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Literatur




Gedichte
Der Rauch der Opfer
Ein Frauenbuch zum Kriege 1916
Eleonore Kalkowska

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Den bangenden Frauen
und den trauernden Frauen
zu eigen



Und doch, o Herr, wir können dich nicht missen.
Seit du dich uns genommen, gleichen wir
Berghäusern, deren Dach hinweggerissen
Vom Sturm. Wir können in uns selbst nicht wohnen
Und irren heimlos, wie ein unstet Tier,
Durch unwegsam Gestrüpp im Dunkel hin.
 
Oft meinen deinen Atem wir zu spüren,
Doch von uns wie durch eine Wand getrennt;
Er kommt uns niemals wieder anzurühren,
Und unsre Seele kennt
Nun nie mehr deines sanften Hauches Führen,
Und in uns brennt
Wie Schwefellauge unsrer Leere Pein . . .
Herr, Herr, wir können ohne dich nicht sein!
 
Wir hatten dich gelästert, Herr, uns reut‘s.
Sieh her, wir haben gegen deine Wand
Die beiden Arme weithin ausgespannt,
So wie am Kreuz.
Es wachsen in die Wand fast ein die Arme,
O stürze sie, erbarm dich, Herr, erbarme!
 
Komm auf uns nieder uns zu überfluten,
Wie Wogenbranden und wie Sternensang,
Wie Sonnenunterganges sanftes Bluten
Am Bergeshang.
 
Schiff dich als Wind hinein in unsre Segel,
Als Wind, der in die Ferne trägt und stößt,
Und schlägst du uns, so sei des Landmanns Flegel,
Der Korn aus den gefällten Ähren löst.
 
Füll uns mit deinem Atem, Herr, der leichter
Als Luft ist, dass der Flug uns wird vertraut,
Wenn nicht in deine Näh, du Nie-Erreichter,
So doch so hoch, dass unser Auge schaut
Die Erd von oben, gleich den freien Winden . . .
Herr, lass dich, lass dich von uns wiederfinden!

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Wir tasten uns durch die Nacht. So tief die Schwärze
Des Raums. Kein Stern zerbricht die Finsternis.
Wir aber, Herr, sind selbst verloschne Kerzen . . .
Und unser Fuß sucht scheu und ungewiß
Den Boden als ein Fremdes . . . Und empfängt
Ihn als ein Eiland, das die Flut geschenkt.
 
So dunkel ist die Nacht. Und doch wir lassen
Nicht ab im Suchen. Schon im Suchen liegt,
Im Ruf, der sich um das Ersehnte schmiegt,
Im Wege, den die Füße strauchelnd fassen,
Und der doch zielwärts führt, ein leises Wehn
Der künftigen Seligkeit . . . So gehn wir, gehn . . .

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O Herr, o Herr, es rieseln sanfte Strahlen
Die Kuppel, die uns überwölbt, entlang,
Wie lichter Wein an dunklen Opferschalen,
Wie einer Quelle monderhellt Gerank,
So wie ein strahlend Vlies, das sich entrollt,
Wie eines wundersamen Regens Gold . . .
 
O Herr, schon tastet sichʼs mit einer süßen
Liebkosung nach den wegemüden Füßen,
Schon wächst an uns empor die lichte Hülle,
Schon streichelt sie die Hände, das Gesicht,
Und sprengt das Tor der starrenden Pupille —
O Herr, wie glüht und wächst in uns das Licht:
Du warst es nicht,
Der uns gestürzt in dieses Grauenvolle;
Du warst es nicht,
Und Lästerung sind alle unsre Grolle,
Und Sünde das vermessene Gericht —
Du warst es nicht.
 
Wir sehen nun — es baden unsre Lider,
O Herr, in Licht — tief in der Erde Schoß
Lag eine Macht, die fremd dir und zuwider,
Sie wuchs in langer Muße riesengroß,
Und rang an jenem Einen Tag dich nieder,
Und du bist heut verwundet und verstoßen,
So wie dein Sohn, als er mit seinen bloßen
Und blutigen Gliedern einst am Kreuze hing.
 
Wir fühlen, Herr, die Qual, die dich umfing
Seit jenem Tag. Du hast aus deinen Tiefen
Das Herrlichste, was du besaßt, errafft,
Dir warʼs, als ob da unten Stimmen riefen,
So tatst du es in eines Körpers Haft;
Und heut siehst du, dass du das Kreuz-Verscheiden
Den Einzigen ließt ganz umsonst erleiden.
 
Du siehst uns an voll Trauer und voll Liebe,
So wie dein Sohn zutiefst nach dir verlangt,
Als er geschwankt,
Getroffen von der Gier der Geißelhiebe —
O, Herr, wir sind zur gleichen Qual erlesen
Wie du. Wir trugen deinen Sohn, du weißt,
In uns als Gott durchleuchtend unser Wesen,
Doch auch als Kind, des wir noch nicht genesen,
Und dessen Blut in unsern Adern kreist . . .
 
Vielleicht, o Herr, soll Er den Tag erschauen
Durch uns, wenn diesen Kampf das Licht gewinnt;
Vielleicht blüht dann empor aus all dem Grauen
Dein Kind, o Herr, und unser heilig Kind.

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Bist du es nicht, Herr, Herr, der um uns wirbt
Im Röcheln der Vergehnden, in dem Grauen,
Das aus den Seelen quillt, die jäh zermürbt,
Sehn, wie das lichte Weiß der Fahnen stirbt,
Und schwarz und rot die Todesnebel brauen?
 
Bist du es nicht, Herr, der mit den gekrümmten,
Tastenden Sterbehänden nach uns fasst,
Und in den heisren Lauten, den verstimmten,
Auf uns herabsenkt letzten Seufzers Last?
 
Ist alles dieses nicht dein heilig Greifen
Nach unsrem Sein, das vermillionenfacht
Der Opfertod nicht wieder sink in Nacht,
Ohn‘ der Erlösung heilige Frucht zu reifen?
 
Bist duʼs nicht, Herr, der unser Herz geweitet,
Dass es zu einem Strom von Leiden schwoll,
Und deine heilige Qual und deinen Groll
In künftige Geschlechter überleitet,
Auf daß dein Geist so wachse in den deinen,
Um Kraft des Bösen ewig zu verneinen?!
 
Du bist es, Herr! So haben wir dich wieder!
Stürz in uns ein! Schon geht der Flügelschlag
Von deinem Atem in uns auf und nieder,
Geweitet allem Licht sind unsre Lider. . . .
Aus deinem Geist ward uns, o selige Wendung,
Die schönste Sendung, ward der neue Tag!

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