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Literatur


04.3


Gedichte in Prosa

Ann Croissant-Rust

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Sturm
 
Hatte er nicht am Morgen schon einen drohenden
schwarzblauen Riesenwolkenarm über den Himmel
gestreckt?
     Ueber den mattblauen, erschreckten, verschüchterten
Himmel, an dem die Sonnenstrahlen wie erstarrt hingen,
blaßgelb, glitzrig, wie gesponnenes Glas.
     Und dann war er hinunter. Tief hinter die starre
Mauer, die er sich geballt am Rand.
     Dort hockte er.
     Dort lauerte er.
     Nur manchmal — heiser, schrill — ein Pfeifen —
     Nur Schnauben — abgebrochen —
     Er wachte!
     Es zitterte die Erde, der Himmel fröstelte, Angst
spannte sich über die Sonne.
     Das All erwartete ihn gebeugt.
     Stille, still! —
     Noch kommt er nicht.
     Er ruht hinter der Schwarzwolkenmauer und seiner
Ruhe Atem haucht über den Himmel, die flockenweißen
Dünnwolken zu scheuchen.
     Sie irren, Sie taumeln, sie halten, sie rennen in
die Sonne — die Aufgescheuchten!
     Da! auf einmal sind sie zerblasen, zerstäubt, einen
schüchternen Mattglanz dem Himmel lassend.
     Nun ruht er.
     Friede hat die Erde, Friede der Himmel.
     Noch sind sie zagend und der blinzelnde Sonnen-
blick schielt nach der Drohwand.
     Steil, mit hochfahrendem Dunkelstrich, fährt sie
am Himmel hin, wieder jäh absinkend.
     Und dahinter?
     Ruht er wirklich?
     Stille, still!
     Wie hat er gestern die arme Erde überfallen!
     Die Erde im Festkleid.
     In leichten, dünnen, glitzernden Schneeschleiern
ruhte sie und lachte mit der Sonne, die ihr Gefunkel
und Flitter schenkte.
     Herunter das Kleid!
     Er riß es ihr vom Leibe.
     Zu zusammengeballten Fetzen hängt‘s an ihr heute
und ihr nackter Leib, grau und erschauernd, schaut
durch die Risse.
     Aber die Sonne tröstet sie, streichelt sie, wärmt sie.
     Zündet goldne Lichter an, hoch oben in Winter —
buchenlaubästen, umwebt wehende Birkenhaarzweige,
daß sie glühen und scheinen, daß sie frohlocken und
jubeln.
     Die düstern Fichten macht sie grünen, streicht am
Metallmantel der Pappel herunter mit zuckendem,
lichterndem Finger.
     Hände voll Glasperlen, rollt sie über das Fetzen-
kleid, gleißendes Steingefunkel.
     Und sie küßt die Thränen der Erde, küßt ihren
Leib warm, hehlt ihr das Bangen.
     Aber er lauert.
     Lauert hinter der herrischen Steilwand.
     Da flattert ein Stern auf.
     Von dort kommt er, von der Wand her. Mattes
Geflimmer am glanzverlöschenden Himmel, ein nest-
   müder, verscheuchter Vogel.
   Der Bote für die Sonne, daß sie gehen muß.
   Und nieder kniet sie am Himmelsrand, hält die
Erde in letzter, angstverwirrter, banger Glut umfangen
und sinkt.
     Aufflammt ihrer blutroten, düstergleißenden Warn-
fackel brennendes Mahnzeichen am Wolkenwandende.
     Er kommt! - Er kommt!
Aus der Steilmauer streckt sich sein Wolkenarm,
schießt über den Himmel, zertrümmert sein Blau.
  Wolkenballen schleudert er in den Brandschein der
Sonne, löscht sie, erstickt sie und sein gelles Lachen
schrillt durch die Weiten.
     Er kommt!
     Beugt euch, er ist nah!
     Ein Wimmern zieht über die Erde, erlöscht ist
der letzte Schein, geborsten das tröstende Blau.
     Furchtsame, verwirrte Sterne zittern und knistern
in wogendem Grau.
     Wie sie irren, wie sie keuchen, gehetzt, die Trüm-
mer der Wolkenmauer.
     Zerrisen hat er sie, zerfetzt und fliehend verfolgt
er sie, ballt sie zusammen, zerstößt sie wieder.
     So taumeln sie in der Höhe und in sie verrannt
hat sich der schaukelnde Silberkahn des Mondes.
     Taucht auf, sinkt unter, schwankt - ist ver-
sunken.
     Auf und ab und hin und her jagen noch immer
die Verfolgten, bis sie sich finden, sich schmiegen, sich
festhalten.
     Da stößt er gegen sie, rüttelt am Gewölbe, daß
es birst und in Millionen kleine Krystalltrümmer
zerstäubend sinkt.
     Immer mehr, immer mehr!
     Er jagt sie hinunter, sein heiserer Atem bläst sie.
     Und nun fährt er auch wieder auf die Erde.
     Er ist da! —
     Ein Angstschrei schrillt über die Weiten. —
     Gebannt harren sie, furchterstarrt.
     Hört ihr, wie sein Triumphsang über die Berge
schallt?
     Seine Posaune gellt? —
     Da faßt er die Erde.
     Seine Hände reißen in ihren Haaren, er kniet
auf ihrer Brust und schreit ihr seinen Hohn ins Antlitz.
     Schütteln, schütteln will er sie.
     Seine Finger rasen an ihrem Leibe, sein schnau-
bender Eisatem tötet sie.
     Wie er keucht, wie er kreischt!
     Wunden wühlt er ihren Weichen, ihrer Brust,
ihr Wimmern erstickt er mit geballten Fetzen ihres
Kleides wütend errafft.
     Dann läßt er von ihr.
     Und wieder fallen von hochoben die geborstenen
Wolkenkrystalltrümmer.
     Immer zu, immer zu!
     Deckt sie, sie ist tot!
     Und nein! —  — sie stöhnt! —
     Abermals wirft er sich über sie, umkrampft ihre
Brust, erdrückt ihr Stöhnen. Reißt wieder an den
Wunden ihres Leibes — — heult — — seine Wut
schreit auf im Rasen, mächtig, höhnend — —
     Da wandelt sich‘s in Triumph.
     Seiner Siegerstimme Ton schreitet jauchzend durch
die Weiten.
     Deckt sie, die Tote!
     Die Tote!
     Nieder, nieder mit dem Bahrtuch.
     Erstickt sie, verhüllt ihren Leib, verbergt ihr
Antlitz. —
     Weiß und dicht fällt die Schneeleichenhülle, birgt
die Besiegte, deckt die Wunden.
     Von oben schauen matte Sterne, trübe Augen
der Nacht.
     Sein Siegeslied aber singet der Sturm.
     Laut, hell, in brausenden Jubelakkorden singt er
den Triumphsang der Kraft durch schauernde Weiten,
bis er mählich verschallt.


 
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