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Literatur


04.2


Gedichte - Luise Deusch
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 Die Zeder
 
Im Abendlande steht ein Zedernbaum;
Den Königssproß vom Libanon
Entführte einst ein Frankensohn
Und sprach: Nun wurzle mir in neuem Raum!
 
Doch kein Gefährte grünet trostreich dort,
Den Wipfel schwingt ein fremder Wind,
Wohl einmal spricht ein sinnig Kind:
Dich möcht ich sehn an deinem Jugendort!
 
Oft steigen auf und nieder Bilder hell,
Er schaut des Hermon-Frühlings Blühn,
Im Haine rastend Reiter kühn,
Und Pilger an des Jordans Silberquell.
 
Dem Fürstenhaupte fern am Wolkensaum
Neigt sich der Zedernbaum gen Ost —
Da weckte ihn der Fremde Frost,
Tief schmerzt das Mark — fahr wohl, du Heimatstraum


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 Mädchenlied
 
Ob ich dieselbe wie gestern noch bin,
Spähend auf goldene Straßen hinaus?
Seltsames, Neues bewegt mir den Sinn,
Fremd den Gespielen, ja fremde dem Haus.
 
Suche mein Bild ich im Wassergerinn,
Gehe ich weiter auf sonnigem Plan:
Leuchtet mir lockend ein andres darin,
Glaub ich, es rede mein Schatten mich an.
 
Gestern auf totem Feld noch gegangen,
Wähnt ich mich bis in die Seele allein;
Heute von Blütenweben umfangen,
Küssend durchs Auge ins Herz mich hinein!
 
Anders geworden bin ich seit gestern,
Fühle die Tiefe der menschlichen Brust, —
Möchte umhalsen die arglosen Schwestern:
Ist denn auch euch solches Wunder bewußt?


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 Brautgruß
 
Liebst du die Zeit, die an des Winters Schwelle
Noch einmal schäumend uns den Becher füllt,
In der dem Lebensborn die volle Welle
Im alten Reichtum noch einmal entquillt?
Liebst du die Zeit, die, eh’ so schnell sie scheidet,
Nur um so kräftiger zu leben ringt,
In feur’gem Reiz durch Berg und Tale zieht,
Den Wald mitprunken dem Gewande kleidet —
Dann wieder lauscht, wie in den Kronen singt
Der Sturm sein allgewaltig, brausend Lied?

*** 
Liebst du die Zeit, die noch mit mildem Hauche
Erträumen läßt des Lenzes Blütenguß,
Wenn schon die letzte Rose dort am Strauche
Trinkt dürstend jeden flücht’gen Sonnenkuß?
Vom Jahreskranz das Edelste und Beste
Der Herbst vereint in goldner Schale beut;
Die Gabe, duftdurchhaucht und sonngeglüht,
Sie sei das Sinnbild heut zu deinem Feste!
Wie blüht und klinget doch zu dieser Zeit
Der Liebe wunderbares, hohes Lied!

*** 
Doch nicht wie hier, wo nur in kurzer Spanne
Des Lebens Fülle sich zusammendrängt,
Für immer weile du im sel’gen Banne
Des Zaubers, der dich heute hold umfängt!
Es will des Himmels Güte dir gewähren
Das Höchste, was ein Erdendasein krönt; —
Wenn feucht dein Aug’ zum Sternenwagen sieht
Erlauschest du im leisen Sang der Sphären
Dieselbe Weise, die auch dich durchtönt:
Der Liebe heiliges, urew’ges Lied!


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Textgrundlage: „Die Zeder“, "Mädchenlied",
"Brautgruß", Luise Deusch,
aus: Gedichte, Verlag v. J. F. Steinkopf, Stuttgart, gedruckt
bei J. F. Steinkopf, Stuttgart,

Digitized bei google, Original from Princton University

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