:
„Letzter Gruss des letzten Dichters“.
Ei, wie lacht der Zeilen Kunstbau!
Hold Poem, in blauer Tinte,
Oh, wie niedlich schaust du aus!
Sechsmal liest er noch die Weise,
Nickt zufrieden mit dem Kopfe,
Steht nun auf und wandelt leise
Von dem Pulte bis zum Spiegel,
Blickt hinein mit Wohlgefallen,
Zupft sich seines Shlipses Schleife,
Rückt am Kragen, bläst ein Stäubchen
Von des Schlafrocks blauem Sammt.
Ach, ein wenig Wohlbehagen
Wärmt ihm jetzo Herz und Nieren,
Da er eben noch im Traume
Fürchterlichen Graus gesehn.
Leise kitzelnd, lieblich schwirrend
Hüpft im Herzen ihm die kleine
Lyrisch duftige Tändelpsyche,
Spreitet schillernd keck die Flügel.
Stärkt anmuthig das Gefühl ihm
Mit vergnügter Zuversicht.
„Blaue Blume!  Nicht verloren
O Säusellyra,“
Deine Töne werden leben
Trotz der wilden Wahrheitsrufer!
Unsre Zunft liegt gut und sicher
Eingeschrieben noch im Hauptbuch
Schier unzähliger, weicher Herzen,
Die mit zarten Nerven ängstlich
Sich vor Lärm und Hast und Arbeit
Blumenseelisch in die duftigen
Idealen Spähren flüchten.
Mögen sie nach Leidenschaften,
Wahrheit, Urkraft und so weiter
Nur mit tüchtigen Lungen schreien:
Wir verachten ihre Plumpheit!
IDEAL aus Nichts und für Nichts
Goldumsponnen-wolkenhaftes,
Wesenloses, überirdisches:
Du bist unsre Zuversicht.
Tausende bedürfen deiner,
Du Ambrosia zarter Seelen,
Sind an dich gewöhnt und lassen
Nicht von dieser leicht verdaulich
Unkompakten Himmelsnahrung.
Dich drum will ich fürder singen!
Mit der rosarothen Fahne
Idealer Schönheit steh’ ich,
Blüthenduftumwölkt hoch oben
Ueber dieser Jammerwelt.
Mögen sie in Schmerzen wimmern,
Oder jauchzen nach gemeiner
Menschenart, - auf Wolken gaukelnd
Schweb’ ich oben kühl-gemüthlich,
Greife mit geschickten Händen
In die sanftgestimmte Leyer,
Mir und weichen Wonneseelen
Zu gelinder Unterhaltung.
Dieses ist die einzig wahre,
Lind-gesunde, zuckersüsse,
Keusche, wohlerzogne Lyrik,
Dieses ist das Ideal!

 
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