lifedays-seite

moment in time



Literatur


04.3


Gedichte in Prosa

Ann Croissant-Rust

_____________________

Popup

April

Blaugraue Wolken ziehen pathetisch über die Stadt.
Ganz ernsthaft nieder, fast gewitterschwanger, gravi-
tätisch. Der Himmel runzelt die Brauen wie ein
Heldenvater im tragischen Moment. Ein beinahe echtes
Sturmheulen fährt durch die Bäume, aber kein Sturm
kommt, verfluchend herabgeschleuderte Regentropfen,
Rieseln und – zorniger, schnellfallender Schnee. Schnee
in großen, dicken, weichen Flocken, Schnee vom ernsten
unbeweglichen Himmel, mit der Maske der Unerbitt-
lichkeit, des Zornes, der Wahrheit.
     Und das Menschenvolk friert wirklich, hat blaue
Hände und feuchte Nasen!
     Spaß, Spaß, Mummenschanz, April!
     Auf einmal fliegen die großen, weißen Schnee-
hühner langsam, verdrossen, widerwillig.
     Die dumme Spasserei! sie müssen ja doch zer-
fließen, sie können sich kaum setzen.
     Aber immer mehr , immer mehr, und endlich sind
die Wiesen, die gründenden, frischen, jauchzenden, weiß 
bestäubt.
     Aber das Grün spitzt vor.
     Mutwillig, mutwillig sieht’s aus, wie Gekicher
und Geschäcker.
     Und den See friert’s, den alten, zugeknöpften,
zopfigen See. Er glaubt’s, er glaubt’s, in kleinen,
gekräuselten Frierwellchen schaudert ihn, und die weißen
Schwäne sitzen gekauert wie Schneebälle .
     Es ist Winter, es schneit, er friert — —
     Spaß, Spaß, April!
     Die jungen Buchen mit den frechen Knospenspitzen
zittern in unterdrücktem Kichern.
       Nicht laut getrauen sie sich; alte verjährte Blätter
sitzen ihnen noch im Nacken, sie wagen sie nicht ab-
zuschütteln.
     Leise, leise! Der alte Tropf, der See! – Winter!
     Sie stoßen sich mit den Armen und Lachthränen-
perlen schütteln sie aus den Zweigen.
     Aber da! Ein Händewinken, ein Hervorpusten,
das alte Laub raschelt zu Boden und die Sonne wackelt
vor Lachen hinter ihrem Wolkenvorhang.
     April! April! Sie ist doch da!
     Gleich blinzelt sie den frierenden See an, und
er bläht sich und wirft Wellen, weil sie ihm den Buckel
kitzelt.
     Ganz jugendfrisch wieder, nun ist es Frühling —
 und die weißen Schwäne schießen.
     Das Gras streichelt die Sonne und es lacht und
schäckert mit tausend funkelnden Äuglein.
     Ruhe ist noch. Da — ein dünner, süßzager
Vogelruf stößt ein Loch in die Stille.
      Amselgetön und Staarengegluckse, flimmernder,
neckender Sonnenschein.
      Blühen nicht alle Blumen auf? Ist nicht ein
Strecken und Lugen und Schieben auf den feuchten
Wiesen?
     Sie ist da, die alte Sonne ist da.
     Sprießt auf! Regt euch! Kein Erwachen? Rollt
sich nicht Blättergrün aus dickgeschwellten Knospen,
läuft nicht grünzartes Gitterwerk über das Geäste?
      Spaß? — April?
      Graue Wollenschleppgewänder, der Himmel finster,
pathetisch.
      Und der See schämt sich und friert und speit
hämischzornige Wellchen aufs Gras. Geduckt warten
die Bäume, warten.
   Nun nickt sie ja wieder, die Sonne in ihrem
Wolkenbett. Sie steht nicht mehr auf heute. Lacht
 nur hinter den Vorhängen ein recht verstecktes, un-
wahres, unmögliches, graurosa Schlafengehenlachen. 
Spaß! Spaß!  sie schüttelt ihre orangefarbenen Kissen
und zuletzt reckt sie noch einen goldenen, rotdräuenden
Warnfinger aus der dicken Decke: „Glaubt’s nicht,
glaubt’s nicht!“
     Dann aber schläft sie.

 
 
zurück








   lifedays-seite - moment in time