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Literatur


04.3


Gedichte in Prosa

Ann Croissant-Rust

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Herbsttage am Rhein
 
Hoch oben im herbstlichen Blau hängt ein Drachen.
Sonnenbeschienen, regungslos. Von Zeit zu Zeit
zittert der dünne Papierschweif in kaum merklicher Be-
wegung. Er scheint die höchste Spitze der Pappel am
Horizont zu berühren, drüben überm Rhein.
     Hoch geht das Wasser und schießt in graulich-
trüben, breiten Streifen durch die Bogen der Brücke.
     In drei großen Sprüngen schnellt sie sich über
den Strom ins Kiesufer.
     Niedere, graue Sammtweiden kauern dort.
     Wie von ihnen ausgestoßen, verhöhnt, recken sich
verkrüppelte, höhere Strünke über die Büsche.
     In trägem, faulschläfrigen Trott holpert ein
Wagen über den fernen Holzsteg.
     Der einzige Ton in der Mittagsstunde. —
     Dicht drängen sich die Lindenbäume um die Stadt,
verbergen ihre Häuser, ihre Dächer, lassen nur die
langgestreckten Firste der Kasernen heraussehen, hängen
mit dunklem, ruhigem Laut am Sonnenhimmel.
     Kein Wind, keine Regung. Nur die Wasser und
der stillschwänzelnde Drachenschweif über der starren
Pappelreihe.
     Am Kiesufer des Flusses schreien hohe Büsche
gelber Blumen, wie hervorgeschossen aus dem steinigen
Grunde. Hochfahrend in der Form, mit dicken, hart-
näckigen Blütenköpfen.
     In buntem Gemisch drängen sich rote Hecken
hinter ihnen, glühen Herbstranken.
     So klar, so hell, offen, gleichsam unschuldig ist
die Luft. Sagt Alles.
     Jeden Ton bringt sie. Die schwätzende Rhein-
stimme, ihr Murren am Steinbett des Ufers, das ver-
drießliche, grämliche Gezänke mit den Wehren und den
lauten, ehrlichen, aufgebrachten Zorn an den Brücken-
pfeilern.
     Dann die Mittagsglockenstimmen.
     Zaghaft ansetzend, wie gedämpft durch den Baum-
ring um die Stadtwälle, sich aus ihm herausringend,
voll und jubelnd. Glänzend. — —
     Ein Kiesel fällt aus der Schräge des Ufers,
fällt in den Rhein, klatscht.
     Libellen ruhen mit zuckendem Leib auf den
 schmalen Sandwegen, fahren auf und ruhen auf’s Neue.
     Am Himmel steht ohne Regung der Papierdrachen.
     Quer über die Wiesen kommt ein Soldat. Der
Helm blinkt in der Sonne und mit zitterndem Streifen
tanzt der Stahl des Gewehres in der Ferne.
     In raschem Lauf durch die Felder,
     Immer mit dem Gewehr.
     Quer, quer, immer näher.
     Das Schilf beugt sich, unwillig raschelnd rechts
und links, knickt.
     Aus den braunen Zitterrispen, den graugrünen
Metallblättern der blitzende Gewehrstreifen.
     Jetzt nimmer.
     Der Mann hält am Ufer.
     Ober ihm am Himmel steht eine kleine, weiße,
zerzauste Wolke.
     Der Rhein murrt, spritzt an die Steine, läuft.
     Der Soldat bückt sich. Einen Augenblick sieht
er hinauf zur weißen Wolke, dann zurück zu den
Festungswällen, nieder auf die grauen, eilenden
Wellen — —
     Ein Sprung — —
     Tropfen spritzen auf die starrköpfigen Gelbblumen,
Kiesel rollen, plätschern — auf den eiligen Wellen ein
tanzender Streifen Lichtes —
     Der Metallreif am Helm hebt sich, — senkt sich
—  hebt sich — senkt sich —
     Nichts mehr.
     Erstaunt, neugierig, steht hoch oben die kleine,
weiße Wolke. Steht lange Zeit und zieht dann lang-
sam auf die Pappelreihe zu, die nüchtern, klotzig ihre
Steifköpfe in die Höhe reckt.
     Der Drachen schwebt unbeweglich darüber.
     Rasselnd, pustend, schnaubt der Eisenbahnzug über
die Brücke. Der spitze Pfiff bohrt sich tief in die
wartende Stille. ­ —
 
*        *
     *
 
     Spöttisch war die Sonne am Morgen hinter den
Graunebeln in die Höhe gekommen.
     Mit blöden Augen stieren die Altwasser in die
dicke Luft.
     Hurtig, wie geärgert, läuft der Rhein.
     Pappellaub schwätzt am Ufer, naß, schüttelt
Tropfen auf den Kies.
     In leichten Wellen beugt sich neugieriges Schilf-
gras über das Wasser, langsam, langsam.
     Richtet sich auf, raschelt und beugt sich wieder.
     Weite, weite Strecken wogendes, stilles Braun-
rispenmeer.
     In der Ferne am Himmelsrand, wo der Rhein
in trotziger Beugung nach rechts läuft, ziehen in ver-
schwommener Linie die Schwarzwaldberge, nebelduftig.
     Weißliche Dünste liegen über den Wiesen. Wie
eine dichte Schneedecke. Raunen, zittern vor dem
kalten Sonnenblick. Laub fällt traurig zu Boden. Wie
rinnende Thränen der müden, alten Erde.
     Runde Weidenhäupter, einsam, armselig, schauen
hilflos aus weißen Dünsten.
     Spöttisch lächelt die Sonne, schaut über die lang-
gedehnten Wiesen, den unmutigen Fluß, die Nebel,
die mühselig über Wiesen und Hecken und Wälder
kriechen.
     Fort! Fort! Wind schüttelt sie im Nacken,
treibt sie über die Schilfwellen, durch die löcherige
Pappelreihe, zerzaust sie und dann erst schöpft er Atem.
     Sonnenblitze in Rheinwellen, Baumkronen licht-
überrieselt, scheue Wiesen voll schimmernder Luft.
     Der Himmel mattblau, ungewiß und traurig.
Wie verhöhnt von dem gelben Lichte.
     Dort! — Wolken, die sich wieder trotzig zurück-
schieben über die Pappeln, vertriebene, zusammen-
gerottete Nebel. Warten zaudernd.
     Endlich rückt eine graue, dreiste weit vor am
Himmel, steht still, horcht und eilt lang ausgestreckt
der Sonne zu. Müde ist die Sonne, gähnt, ruht
hinter der Wolke. Mehr, immer mehr schieben sich
vor. Graulich wird das Licht, zitternd liegt die Erde,
bedroht von der Wolkenwand am Horizont. Still
gleitet ein Dampfer durch die ängstliche Ruhe des
Herbstnachmittags.
     Plötzlich fahren Windstöße über das Wasser,
reißen den Rauch des Dampfers fort, zerren an der
Brückenfahne und treiben die Wellen.
     Dichter ballt sich die Wolkenwand, verschlingt
den traurigen Himmel, starrt auf die Erde.
     Dunkler wird’s und der Wind stößt im Triumph
auf das Wasser nieder. Unwillig, geknechtet heben
sich die Wellen, senken sich, kämpfen, stellen sich hoch
im Ringen und, niedergeworfen, entfliehen sie rasch.
     Blöde glotzen die Altwasser.
     Und die Erde harrt regungslos. Todesschweiß
auf dem Antlitz, gequält vom herrischen Sturm, kraftlos.
     Drohend hält sie der Herbsthimmel in Banden,
finster, unerbittlich.
     Und die Sonne sinkt.
     Schaut mit blitzendem, spöttischen Blick über die
Pfälzerberge durch die Wolkenwand und schickt den
harrenden Wächter, den ersten unruhigen Funkelstern,
in die tote Herbstnacht.
 
*          *
      *
 
     Grau der Himmel.
     Wie ein brechendes Auge, glanzlos, matt schaut
der kleine Weiher zu ihm auf.
     Kein Schilf, kein Röhricht, keine Wasserpflanze
auf  ihm.
     Gestorben Alles.
     Gelbliche Wiesenstrecken umringen ihn, drängen
ihn zusammen.
     Unbekümmert läuft der Bahndamm an ihm vorbei.
     Nur in der Ferne neigen sich Pappelreihen ihm
verschüchtert, zitternd.
     Wie im Zorn schießen die Bahngleise von drei
Seiten aufeinander zu, fort über Schilfwiesen und
tote Kartoffelfelder, laufen nebeneinander an miß-
mutigen Altwassern vorbei — sind von der Bahnhalle
verschlungen.
     Überall schaut dunkler, grämlicher Wald über
die Ebene und umklammert das Stück Herbstland.
     Der Wind kommt.
     Fährt in die Schilfwedel und drückt sie herrisch
zur Erde.
     Saust über den Rhein, schlägt ihn, höhnt ihn,
schwingt sich über die Bahndämme und fällt den
Pappeln in den Rücken. Gebeugt, wie in hastiger
Flucht eilen sie von allen Seiten dem Horizont zu.
     Regen fällt vom Himmel.
     Fortwährend, boshaft.
     Schwere Tropfen rinnen aus dem Fahllaub der
Bäume, Perlenreihen hängen an Telegraphendrähten.
     Wie vergraben in grauen Nebeln ist die Stadt,
untergetaucht unter die Festungswälle vor dem Regen-
geriesel. Nur die Dächer der Kasernen glotzen durch
 das Dunstgrau, brutal beherrschend. Immer düsterer
wird’s, immer trauriger.
     Nebelfetzen schlüpfen aus schwankendem Schilf-
rohr, dehnen sich, liegen auf dem Rhein, greifen mit
flatternden Armen in die Büsche, steigen über die
Wälle, umzingeln die Stadt und grinsen über den
Dächern.
     Trostloses, trostloses Grau.
     Alles tot.
     Nie mehr sprießendes Grün, Vogelsang und
Blumenauen, nie mehr helles Rheinplätschern im Früh-
morgenschein.
     Das Grau kommt, die Nacht, das Sterben.
     Dunkel ringsum.
     Matt liegt drunten der kleine Weiher, gequält
von den stetig fallenden Regentropfen.
     Ein Licht sticht durch die Finsternis, qualmt im
Nebel  — näher, näher, ein zweites, tappend, schwankend.
     Schnell, — schneller. Schießt an den Pappeln
vorbei, zittert über den Altwassern —
     Keuchender Atem, brausendes Tosen  —
Zickzacklichter auf knirschenden Schienen voll
Regenglanz, ein scheuer Leuchtblick auf den einsamen,
düsteren Weiher, heisere Dampfschreie  — wie ein
Phantom fliegt die Lokomotive, fliegen die Wagen
vorbei.
     Fahnen und Laubwerk außen, bunte Kränze und
Blumen.
     Drinnen Soldaten.
     Ein einziges Gejohle, ein großer verworrener
Schrei, so jagt der Militärzug durch die Traurige
Nacht.
     Nur seine drei roten Glutlichter leuchten noch
eine Weile wie boshafte Glanzaugen durch Nebel und
Finsternis.


 
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