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04.3
Gedichte in Prosa
Ann
Croissant-Rust
_____________________
Winter
Wieder am See!
Das Schilf beugt seine Rispen
zum Ufer,der
Wind raschelt in den Blättern und das
Wasser
murmelt.
Dieselben Stimmen, immerfort —
Geschwätzig
raunend,
geheimnisvoll, erwartend.
Von den Bergen kommt’s grau und dicht. Ein
feiner Regen
umspinnt mit graulichem Geriesel leise
und sacht den
See und das Gestade, die Ufer ver-
schwimmen.
Nur die Hände an den Bergen schauen grün-
schwarz
heraus; trotzig, bereit, wie sich wehrend gegen
die still
anrückende sichere Verschleierung.
Rote und gelbe Streifen Herbstlaubes
kriechen in
buntem Wechsel durch das Grünschwarz und
verlieren
sich im Nebel,
wie ein Lachen, ein kicherndes ist’s in
dem Düster
ringsum. Wilde Weinranken glühen blut-
rot über die
öden Gartenbeete, die letzten kränklichen
Rosen höhnend.
So bewußt traurig ist’s überall, wie im
Hause
eines
Toten — man wartet, daß man ihn holt, —
ein
unterdrücktes Schluchzen, verhaltenes Weinen,
mürrisches
Schleichen der Dienstboten.
Niemand auf der Straße in dem feinen,
frech-
triumphierenden
Regen, kein Kahn auf dem See, Halb-
dunkel in den
Häusern.
Kein Licht noch, keine Nacht mit ihrem
Lampen-
schein, der
das „Draußen“ verwischt und das nahende
Traurige
vergessen macht.
Im kleinen Haus am See ist‘s warm und
dämm-
rungstraulich.
Das Feuer knistert und springt und
streitet mit
dem Wind im eisernen Öfchen und schickt
seine
tastenden Glutfinger über die Diele hin. Schnell,
zuckend, sich
zurückziehend, wieder vorwärts kriechend.
Ein stetiges Spiel.
Ein alter Mann sitzt im Lehnstuhl am
Fenster.
Draußen hat der Wind angefangen, herrisch
an
den Ketten der
Kähne zu reißen. Er stößt ihre Rippen
gegen das
Haus, das in den See hineinragt mit seinen
Mauern. Dann
treibt er ein artig tanzendes Necken
mit den
Wellen, wirbelt sie umher, plaudert, lacht und
schluchzt mit
ihnen.
Plötzlich in erwachendem Zorn packt er
sie, schleu-
dert sie gegen
das Haus, ist still, packt sie aufs neue
in steigender
Herrschsucht und wirft sie abermals gegen
die Wände.
Der Kampf!
Sein ist er und sein das Ringen.
Die grauen Wolken dort ballt er zu Hauf,
die
Nebel reißt er
aus den Schluchten und löscht mit ihnen
das
Sonnenlicht. Herunter mit den Blättern von den
Bäumen,
herunter!
Sterben muß das letzte blühende, grünende
Leben,
erstarren. — — —
Der alte Mann ist traurig. Den ganzen Tag
war er im
Lehnstuhl gesessen und hat’s kommen sehen
von den
Waldbergen her. Aus den Schluchten steigt’s
drohend in die
Höhe und kriecht verscheucht, lauernd
um die Felsen.
Der Alte hört die mächtige Stimme
des Windes,
sieht den Kampf, das Ringen.
Wird die Stimme siegend, frohlockend? Kommt
er, kommt er,
der Winter? —
So schwer ist es, als zu sein und die
Natur sterben
zu sehen. Es
wird ihm kalt um’s Herz, der lange,
tote, einsame
Winter! Er fühlt sich krank, die Furcht
vor der
Eintönigkeit, die Angst vor dem Nichtsthun-
können
überschleichen ihn. So matt, so schwer, . —
Rüttelt der Wind auch an seinen alten
Knochen
und singt das
Jubellied seinem Ende?
Wo ist die Sonne, der er noch zugejauchzt
vor
kurzem droben
auf den Bergen? Wo sind seine grünen
Bäume, sein Licht,
sein lachender See? Wie kräftig
hat er sich
gefühlt in seinem Kahne, sein braunes
Enkelkind am
Steuer, und heute sitzt er gebrochen im
Stuhl, allein.
Der Winter
— Er wird nie wieder das Früh-
jahr sehen.
Er weint, der alte Mann.
Die Regentropfen klopfen knatternd auf das
Holz-
dach, die Ketten
der Kähne knirschen am Pflock — es
wird Nacht. —
Wie frisch der Morgen! Still, heiter,
ruhig. Der
Schnee liegt
bis ins Thal herunter, schwarzblau drängt
sich der Wald
zusammen, der See ist klar und dunkel.
Keine Welle,
glatt. Erschöpft ruht er nach dem gestrigen
Kampfe, nur
hie und da wie ein verlorener Atemzug
heben sich die
Wellen, daß die dünne Eiskruste am
Ufer knistert.
Der alte Mann sitzt wieder am Fenster. Das
Feuer plaudert
und die Sonne blinzelt durch die
Scheiben,
schleicht ihm über die Hände, über das Ge-
sicht, die
geschlossenen Augen. Sie wärmt nicht, aber
dem Alten ist
sie wie Heilung. Er träumt in seinem
Stuhl, doch
hört er das Lachen seines Enkelkindes.
So fröhlich,
so jung, so heiter. Sie und der blonde
Bursche.
Was ist ihm vor dem Winter bang? Die
Beiden
sind bei ihm.
Die Sonne scheint.
Eine süße Weise stiehlt sich aus der Ecke
zu ihm.
Der Bursche
spielt Zither und das braune Resei singt
dazu. Leise,
sacht, um den Alten nicht zu wecken.
Ein paar Schneeflocken taumeln an den
Fenstern
vorbei,
verloren, verirrt. Der weiße Turm von Egern
schaut
sonnbeschienen über den See, die Glocken fangen
zag an zu
läuten — Sonntagswintermorgen.
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