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Literatur


04.2



Kleines Fabelbuch

Gustav Holting

 


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Der Wolf und der Storch
















Ein Wolf verschlang vor nicht gar langer Zeit,
Bei seiner gierigen Gefräßigkeit,
Ein Knöchelein mit starken Spitzen,
Und dies blieb ihm im Halse sitzen.
 
Erbärmlich winselt er, und krümmt sich voller Schmerzen.
Da kommt ein Storch herbei; dem geht sein Leid zu Herzen,
Und mit dem langen Schnabel wagt er kühn
Den Knochen aus dem Hals des Wolfs zu zieh’n.
 
Zum Lohn erbittet er d’rauf in bescheid’ner Weise
Sich einen Zehrpfennig für seine weite Reise.
„Wie! was!“ versetzt der Wolf voll Hohn,
„Er Schlingel! Er verlangt noch Lohn?

 
Bei meiner Ehre, das muß ich gesteh’n,
Solch‘ eine Frechheit ist nicht mehr zu seh’n!
Hat nicht so eben noch
Dein Kopf in meinem Hals gesteckt?
 
Ließ ich ihn nicht heraus
Ganz unbeschädigt, ungeneckt?
Und nun zum Lohn? ha! ha! das ist zum Lachen,
Doch könnt‘ es mich fast böse machen.
 
Geschwinde pack‘ Dich fort, mein Herr von Klapperbein;
Denn wenn mein Zorn erwacht, wirst Du es sehr berei’n“
 
Ein altes Sprichwort sagt uns schon:
Undank ist der Welt Lohn.

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Hase und Löwe
 
Hase:
Ist’s wahr, Herr Löwe, was man mir gesagt,
Daß Euch des Hahnes Kräh’n in Schrecken jagt?
Ja, Häschen, das ist meine schwache Seite,

Löwe:
Beim Ruf des Hahnes such‘ ich schnell das Weite,
Ich sag‘ es frei; denn manch‘ ein riesig Thier
Theilt diese kleine Schwachheit ja mit mir,
 
Der Elephant zum Beispiel ist verstört,
Wenn er das Grunzen eines Schweines hört.
 
Hase:
Ei, was Ihr sagt,  nun wird es mir auch klar,
Weshalb mir stets - so Angst vor Hunden war.

 
(Nach Lessing)

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