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Literatur


04.2



Erlebte Gedichte

Otto Julius Bierbaum


Thränen

 

Der Regen träuft,
Die Erde säuft
In vollen Zügen die stürzenden Fluthen;
Tief dunkel die Nacht.
Ich gehe allein,
Ich lausche dem Rauschen
Des fallenden Regens,
Ich höre den tiefen Athemzug
Des Weltenganges . . .
Mein Herz ist weh
In dieser dunklen Nacht.
Ich komme von Freunden,
Die nach mir stiessen
Mit scharfen Zungen,
Die mich beleidigten,
Weil sie ein Lächeln logen,
Ein laues Lippenlächeln, indess ihr Herz
Kalt war wie dieser Regen in der Nacht. –
Kalt von den wipfelrauschenden Bäumen fällt
Mir Tropfenschwere ins Gesicht,
So hart und kalt, wie mir ins Herz
Die lügenharten Lächelworte fielen . . .
Und tiefe, tiefe Sehnsucht schwillt,
Und Thränen mischen sich dem kalten Nass,
Heisse Thränen - - - -
 
Es war ein wetterdrohender Abend, schwül und schwer,
In meinem Herzen brodelte Begierde,
Mein heisser Blick grub tief sich in zwei braune,
Furchtsame, liebe, reine Augen.
Sie baten, flehten, beteten um Schonung,
Ich aber riss das flehende Weib zu mir
Und raste wild an ihrem wehrenden Leibe
Und wüthete mit Keuchen um den Raub
Des heilig Innigsten.
Viehisch grausam
Trat ich das reine, klare Bild zu Boden,
Das sie von mir im glaubenden Herzen barg . . .
Mein Stöhnen starb vor ihrem schweren Schweigen,
Vor ihrem Wehren wandte sich mein Wüthen,
Ich liess von ihr mit hartem Groll
Und warf mich wild aufs Lager.
Tiefes, spinnewebendes Dunkel kroch ins Zimmer,
Keinen Athemzug von ihr vernahm ich
Und lag wie todt.
Da neigte sie zu mir ihr schönes Haupt,
Und Thränen fielen von den milden Augen
Und thauten nieder mir zur heissen Stirne
Und wuschen weg die wilde Wuth,
Das heilige Taufnass ihrer grossen Liebe. - - - -
 
Wenn mich die Welt zum Weinen zwingt,
Gedenk ich deiner Thränen, Heilige,
Und scheuche fort die schmerzenlösenden.
Ich bin nicht werth,
Zu weinen.


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Wenn wir uralt sein werden


 
Wenn wir alt sein werden,
Wenn der Ruhe Dämmerung
Leis in immergleichem Athemzuge uns im Herzen haucht,
Wenn das Auge matt und milde blickt,
Kältre Farben sieht und flockigen Umriss,
Wenn der Hände Drücke,
Altersfaltenweich,
Immer abschiednehmender, zag sich fühlen,
Wenn das Hirn,
Von Erkenntnis starr, immer kälter wird,
Und der Hoffnung warmer Taubenflügelschlag
Nicht mehr linde Glücksgedankenwellen schlägt,
Wenn an Rosen-Statt
Herbstzeitlose blasst . . .:
Sonne, Sonne!
Du auch wirst mir dann verbleichen,
Die ich kindlich und anbetend liebe.
Eine Wärme nur,
Eine Liebe nur,
Nur einen Glauben
werd’ ich mir wahren:
Dich
Du Traumvergangene,
Heilige.


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Am Kamin
 

 

Draussen bläst der Windund fegt
Flocken an die Fensterscheiben,
Mürrisch patroullirt der Mond
Hinter dicken Wolkenwällen.
Am Kamin sitz ich und stütze
Meine Füsse auf das Gitter,
Und ich starre in die Gluthen.
In das heisse, helle Sterben.
Wie die Flammenzungen zucken,
Diese rothen Schlangenzungen;
Kleine blaue Flackerflämmchen
Beben wie erschrockene Seelen,
Und gluthgoldene Flammenschwerter
Stossen unablässig blitzend
In die leere Luft.
Hinter mir auf eichenem Tische
Singt der Samovar sein leises
Seufzerlied, auf dem Gesimse
Des Kamins tickt silbertönig
Die Pendüle; wie in Aengsten
Fegt die goldene Pendelscheibe
Hin und her.
Sinkt mir auf die Brust der Kopf,
Bebt’s im Herzen mir wie Traum:
„Mai und Blüthen, Mai und Blüthen,
Erster Sang der Nachtigallen,
Zwischen duftenden Syringen
Haben wir die Nacht durchküsst - -„
Haben . . wir . . die Nacht . . durchküsst . .
Aus dem tiefsten Herzen tauchen
Mir die Verse wie ein Träumen, -
Aber glaub’ ich diesem Traume?
War es denn, das warme Leben
Mit den heissen, nahen Lippen?
War es denn?
Eis ist in mein Herz gefrostet,
Hartes Eis, hell wie Erfahrung.
Undurchdringlich starre Kruste,
Die kein Hoffen mehr durchbricht;
Schnee ist auf mein Haupt gefallen,
Schnee, den keine Sonne schmelzen,
Den kein Lenz verjagen wird.
Kalt und leer und stumm und farblos
Ist die ganze Welt mir worden,
Seit ich ihres Herzens Wärme
Nicht an meiner Brust mehr fühle,
Seit mir ihres Herzens Fülle
Nicht mehr lebt in tiefer Liebe,
Seit ihr Mund verstummt,
Der so innig sprach,
Seit ihr blaues Auge
Stier im Tode brach.
 
In den Flammen nur ist Leben.
Und dies Leben ist das heisse,
Jache, ungestüme Sterben.


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Umschlag

 

Sturm ist dem Frühling gefolgt
Und grauer Regen.
Wie ein niederes Bleidach steht der Himmel.
Sonne, wo bist du, flammende Sonne des
Frühlings!
Alle Hoffnung wehte der Sturm hinweg.
Jagte sie fort wie das tiefe, leuchtende
Blau des Himmels, auf dem verliebte
Schäfchenwolken in engen Reihen
Heiter wandelten.
Siehe, sein Riesenpanier
Pflanzte der Tod in den Lenz.
Träge schwankt, breit über die Erde hin,
Dein gewaltiges Banner, Verderber,
Hüllt in kalte Schatten uns ein.
Leise und dicht über mein Herz
Zieht sich der Flor des Grams.
Schlafen, schlafen, träumen von sonnigem Blau
Träumen vom seligen, schönen Lenz,
Träumen von zwei braunen,
Seligmachenden Augen!


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Trennung


 

Es liegt in mir wie eine Wolke
Der düstre Abend, der uns schied.
Es stand kein Stern am grauen Himmel
Und von den Zweigen klang kein Lied.
 
Verdrossene Menschen gingen eilig
Im feuchten Dunkel uns vorbei.
Auf nasser Bank verschlungen sassen
Wortlos und herzensbang wir zwei.
 
Es sah der Mond durch dürre Aeste, -
Auf Deinem Antlitz lag sein Schein
So düster-todt, - mein heimgegangnes
Glück hüllte er in Strahlen ein.
 
Und wenn Dein Blick, Dein seelenvoller,
Sich hob zu mir, in Schmerzen mild,
Aus bleichem Mondenstrahlenglanze,
Da sah’ ich meines Schicksals Bild:
 
Das Schöne, das ich still erdichtet
Und rein im Herzen aufgestellt,
Wie es vor meinem heissen Wünschen
Fliehend in Schmerz zusammenfällt.
 

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Porträtstudie


 
Listig liebe blaue Kinderaugen,
Müde, müde, müd’ ein wenig:
Ganz tief d’rin lustiger Trotz.
Feine, bogenspitze, schmale Lippen;
Dunkel kirschenroht brennt d’rin
Küssegluth,
Aber es lächelt auch
In den Winkeln des zierlichen Schnörkelschwungs
Neckende Redekunst.
Drunter weich,
Weich und keck,
Springt heraus der lebendige Sammt
Des Grübchenkinns.
Nach oben ein wenig.
Ein ganz klein wenig nach oben schnubbert
Lauschen ein höchst fideles Näschen.
Ueber dem lustigen Augenpaar
Schwingen sich voll, zwei goldene Bogen,
Feine Brauen; sie weisen kokett
Mit ihren letzten , flaumigen Spitzchen
Hin auf die rosig-rothen Muscheln
Zweier wunderkleiner Oehrchen.
Aufwärts in elegantem Schwunge
Von dem weichen, weissen Nacken
(Nur ein braunes Fleckchen d’rauf)
Schwingt sich wellenweich das Blondhaar,
Strudelt sich oben fidel und lacht,
Lustig ein wenig vornüber geneigt,
Ueber die kleine, klare Stirn,
Der es zum Schutze
Flirrender, goldener Fäden ein Rieselnetz
Fröhlich überbreitet.
Unter dem Ganzen
Gehen sittig auf und nieder
Warme, weiche, kleine Brüste. . .


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Letzte Bitte



Lass mich noch einmal dir ins schwarze Auge sehn,
Lass mich noch einmal tief ins heisse Dunkel senken
Den trunkenen Blick, dann will ich weitergehn
Und dich vergessen . . . Nur in harter Zeit,
Wenn sich der Sehnsucht Augen rückwärts lenken,
Wenn meine Seele nach Vergangenem schreit,
Dann will ich jenes einen Blicks gedenken,
Des liebeheissen, gütereichen Blicks
Der mir im Bann versagenden Geschicks
Das Herz zu einem schmerzentiefen Glück geweiht.


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