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Literatur


04.2



Gedichte - Georg Heym

Umbra Vitae
Nachgelassene Gedichte
1922


 

Umbra Vitae

Die Menschen stehen vorwärts in den Straßen
Und sehen auf die großen Himmelszeichen,
Wo die Kometen mit den Feuernasen
Um die gezackten Türme drohend schleichen.
 
Und alle Dächer sind voll Sternedeuter,
Die in den Himmel stecken große Röhren,
Und Zauberer, wachsend aus den Bodenlöchern,
Im Dunkel schräg, die ein Gestirn beschwören.
 
Selbstmörder gehen nachts in großen Horden,
Die suchen vor sich ihr verlornes Wesen,
Gebückt in Süd und West und Ost und Norden,
Den Staub zerfegend mit den Armen-Besen.
 
Sie sind wie Staub, der hält noch eine Weile.
Die Haare fallen schon auf ihren Wegen.
Sie springen, daß sie sterben, und in Eile,
Und sind mit totem Haupt im Feld gelegen,
 
Noch manchmal zappelnd. Und der Felder Tiere
Stehn um sie blind und stoßen mit dem Horne
In ihren Bauch. Sie strecken alle Viere,
Begraben unter Salbei und dem Dorne.
 
Die Meere aber stocken. In den Wogen
Die Schiffe hängen modernd und verdrossen,
Zerstreut, und keine Strömung wird gezogen,
Und aller Himmel Höfe sind verschlossen.


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Der Krieg

Aufgestanden ist er, welcher lange schlief,
Aufgestanden unten aus Gewölben tief.
In der Dämmrung steht er, groß und unerkannt,
Und den Mond zerdrückt er in der schwarzen Hand.
 
In den Abendlärm der Städte fällt es weit,
Frost und Schatten einer fremden Dunkelheit,
Und der Märkte runder Wirbel stockt zu Eis.
Es wird still. Sie sehn sich um. Und keiner weiß.
 
In den Gassen faßt es ihre Schulter leicht.
Eine Frage. Keine Antwort. Ein Gesicht erbleicht.
In der Ferne zittert ein Geläute dünn,
Und die Bärte zittern um ihr spitzes Kinn.
 
Auf den Bergen hebt er schon zu tanzen an,
Und er schreit: Ihr Krieger alle, auf und an!
Und es schallet, wenn das schwarze Haupt er schwenkt,
Drum von tausend Schädeln laute Kette hängt.
 
Einem Turm gleich tritt er aus die letzte Glut,
Wo der Tag flieht, sind die Ströme schon voll Blut.
Zahllos sind die Leichen schon im Schilf gestreckt,
Von des Todes starken Vögeln weiß bedeckt.
 
In die Nacht er jagt das Feuer querfeldein,
Einen roten Hund mit wilder Mäuler Schrein.
Aus dem Dunkel springt der Nächte schwarze Welt,
Von Vulkanen furchtbar ist ihr Rand erhellt.
 
Und mit tausend roten Zipfelmützen weit
Sind die finstren Ebnen flackend überstreut,
Und was unten auf den Straßen wimmelnd flieht,
Stößt er in die Feuerwälder, wo die Flamme brausend zieht.
 
Und die Flammen fressen brennend Wald um Wald,
Gelbe Fledermäuse, zackig in das Laub gekrallt,
Seine Stange haut er wie ein Köhlerknecht
In die Bäume, daß das Feuer brause recht.
 
Eine große Stadt versank in gelbem Rauch,
Warf sich lautlos in des Abgrunds Bauch.
Aber riesig über glühnden Trümmern steht,
Der in wilde Himmel dreimal seine Fackel dreht
 
Über sturmzerfetzter Wolken Widerschein,
In des toten Dunkels kalten Wüstenein,
Daß er mit dem Brande weit die Nacht verdorr,
Pech und Feuer träufet unten auf Gomorrh.

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Die Morgue

Die Wärter schleichen auf den Sohlen leise,
Wo durch das Tuch es weiß von Schädeln blinkt.
Wir, Tote, sammeln uns zur letzten Reise
Durch Wüsten weit und Meer und Winterwind.
 
Wir thronen hoch auf kahlen Katafalken,
Mit schwarzen Lappen garstig überdeckt.
Der Mörtel fällt. Und aus der Decke Balken
Auf uns ein Christus große Hände streckt.
 
Vorbei ist unsre Zeit. Es ist vollbracht.
Wir sind herunter. Seht, wir sind nun tot.
In weißen Augen wohnt uns schon die Nacht,
Wir schauen nimmermehr ein Morgenrot.
 
Tretet zurück vor unserer Majestät.
Befaßt uns nicht, die schon das Land erschaun
Im Winter weit, davor ein Schatten steht,
Des schwarze Schulter ragt im Abendgraun.
 
Ihr, die ihr eingeschrumpft wie Zwerge seid,
Ihr, die ihr runzelig liegt auf unserm Schoß,
Wir wuchsen über euch wie Berge weit
In ewige Todesnacht, wie Götter groß.
 
Mit Kerzen sind wir lächerlich umsteckt,
Wir, die man früh aus dumpfen Winkeln zog
Noch grunzend, unsre Brust schon blau gefleckt,
Die nachts der Totenvogel überflog.
 
Wir Könige, die man aus Bäumen schnitt,
Aus wirrer Luft im Vogelkönigreich,
Und mancher, der schon tief durch Röhricht glitt,
Ein weißes Tier, mit Augen rund und weich.
 
Vom Herbst verworfen. Faule Frucht der Jahre,
Zerronnen sommers in der Gossen Loch,
Wir, denen langsam auf dem kahlen Haare
Der Julihitze weiße Spinne kroch.
 
Ruhen wir aus im stummen Turm, vergessen?
Werden wie Welle einer Lethe sein?
Oder daß Sturm uns treibt um Winteressen,
Wie Dohlen reitend auf dem Feuerschein?
 
Werden wir Blumen sein? Werden wir Vögel werden,
Im Stolze des Blauen, im Zorne der Meere weit?
Werden wir wandern in den tiefen Erden,
Maulwürfe stumm in toter Einsamkeit?
 
Werden wir in den Locken der Frühe wohnen,
Werden wir blühen im Baum und schlummern in Frucht,
Oder Libellen blau auf den Seeanemonen
Zittern am Mittag in schweigender Wasser Bucht?
 
Werden wir sein, wie ein Wort von niemand gehöret?
Oder ein Rauch, der flattert im Abendraum?
Oder ein Weinen, das plötzlich Freudige störet?
Oder ein Leuchter zur Nacht? Oder ein Traum?
 
Oder – wird niemand kommen?
Und werden wir langsam zerfallen,
In dem Gelächter des Monds,
Der hoch über Wolken saust,
Zerbröckeln in Nichts.
-Daß ein Kind kann zerballen
Unsere Größe dereinst
In der dürftigen Faust.
 
Wir, Namenlose, arme Unbekannte,
In leeren Kellern starben wir allein.
Was ruft ihr uns, da unser Licht verbrannte,
Was stört ihr unser frohes Stelldichein?
 
Seht den dort, der ein graues Lachen stimmt
Auf dem zerfallnen Munde fröhlich an,
Der auf die Brust die lange Zunge krümmt,
Er lacht euch aus, der große Pelikan.
 
Er wird euch beißen. Viele Wochen war
Er  Gast bei Fischen. Riecht doch, wie er stinkt.
Seht, eine Schnecke wohnt ihm noch im Haar,
Die spöttisch euch mit kleinem Fühler winkt.
 
- Ein kleines Glöckchen -. Und sie ziehen aus.
Das Dunkel kriecht herein auf schwarzer Hand.
Wir ruhen einsam nun im weiten Haus,
Unzählige Särge tief an hoher Wand.
 
Was kommt er nicht? Wir haben Tücher an
Und Totenschuhe. Und wir sind gespeist.
Wo ist der Fürst, der wandert uns voran,
Des große Fahne vor dem Zuge reist?
 
Wo wird uns seine laute Stimme wehen?
In welche Dämmerung geht unser Flug?
Verlassen in der Einsamkeit zu stehen
Vor welcher leeren Himmel Hohn und Trug?
 
Ewige Stille. Und des Lebens Rest
Zerwittert und zerfällt in schwarzer Luft.
Des Todes Wind, der unsre Tür verläßt,
Die dunkle Lunge voll vom Staub der Gruft,
 
Er atmet schwer hinaus, wo Regen rauscht,
Eintönig, fern, Musik in unserm Ohr,
Das dunkel in die Nacht dem Sturme lauscht,
Der ruft im Hause traurig und sonor.
 
Und der Verwesung blauer Glorienschein
Entzündet sich auf unserm Angesicht.
Ein’ Ratte hopst auf nacktem Zehenbein,
Kommt nur, wir stören deinen Hunger nicht.
 
Wir zogen aus, gegürtet wie Giganten,
Ein jeder klirrte wie ein Goliath.
Nun haben wir die Mäuse zu Trabanten,
Und unser Fleisch ward dürrer Maden Pfad.
 
Wir, Ikariden, die mit weißen Schwingen
Im blauen Sturm des Lichtes einst gebraust,
Wir hörten noch der großen Türme Singen,
Da rücklings wir in schwarzen Tod gesaust.
 
Im fernen Plan verlorner Himmelslande,
Im Meere weit, wo fern die Woge flog,
Wir flogen stolz in Abendrotes Brande
Mit Segeln groß, die Sturm und Wetter bog.
 
Was fanden wir im Glanz der Himmelsenden?
Ein leeres Nichts. Nun schlappt uns das Gebein,
Wie einen Pfennig in den leeren Händen
Ein Bettler klappern läßt am Straßenrain.
 
Was wartet noch der Herr? Das Haus ist voll,
Die Kammern rings der Karavanserei,
Der Markt der Toten, der von Knochen scholl,
Wie Zinken laut hinaus zur Wüstenei.

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Die Seefahrer

Die Stirnen der Länder, rot und edel wie Kronen
Sahen wir schwinden dahin im versinkenden Tag,
Und die rauschenden Kränze der Wälder thronen
Unter des Feuers dröhnendem Flügelschlag.
 
Die zerflackenden Bäume mit Trauer zu schwärzen,
Brauste ein Sturm. Sie verbrannten, wie Blut,
Untergehend, schon fern. Wie über sterbenden Herzen
Einmal noch hebt sich der Liebe verlodernde Glut.
 
Aber wir trieben dahin, hinaus in den Abend der Meere,
Unsere Hände brannten wie Kerzen an.
Und wir sahen die Adern darin, und das schwere
Blut vor der Sonne, das dumpf in den Fingern zerrann.
 
Nacht begann. Einer weinte im Dunkel. Wir schwammen
Trostlos mit schrägem Segel ins Weite hinaus.
Aber wir standen am Borde im Schweigen beisammen,
In das Finstre zu starren. Und das Licht ging uns aus.
 
Eine Wolke nur stand in den Weiten noch lange,
Ehe die Nacht begann in dem ewigen Raum,
Purpurn schwebend im All, wie mit schönem Gesange
Über den klingenden Gründen der Seele ein Traum.

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Der Garten der Irren

Am roten Teiche stehen viele Schatten
Bei dünner Bäume schwächlichen Gesichten,
In Stille fort. Nur selten daß sich einer
Herunter zu dem trüben Wasser bücket.
 
Und manche gehn in die entleerten Hecken
In kühlen Gängen, die schon voller Lichter,
Und schleifen mit den Füßen in dem Laube
Und sitzen wieder sanft in den Verstecken.
 
Der Strom ist weit hinab im blanken Scheine
Bei Erlen und den krumm gebornen Weiden.
Und wer mit leichtem Kahn ihn überbrücket,
Er wird im Licht die gelben Blumen pflücken.

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Alle Landschaften haben

Alle Landschaften haben
Sich mit Blau erfüllt.
Alle Büsche und Bäume des Stromes,
Der weit in den Norden schwillt.
 
Leichte Geschwader, Wolken,
Weiße Segel dicht,
Die Gestade des Himmels dahinter
Zergehen in Wind und Licht.
 
Wenn die Abende sinken
Und wir schlafen ein,
Gehen die Träume, die schönen,
Mit leichten Füßen herein.
 
Zymbeln lassen sie klingen
In den Händen licht.
Manche flüstern und halten
Kerzen vor ihr Gesicht.

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Mond

Den blutrot dort der Horizont gebiert,
Der aus der Hölle großen Schlünden steigt,
Sein Purpurhaupt mit Wolken schwarz verziert,
Wie um der Götter Stirn Akanthus schweigt,
 
Er setzt den großen goldnen Fuß voran
Und spannt die breite Brust wie ein Athlet,
Und wie ein Partherfürst zieht er bergan,
Des Schläfe goldenes Gelock umweht.
 
Hoch über Sardes und der schwarzen Nacht,
Auf Silbertürmen und der Zinnen Meer,
Wo mit Posaunen schon der Wächter wacht.
Der ruft vom Pontos bald den Morgen her.
 
Zu seinem Fuße schlummert Asia weit
Im blauen Schatten, unterm Ararat,
Des Schneehaupt schimmert durch die Einsamkeit,
Bis wo Arabia in das weiche Bad
 
Der Meere mit den weißen Füßen steigt
Und fern im Süden, wie ein großer Schwan,
Sein Haupt der Sirius auf die Wasser neigt
Und singend schwimmt hinab den Ozean.
 
Mit großen Brücken, blau wie blanker Stahl,
Mit Mauern, weiß wie Marmor, ruhet aus
Die große Ninive im schwarzen Tal,
Und wenig Fackeln werfen noch hinaus
 
Ihr Licht, wie Speere weit, wo dunkel braust
Der Euphrat, der sein Haupt in Wüsten taucht.
Die Susa ruht, um ihre Stirne saust
Ein Schwärm von Träumen, die vom Wein noch raucht.
 
Hoch auf der Kuppel, auf dem dunklen Strom
Belauscht allein der bösen Sterne Bahn
In weißem Faltenkleid ein Astronom,
Der neigt sein Szepter dem Aldebaran,
 
Der mit dem Monde kämpft um weißen Glanz,
Wo ewig strahlt die Nacht und ferne stehn
Am Wüstenrand im blauen Lichte ganz
Einsame Brunnen, und die Winde wehn
 
Ölwälder fern um leere Tempel lind.
Ein See von Silber, und in schmaler Schlucht
Uralter Berge tief im Grunde rinnt
Ein Wasser sanft um dunkler Ulmen Bucht.

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