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Literatur


04.2


Gedichte
Oskar Loerke

Der Gast von Altheide
aus: Die Abschiedshand

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Abschied von den Krummen

Geschehe, daß am Dickichtsende
Der Weg nach rechts wie links sich wende
Und jene Spur zur Honigwiese,
Zu einem kleinen Wirtshaus diese!
 
Ich würde dort die Hände drücken
Dem Gram, dem Schmerz: den krummen Rücken.
«Ihr wart die treuesten Begleiter,
Ich danke euch, nun wandert weiter.»
 
Ich will dann, wenn sie wirklich weichen,
Den Gasthaushund am Halse streichen
Und sagen: «Bleib! Du sollst nicht bellen,
Es sind zwei ältliche Gesellen.
 
Sie sind ja schon hinab im Grase,
Mich aber schmerzt die Fersenblase.
Dem Hühnervolk laß das Gekeife.
Du komm und wedle mit dem Schweife.»
 
Geschehe, daß mir Sonnenflecken
Den Lebenstisch noch einmal decken,
Daß ich die Tanne und die Tasse
In leichter Luft und furchtlos fasse!
 
Das Ohr gefüllt vom frommen Liede
Und Hammerklang aus ferner Schmiede,
Befreit vom Giftgezisch der Krummen,
Darf ich, die Augen feucht, verstummen.

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Nie mehr?

Daß eine dunkle Hand unüberlegt
Unzählbar Schicksal von der Erde fegt!
Erfrorne Wipfel bleiben leer:
— Es gibt für euch, es gibt für uns nichts mehr.
 
Und aus dem leeren Schicksalsort beschleicht
Uns manchmal eine Frage, ein Vielleicht,
Belaubt den Stamm mit grünem Cherubsheer.
— Gewissestes ist mehr als niemals mehr.

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Das andere Lied

Aus einem Leben bin ich ausgetrieben
Mit sanftem Schube und mit harten Hieben.
Der Mahlgang der Gefühle
Schweigt in der schönsten Jahre Mühle. —
Ein andres Leben ist mir doch geblieben.
 
Geht manchmal nachts das alte Mahlgetriebe,
Es schüttelt Schatten: Schatten sind die Siebe,
Die Grannen wie die Dorne.
Ein blankes rundes Horn bläst vorne,
Damit die Wimper nur nicht trocken bliebe.
 
Wir hatten kein Kamelpack noch zu tragen,
Und unser Herz hat damals leicht geschlagen.
Noch rollte man Korn zu Garben,
Es glühen Mohn- und Radenfarben —
Doch poltert her den Weg ein leerer Wagen.
 
Mit Feuerschriften blieb die Nacht beschrieben.
Am Herbsteshimmel stehn der Sterne sieben,
Die Deichsel und der Kasten —
Und manche prassen, manche fasten.
Nach einem ist das andre Lieb geblieben

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Um Johanni

Das Erdenelend ist wohl groß!
Doch hüpft der Vogel Makellos
Wie aus der Ewigkeit hinein
Und dreht sein Köpfchen her und hin,
So säuberts sich, und bunter Sinn
Spielt auf sein Wams schon einen Widerschein.

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Die Prüfungen

Es kommen Jahre, die uns nicht vergessen
Und unsrer Armut bitter sich erbarmen:
Wir müssen ihre Qualen dreifach essen
Und ihre Götzen dreißigmal umarmen.
 
Nein, Jahre kommen, die uns vielfach zählen,
Weil weiter Sinn mit naher Tat sich koppelt.
Wir sind Erwählte, ohne selbst zu wählen,
Wir überleben, starben wir auch doppelt.
 
Was sonst in Erden- oder Feuerbetten
Sich erst am unbekannt Verborgnen reinigt,
Vollzieht sich schon. Es fällt, es klirrt die Kette,
Wir sind mit andrer Wesenheit vereinigt.
 
Wohl kams uns einst, der Vordern zu gedenken,
Doch war es wie mit Spießen und mit Stangen:
Noch nicht! — Und nun, wenn wir die Köpfe senken —
Wir Späten wollen wirklich heimgelangen.
 
Da, unterwegs auf einem Trümmerziegel
Saß Gott ganz klein und sang zu seinem Ruhme:
Ach, Bruder Elefant, ach Bruder Igel,
Ach, Schwester Sonne, Schwester Sonnenblume!
 
Und alles rühmte er zu vielen Malen,
Allein uns Menschen schien er zu vergessen.
Und mancher kehrte um in seine Qualen,
Und mancher, mit dem Engel sich zu messen.

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Lebensschiff
Nachts vom 22. zum 23. November 1939
 
Die Einsamkeit, das Ungeheuer,
Die sie durchfliehen, die Gedanken,
Sind nur geliehen wie die Planken
Am Fuß, zu Kopf die Irrwischfeuer.
 
Das Lebensschiff ist nicht mein eigen,
Jedoch die Flut in mir, die Riffe:
Drum werde ich zum Schluß dem Schiffe
Selbst nicht als letzter Mann entsteigen.
 
Kann meine Nacht nur Nächte sichten
Bei Seegedonner, Kettenjammern?
Kann meine Hand kein Mensch umklammern?
Es pfeift und widerhallt: mitnichten!
 
In dieser Mittnacht krähen Hähne,
Wie wärmste Lande sie nicht brüten,
Die sich von Drüben herbemühten —
Sie krähn vom Mast dem Kapitäne:
 
«Da sind wir! bunte Fahrtgesellen!
Wo sind die andern? die Matrosen?
Du wirst kein beßres Los erlosen!
Wer Flügel hat, wird nicht zerschellen.
 
Du hast sie nicht? und mußt es büßen? —
Du hast sie! Laß dich nicht verwirren!
Wir müssen eilen, und wir schwirren,
Dich bei uns drüben zu begrüßen.»

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