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Literatur


04.3


Gedichte in Prosa

Ann Croissant-Rust

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Sommer

Ohne Baum, ohne Strauch, nackt kriecht die gelb-
weiße Straße zwischen den Wiesen hin. Mit einem
tiefen Seufzer haucht sie all die Hitze des Tages aus.
Gebückt, nieder schleicht sie zwischen den Grasböschungen
in die Berge. Kein Wind, keine Wolke, die Sonne
im Sinken. Ein Gehöft liegt tot in den Obstbäumen.
     Ein Karren, mit Leinwand überspannt, hält vor
dem Hause.
    Kein Ton, keine Antwort, niemand, der öffnet.
    Und der magere Klepper schleppt seine Last wieder
weiter.
    Langsam, müde, die staubige Straße entlang.
    Drinnen im Wagen liegt ein krankes Weib. Die
Haare hängen ihr wirr und schmutzig zu beiden Seiten
des Gesichtes herab.
    Sie glüht, fiebert, redet irre. Tappt mit zittern-
den Händen nach dem kleinen Kinde, fährt auf, lallt.
    Das Kind spielt und lacht, versucht der Mutter
das Brusttuch herunterzuzerren und ruft ihren Namen.
Wenn der Wagen stößt, fällt die Kleine auf die Seite
ins Stroh, auf den Leib der Mutter, auf ihre Füße.
Dann jauchzt sie laut auf, zieht an den schwarzen
Haaren der Kranken und reißt ihr mit dünnen, spitzen
Fingerchen an den Augendeckeln, damit sie nicht immer
schlafe.
    Neben dem Karren trottet der Mann, bestaubt,
mager, den Kopf gesenkt. Er und der Klepper, sie
werden immer langsamer, immer müder, der Wagen
scheint fast still zu stehen, kaum daß er Staub auf-
wirbelt.
    Weit drüben auf der Wiese wenden Männer und
Weiber Heu. Ein schwacher süßbitterer Geruch stiehlt
sich bis zur Straße her.
    Der Mann sieht auf, murmelt einen Fluch zwischen
den Zähnen und schlägt auf den Klepper ein, daß er
erschreckt dem Karren einen Ruck gibt.
    Wie das Kind schreit vor Vergnügen! Auf Händen
und Füßen kriecht es nach vorne und schaut mit lachen-
den schwarzen Augen nach dem Vater.
    Die Mäher drüben stützen sich auf ihre Rechen.
Mit aufgestemmtem Arme sehen die Weiber dem Ge-
fährt nach, ihre weiß und roten Kopftücher leuchten
über die grüne Wiese. Dann reichen sie sich den Krug
und trinken. Gesundheit und Frische liegt in ihren
Gesichtern, ihren Bewegungen, Behagen klingt aus
ihrem Lachen.
    „Packelwar‘!“
    Die humpeln weiter auf der weißen, öden, ein-
samen Straße, in den Abend, in die Berge hinein.
 
 
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Herbst

Die Nebel halten die Erde geknechtet,
grau,
schwer,
dicht.
Hängen sich über die Berge,
streifen die Wiesen, knieen auf dem Fluß,
breit, ohne Regung.
Zitternd,
ängstlich
harrt die Geknechtete,
ohne Atem,
in bangem, langem Warten.
Ist es das Ende?
Vorbei mit den sonnigen Jubeltagen
voll blühenden, singenden, grünenden Lebens?
Vorbei?
—  Kein Hauch.
Keine Sonne.
Sie erliegt.
In schwerem Tropfenfall weint der Wald,
leise, leise,
mutlos.
Zagende Angst durchzittert ihn.
Da
ein tiefer Atemzug.
Empört
recken sich die Nebel an den Bergen,
tauchen in die Niederung,
steigen aus den Schluchten wieder in die Höh‘,
umzingeln, durchdringen den Wald
und bleiben auf’s neue stehen.
Zornig,
nieder
kriechen die Dünste den Wiesen entlang,
tückisch hält die breite Nebelmauer den Fluß. —
Ein Zerreißen — —
ein Sonnenblitz —
wandernde,
steigende,
qualmende,
ruhelose Dunstmassen,
scheues Vogelgeflatter im Busch —
und Alles sinkt wieder unter.
Stille Trauer,
Ergebung, Ermatten.
Da atmet die Erde abermals. Ein frisches, kräftiges Atmen,
Empörung liegt drin.
Die Nebel jagen um die Felsen,
treiben, ballen sich zu Hauf,
ein Riß,
und breit schießt ein Sonnenstrom über die Dunstmauer am Fluß,
fährt ihr in den Rücken,
schüttelt sie, daß sie weiterkriecht.
Die Thränentropfen leuchten in den Waldzweigen,
unter den Bäumen tönt ein leiser, zagender Vogellaut,
wieder —
scheu, ungewiß. Noch jagen die Wolken über die Wälder,
über Fels und Schluchten,
aber ängstlich, hastig überstürzt.
Sie heben sich höher und höher,
goldne Sonnenfinger bohren sich durch die Dunstfetzen,
drängen sie auseinander, schieben sie hoch, hoch
und werfen sie über die Berge.
In wilder Flucht tauchen sie auf,
tauchen sie unter
und verschwinden,
die Wolkenunholde.
Aus dem leichten Hauch
hebt sich die Erde,
strahlend, sonnig, schönheitstrunken.
Ein Flimmern über Busch und Strauch,
über Wiesenthal und Waldbergen,
ein Aufjauchzen, ein Sieg.
Kommen wieder die jauchzenden Frühlingssonnentage
mit ihrem sprießenden, kraftsatten Leben?
Raunt und keimt es im feuchten Grund?
Lauschen die Knospen, die Blüten? —
Wie ein Spuk sind die Nebel verschwunden,
nur aus einem Thälchen zieht ein dünnweißer
                               Streifen am Waldrand hin,
verscheucht,
hebt sich am Felsengeröll in die Höhe
und segelt allein am Himmel.
Schnell,
verschüchtert,
die verspätete kleine Wolke,
den anderen nach. —
Hell ist die Luft und hell der Himmel.
Aber die Erde ist müde,
müd nach dem Kampfe,
ihr Lächeln ist wehmütig,
sie ruht.
Von den nickenden Bäumen fallen Blätter,
falbe gelbe Blätter.
Sie sind plötzlich da,
niemand hat sie gesehen vorher,
graue Strähne im Haar der Erde.
Die Bäume schütteln den Kopf und die Blumen nicken,
es ist nicht wie sonst,
so traurig,
so still.
Die Erde wartet.
Wartet auf die neuen Kämpfe,
das Alter,
das Unterliegen.


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