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Literatur


04.2



Gedichte - Georg Heym

Umbra Vitae
Nachgelassene Gedichte
1922


 

Spitzköpfig kommt er . . .


Spitzköpfig kommt er über die Dächer hoch
Und schleppt seine gelben Haare nach,
Der Zauberer, der still in die Himmelszimmer steigt
In vieler Gestirne gewundenem Blumenpfad.
 
Alle Tiere unten im Wald und Gestrüpp
Liegen mit Häuptern sauber gekämmt,
Singend den Mondchoral. Aber die Kinder
Knien in den Bettchen in weißem Hemd.
 
Meiner Seele unendliche See
Ebbet langsam in sanfter Flut.
Ganz grün bin ich innen. Ich schwinde hinaus
Wie ein gläserner Luftballon.

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Mit den fahrenden Schiffen

Mit den fahrenden Schiffen
Sind wir vorübergeschweift,
Die wir ewig herunter
Durch glänzende Winter gestreift.
Ferner kamen wir immer
Und tanzten im insligen Meer,
Weit ging die Flut uns vorbei,
Und Himmel war schallend und leer.
 
Sage die Stadt,
Wo ich nicht saß im Tor,
Ging dein Fuß da hindurch,
Der die Locke ich schor?
Unter dem sterbenden Abend
Das suchende Licht
Hielt ich, wer kam da hinab,
Ach, ewig in fremdes Gesicht.
 
Bei den Toten ich rief,
Im abgeschiedenen Ort,
Wo die Begrabenen wohnen;
Du, ach, warest nicht dort.
Und ich ging über Feld,
Und die wehenden Bäume zu Haupt
Standen im frierenden Himmel
Und waren im Winter entlaubt.
 
Raben und Krähen
Habe ich ausgesandt,
Und sie stoben im Grauen
Über das ziehende Land.
Aber sie fielen wie Steine
Zur Nacht mit traurigem Laut
Und hielten im eisernen Schnabel
Die Kränze von Stroh und Kraut.
 
Manchmal ist deine Stimme,
Die im Winde verstreicht,
Deine Hand, die im Traume
Rühret die Schläfe mir leicht;
Alles war schon vorzeiten.
Und kehret wieder sich um.
Gehet in Trauer gehüllet,
Streuet Asche herum.

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Die Meerstädte
Giuliana Anzilotti gewidmet
 
Mit den segelnden Schiffen fuhren wir quer herein
In die Städte voll Nacht und frierender Häfen Schein,
Tausend Treppen, leere, stiegen zum Meere breit,
Dunkel die Schiffe schwangen den Feuerscheit.
 
Glocke nicht brummt’. Und Bettler nicht saß am Pfad.
Rief kein Horn, und niemand den Weg uns vertrat.
Und die Städte alle waren wie Wände bloß,
Sterne nur gingen über den Zinnen sehr groß.
 
Seebäume saßen geborsten im Mauergestrüpp.
Salzig, und weit . . . vor unserem Fuß.
Brücke zerbrochen stand wie Knochengerüpp,
Ferne Feuer warfen sich über den Fluß.

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Die Schlösser

Alt von Blute, und manches im toten Munde
Kauen sie dunkel. -  Wo große Schwerter geblitzt,
Trübe Gelage zur Nacht in der Könige Runde.  -
Draußen die Sonne die späten Pfeile noch spitzt.
 
Wir auch gingen hinein. Und kamen durch Stiegen und Gänge:
Mancher Verschlag tat sich auf und fiel zu.
Viele Schatten auf bleichen Dielen in Länge
Kamen um unseren Fuß wie Hunde in Ruh.
 
Über den Höfen, den dunklen voll Trauer, begannen
Windfahnen eben das knarrende Abendlied.
Und hoch in dem Licht der Götter große Gespanne
Schnelle rollten dahin in den festlichen Süd.

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Die Städte

Der dunkelnden Städte holprige Straßen,
Im Abend geduckt, eine Hundeschar,
Im Hohlen bellend. Und über den Brücken
Wurden wir große Wagen gewahr;
 
Zitterten Stimmen, vorübergewehte.
Und runde Augen sahen uns traurig an.
Große Gesichter, darüber das späte
Gelächter von hämischen Stimmen rann.
 
Zwei kamen vorbei in gelben Mänteln.
Unsere Köpfe trugen einmal sich fort,
Mit Blute besät, und die tiefen Backen,
Darüber ein letztes Rot noch verdorrt.
 
Wir flohen vor Angst,  doch im Fluß weißer Welle,
Der uns mit weißen Zähnen gewehrt,
Und hinter uns feurige Abendsonne.
Tote Straßen jagte mit grausamem Schwert.

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Die Stadt der Qual
Έρως ός  έν χτήμασιν πίπτεις

 
Ich bin in Wüsten eine große Stadt
Hinter der Nacht und toten Meeren weit.
In meinen Gassen herrscht stets wilder Zank
Geraufter Bärte. Ewig Dunkelheit
 
Hängt über mir wie eines Tieres Haut.
Ein roter Turm nur flackert in den Raum.
Ein Feuer braust und wirft den Schein von Blut
Wie einen Keil auf schwarzer Köpfe Schaum.
 
Der Geißeln Hyder bäumt in hoher Faust.
In jedem Dunkel werden Schwerter bloß.
Und auf den Toten finstrer Winkel hockt
Ein Volk von bleichen Narren, kettenlos.
 
Der Hunger warf Gerippe auf mich hin.
Der Brunnen Röhren waren alle leer;
Mit langen Zungen hingen sie darin,
Blutig und rauh. Doch kam kein Tropfen mehr.
 
Und gelbe Seuchen blies ich über mich.
Die Leichenzüge gingen auf mir her,
Ameisen gleich mit einem kleinen Sarg,
Und winzige Pfeiferleute bliesen quer.
 
Altäre wurden prächtig mir gebaut
Und sanken nachts in wildem Loderschein.
Im Dunkel war der Mord. Und lag das Blut
Rostfarbner Mantel auf der Treppen Stein.
 
Asche war auf der Völker Haupt gestreut,
Zerfetzt verflog ihr hären Kleid wie Rauch.
So saßen sie wie kleine Kinder nachts
In tauber Angst auf meinem großen Bauch.
 
Ich bin der Leib voll ausgehöhlter Qual.
In meinen Achseln rotes Feuer hängt.
Ich bäume mich, und schreie manchmal laut,
In schwarzer Himmel Grabe ausgerenkt.

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Verfluchung der Städte V

Ihr seid verflucht. Doch eure Süße blüht
Wie eines herben Kusses dunkle Frucht,
Wenn Abend warm um eure Türme sprüht,
Und weit hinab der langen Gassen Flucht.
 
Dann zittern alle Glocken allzumal
In ihrem Dach, wie Sonnenblumen welk.
Und weit wie Kreuze wächst in goldner Qual
Der hohen Galgen düsteres Gebälk.
 
[Die Toten schaukeln zu den Glockenklängen
Im Wind, der ihre schwarzen Leichen schwenkt,
Wie Fledermäuse, die im Baume hängen,
Die Toten, die der Abend übersengt.]*)
 
Und wie ein Meer von Flammen ragt die Stadt
Wo noch der West wie rotes Eisen glänzt,
In den die Sonne, wie ein Stierhaupt glatt,
Die Hörner streckt, von dunklem Blut bekränzt.
 
*) Diese Strophe ist nicht in „Dichtungen 1922“ enthalten!

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Die Nacht

Alle Flammen starben in Nacht auf den Stufen.
Alle Kränze verwehten. Und unten im Blute verloren
Seufzte das Grauen. Wie hinter gestorbenen Toren
Manchmal es fern noch hallt von dunkelen Rufen.
 
Eine Fackel nach oben bog aus den Gängen,
Lief im Chor und versank wie das Heer der Dämonen,
Rot und rauchend. Doch draußen der Waldung Kronen
Wuchsen im Sturm und zerrten sich in die Länge.
 
Und in Wolken hoch kamen mit wilden Gesängen
Weiß die Greise der Stürme, und riesige Vögel scheuchten
Über den Himmel hinab, wie Schiffe mit feuchten
Segeln, die schwer auf den Wogen hängen.
 
Aber die Blitze zerrissen mit wilden und roten
Augen die Nacht, die Öde der Säle zu hellen,
Und in den Spiegeln standen mit Köpfen, den grellen,
Drohend herauf mit schwarzen Händen die Toten.

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