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Literatur


04.2



Kleines Fabelbuch

Gustav Holting

 

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Die beiden Freunde















Mit seinem Nachbar Hans ging Veit einst über Land,
Als jener plötzlich einen großen Beutel fand,
Der voller Thaler war. „Geschwinde laß uns eilen,“
Ruft Meister Veit sogleich, „den schönen Fund zu theilen.“
 
„Zu theilen, lieber Veit? Ich hab‘ ihn ja gefunden,
Und halte mich daher zur Theilung nicht verbunden.“
„Wie! was!“ versetzte Veit, „nun ja, das wäre schön!
Es ist ja alter Brauch, wenn zwei zusammen gehen,
 
So hat an jedem Fund ein Jeder gleiches Recht;
Drum theile nur geschwind, sonst nenne ich Dich schlecht.“
Hans sträubt‘ vergebens sich, er mußte sich bequemen,
Den Theilungsvorschlag seines Nachbars anzunehmen.
 
Darauf gingen beide weiter, und erreichten bald
Auf ihrem Wege einen großen, dunklen Wald.
Da kam aus dem Gebüsch, zu ihrem Schreck und Graus,
Gerade auf sie zu, ein großer Bär heraus.
 
Veit, der zuerst ihn sah, hatt‘ hurtig sich gefaßt,
Und saß bald oben, hoch auf eines Baumes Ast.
„Treuloser Freund, ach hilf! Du wollt’st ja Alles theilen
Und nun seh‘ in der Noth ich Dich von dannen eilen!“
 
So schreit der arme Hans mit kläglichem Gesicht,
Fällt dann zu Boden hin, und rührt und regt sich nicht.
Jetzt kommt Bär. Hans hört ihn dicht bei seinen Ohren,
Er fühlt, wie er ihn faßt; schon glaubt er sich verloren. –
 
Doch nein! der Bär ist gut, er thut ihm nichts zu Leide,
Kehrt ins Gehölz zurück, zu Hansen großer Freude.
Veit steigt vom Baum herab, als die Gefahr vorüber,
Und sprach mit losem Spott: „o sage doch, mein Lieber,
 
Was eben Meister Petz Dir gab für weise Lehren;
Es war wohl recht gelehrt, ich möchte es gerne hören.“
„Je nun!“ erwiderte Hans, „der Bär war gar nicht dumm,
Er sagte mir ins Ohr mit deutlichem Gebrumm:
 
Du findest Freunde stets im Glück an jedem Ort,
Doch wenn das Unglück naht, husch! sind sie alle fort;
Denn guter Freunde in der Noth
Gehen Tausend auf ein Loth.“


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