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Literatur


04.2



Gedichte - Luise Deusch
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 Sonnenwende
 
Neige dich, Weide, am weinenden Bach,
Rausche, du Eiche, dem Flüchtigen nach,
Berget euch, Tiere, mit Trauergebärde,
Hülle in Jammer dein Antlitz, o Erde:
Baldur, der Gott, dein Gemahl, er ist tot!
 
Der erst vor Monden die Riesen besiegt
Und dich in werbendem Kusse gewiegt,
Der dich auf kräftigem Arme getragen
In seinen goldenen, fliegenden Wagen,
Baldur, dein Held und dein Gatte ist tot!
 
Er, dessen Auge dein Licht, deine Welt,
Mitten im Zuge, im Fluge gefällt!
Norne, du Stumme, was hast du gesponnen,
Haßtest du, Dunkle, den Träger der Sonnen,
Baldur, den Leuchtenden, Reinen, zu tot?
 
Wo sich das Herrliche uns offenbart,
Tücke und Neid nur geschäftiger ward;
Durfte der Blinde die Untat verrichten,
Unverstand, darf er das Edle vernichten?
Baldur, der Gute, der Beste, ist tot!
 
Opfer, Gedanken und jeglich Verdienst,
Schlingen nur sind sie im Nornengespinst;
Nirgends ist sturmloser Frühling hienieden,
Selten ist Reifen, Erschöpfen beschieden,
Baldur, der Hohe, der Reiche, ist tot!
 
Glücklich, wer einmal das Wissen vergaß,
Glücklich, wer niemals das Ende ermaß:
Blind ist das Schicksal, mit eisernen Füßen
Tritt es so Eichen, als Halme der Wiesen,
Baldur, den Frohen, den Lockigen tot!
 
Schweige, du irdischer Lippe Beschwören,
Keine wird jemals die Mächtige hören;
Sank doch der Gott selbst, der Sohn eines Gottes,
Beugt euch erhabener Klage des Todes
Baldurs, des Frommen, Geweihten, der tot!


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 Nachklang
 
Mein Tag ist versunken, ich danke dir viel,
Du gabst mir das echte, das Weibesgefühl.
 
Dies seltsame Schwanken von Schwäche und Macht,
Hast Armut und Fülle zugleich mir gebracht.
 
Und Altes zerging, ein erbleichender Traum,
Nun schaut ich den wirklichen blühenden Baum.
 
Einen Odemzug lang sein Düften ich trank,
Eine Blüte aufs schauernde Haupt mir sank.
 
Eines Herzschlags Dauer schwieg Wunsch wie Leid, —
Einbricht nun die dunkle, die kalte Zeit.
 
Wie der Sonne Schimmer im Spätrot noch lebt,
Bei ruhendem Winde das Laub noch bebt.
 
So hüt ich mein Kleinod und schließe es ein,
Wie den Kuß der Flamme der Edelstein.


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Textgrundlage: „Sonnenwende“, "Nachklang",  Luise Deusch,
aus: Gedichte, Verlag v. J. F. Steinkopf, Stuttgart, gedruckt bei
J. F. Steinkopf, Stuttgart,

Digitized bei google, Original from Princton University

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