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Literatur


04.2



Gedichte - Oskar Loerke

Atem der Erde
Berlin 1930

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Melancholie des Speisehauses

Metallflügel brausen: der Lüfter
erklimmt sein Geschrille,
Doch Rauch und Speisendunst lagern
  gefangen.
Wir waren in Gärten Eden unwissend
vor Jahren. –
Der Garten, die Grille,
Nun wir sind endlich schmerzvoll
  gewahren,
Aber sind längst vergangen.
 
Feierabend für heute. Das
Kirchengewölb im Ohre
Durchdröhnt einer Orgel erschütternde
  Schwere,
Ihr Honiglied dringt in verlaßne
  Kontore
Und singt mit Mappe, Stempel und
  Schere.
Auf allen Tellern liegt gepackt ein
  Pack
Sterben – ach, daß die Mütter gebären!
Auch die Tiere im fernen Zodiak
Belecken ihre tödlichen Schwären.
 
Bunter Nähe Verlockung, nun ist sie
  nichts nutz,
Nachflimmern Läden und Waren.
Immer schweben durch Tand und Putz
Vor den Augen himmlische Balearen.


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Seitenstraße

Vor manchen Läden stehn wie Krankenbahren
Im Regen magre Lichterstreifen.
Es knackt und surrt vorbei auf Gummireifen —
Das ist, als würden Leiber überfahren.
Der Nebel zuckt, ein rasches Raffen,
Ein hastiges Beiseitescharfen.
 
Dann trittst du über den klebrigen Schein
Aus dunklem Ja in leeres Nein.
 
Nichts geschieht hier für Pressen und Annalen,
Tropfen treffen dich ohne zu zielen,
Still sammeln sich die kleinen Qualen
Am Rande der Seele, am Ausgang des Lichts,
Die Zehen in den Schuhen spielen -
Es ist fast nichts.
 
Die staubigen Plakate wie beschmutzte Laken,
Gelüftet nach verfegtem Feste.
Gewürz und Frucht hängt abgewürgt am Haken.
In Gläsern, Tüten, Beuteln welken Reste
Der Welt, die nicht mehr schmecken und nicht riechen.
 
Landschaft für Süchte, die kein Blut mehr haben,
Wie lautlos rinnende dumme Schaben
Die Fühler eifrig regen und ihr Feld bekriechen!
 
Aus Dunklern hängt der Guß in dichten Strähnen,
Der Gully schmatzt ihn ein mit langen Zähnen.


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Verborgen

Verborgen der Werfer,
Verborgen das Ziel.
 
Über den Dächern fliegt
Der Silberdiskus geschleudert.
Er spaltet die Zeiten,
Sie fallen einsam
Zu beiden Seiten.
 
Schleier von Wesen,
Vergangener Völker Silberstaub,
Die flüchtig auf meinem Rocke sich
  setzen,
Während an jungem Apfel
Die Zähne wetzen.
 
Ich stäube mich ab
Mit scheuem Finger,
Nichts fällt herunter.
Gib mir die Hand,
Armer Johann ohne Land.


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Fabrikstadt

Es ist, als stemmte sie mit ihren
  Schloten
Die Last aus Ruß und Schweiß und Lärm
   empor.
Darunter fährt man heute meinen
  Toten,
Den alten Mann, er spricht mir noch ins
   Ohr.

Doch dabei schütteln ihre Eisenkleider
Lokomotiven, und ihr Kreischen schreit.
Kein Himmel ist, zu dem der
  Vogelweider
Einst schrie: hilf, Herre, deiner
  Christenheit!

Der Rauch malt plumpe Schatten-
  Albatrosse,
Die sich auf Flug und Leben nicht
  verstehn,
Rasch abwärts rudernd im Gestank der
  Gosse
Sich lautlos niederwerfen und vergehn.

Am Abend erst steht auf den
  Backsteinfallen
Der Trümmer-Umriß einer Tempelstadt
Mit Resten ungeheurer Säulenhallen,
Die Dach und Stolz und Sinn verloren
  hat.

Es ragt im roten Himmel unbescholten
Der Stümpfe Plan, ihr Jetzt und Hier
  wird welk.
Sie würgen langsam Qualm hervor, als
  wollten
Sie Kapitäl ersinnen und Gebälk.


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