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Literatur


04.3


Gedichte in Prosa

Ann Croissant-Rust

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Confiteor 
 
Ein schlafendes Weib lag auf der Höhe. Gelb-
weiße Felszacken stiegen hinter ihr auf und ein blauer,
harter Himmel, scharf in hartherziger Bläue.
     Das Weib war nackt und lag tief unter blühen-
den Blumen. Ein dünner Schleier nur war über
ihren Körper gebreitet, aber die schlanken gelben
Schwertlilien, die Sammtiris und die höhnisch roten
Feuerlilien neigten sich über sie.
     Ihre Hände hielten einen Büschel Blüten.
     Welkend.
     Thränen hingen an ihren Wimpern und ihre
Füße bluteten.
     Sie erwachte erst als sie der Mann weckte.
    „Warum bluten deine Füße“? frug er sie.
    „Weil ich zu hoch gestiegen bin.“
    Auch ich stieg so hoch.“
    „Du bist bekleidet.“
    Darauf schwieg er.
    „Wo sind deine Kleider?“
    „Sie fielen in die Schlucht.“
    „Warum hast du dich ausgezogen?
    „Ich wollte mich nackt sehen.“
    „Warum hast du geweint?“
    „Weil ich meine Nacktheit schaute.“
    Darauf schwieg er.
    „Du bis nicht nackt, deine Glieder umhüllt ein
Schleier.“
    Sie sah ihn an. — Lange.
    Ein streifender, feindseliger Blick.
    Voll wartender List.
    „Warum hast du ihn nicht weggenommen?“
    „Ich kann nicht.“
    „Ich liebe dich, ich muß dich sehen!“
    „Nimm ihn weg.“
    Und er neigte sich über sie.
    Mit leisen, weichen Händen berührte er ihren Leib.
    Er bog die Blumen zur Seite. Da sah er, daß
sie voll Schlamm war.
    Er nahm den Schleier, doch er löste sich nicht.
    „Nimm ihn weg,“ bat sie.
    Mit fieberndem Finger umtastete er sie. Doch
der Schleier löste sich nicht.
    „Nimm ihn weg,“ herrschte sie.
    Da warf er sich über sie, wühlte, riß — doch
der Schleier löste sich nicht.
    Ihre Augen brannten in den seinen, ihre Arme
umkrampften ihn, ihre Lippen saugten sich auf die
seinen —
    „Nimm ihn weg,“ stammelte sie unter Küssen.
    Doch der Schleier löste sich nicht.
    Da verbiß er sich in ihren Leib, krallte sich an
sie, verwundete sie und sie gellte Schreie über ihn
weg, stieß nach seinem Herzen, seinem Kopfe, — in  
ohnmächtigem Ringen verzehrten sie sich —
    Doch der Schleier löste sich nicht.
    Wund sanken sie zusammen und stöhnten.
    Wilde Vögel flogen auf aus ihren Verstecken und
kreischten, kreisten hoch über ihnen —
    Die Beiden aber ruhten erstarrt und stumm.
    Der Man sprach zuerst.
    „Woher bist du?“
    „Von dort unten.“
    „Woher?“
    „Von der dunklen, irren Schlucht.“
    Er beugte sich vor und schauderte.
    Ein schwarzer Abgrund, voll Moder, Schlamm
und Grauen.
    „Du allein?“
    Sie schüttelte den Kopf.
    „Nein, wir alle.“
    „Doch nun ist hier deine Heimat?“
    Sie schaute mit stierem Blick ins Leere.
    „Ich habe keine Heimat. Ich bin von dort unten
und von hier oben. Ich raste in der Schlucht und
auf der Höhe.“
    „Und die andern, steigen sie auch so hoch?“
    „Nein, nicht alle. Unsere Füße werden wund, und
wir müssen immer wieder zur Schlucht zurückkehren.“
    „Sind alle nackt wie du?“
    „Nein, nicht alle wollen sich schauen. Wir
müssen weinen, wenn wir nackt sind.“
    „Warum?“
    „Wir sehen den Schlamm der Schlucht.“ — —
    „Bist du hier oben glücklich?“
    „Ich finde die Blumen, ich schlafe in den Blumen.“
    „Sie verwelken.“
    „Dann muß ich neue suchen.“
    „Schläfst du auch in der Schlucht?“
    Sie schwieg und schauderte.
    „Bist du nackt in der Schlucht?“
    Sie schwieg und schauderte.
    „Warum schliefst du? —
    „Warum hast du mich geweckt?“ –
    „Warum schläfst du so hoch oben?“ –
    „Warum frägst du mich nach der Schlucht?“
    Darauf wußten sie sich nichts mehr zu sagen.
    Das Weib war müde.
    Aber der Mann sprang auf. Er zeigte nach den
Felszacken.
    „Dort hinauf will ich, kommst du mit?“
    „Sieh meine wunden Füße. Du bist heil.“
    „Du siehst in die Weite auf dem Gipfel.“
    „Meine Augen schmerzen mich. Ich kann nicht.“
    Da ließ er sie allein und erklomm die Felsen.

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