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Literatur


04.2


Gedichte
Oskar Loerke

Der Gast von Altheide
aus: Die Abschiedshand

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Ohne Übertreibung

Wem hinten wuchs am Riste
Ein Ast, am Hals ein Kropf,
Und Augen wie Boviste,
Wo andern ragt der Kopf,

Wen es nach Blute dürstet,
Nur, um «dabei zu sein»,
Der fühlt sich hochgefürstet,
Die Sanftmut zu bespein.

Er schwingt voll Gier den Knüppel,
An dem er kaum sich hält,
Und über den der Krüppel
Nachher doch selber fällt.

Laßt ihn am Boden liegen!
Es brausen über ihn
Die Schmeißen schon und Fliegen:
Er hat sich selbst bespien.

Was die Insekten naschen,
Ist nicht der Schluß vom Lied,
Er wartet ungewaschen
Auf Satans Appetit.


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Ein Schein, ein Nichts

Der alte Douglas Archibald
Hat es nur sieben Jahr getragen,
Doch ich bin in den Schmerzenswald,
Wohin kein Hifthorn dringt, verschlagen.
Es hetzen keine Hunde mehr
Den Flüchtling ohne Wiederkehr.

Ach, das ist nur ein Innenbild,
Hier draußen rauf ich mit den Hunden.
Sie schütteln meine Lumpen wild
Und haben mir das Kinn zerschunden.
Vorübergehenden wars ein Schein,
Ein Nichts: wie kann ein Mann so schrein!


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Schiwa und Wischnu

Gott Schiwa sandte hernieder ein Ungeheuer,
Daß es die Menschheit im Erdreich tilgen sollte.
Gott Wischnu waren manche Menschen teuer,
Wiewohl er den Heeren ihrer Toren grollte.

Er ließ die Erzverbrecher von den Ketten:
Sie sollten sich opfern — und brachten willig ihr Leben,
Vom allverschlingenden Unhold die Besten zu retten.
Und diese sollten dafür ihren Rettern vergeben.

Allein, sie sollten den Übeltätern verzeihen?
Sie mochten das Bittre mit Rechtem nicht versüßen.
Da brach Gott Wischnu mit Schiwa in ihre Reihen.
Alle mußten die Torheit im Untergang büßen.


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Gerechtigkeit

Gut: dir und vielen geht es nicht gerecht,
‘s ist Weltlauf. — Weltlauf? Halt! so klopft kein Specht!
Verhöhnt ihr mich und zerrt mich zu den Größten,
Ich bleibe abseits und bin nicht zu trösten.
Weh aber, sucht ihr roh mich euch, den Niedern,
Mit Knuten und Pistolen einzugliedern!
Ihr feimt dann mich, zugleich euch selber aus.
Hyänen, Geier bleiben nicht zu Haus.
Die Meerpolypen werden euch umgreifen,
Gorillas kommen, um euch backzupfeifen.

Das scheint euch fern. Ihr irrt, es ist nicht weit,
Gerechtigkeit steht außer aller Zeit.
Ihr starrt nur auf den Taschenkrebs der Uhr
In Philadelphia oder in Dschaipur.
Ein Höheres hat euch in Acht getan.
Am Himmel brummt der Bär und schreit der Schwan.
Wie ihr verachtet seid, ihr merkt es nicht.
Ihr grinst, weil jeder von euch Kot erbricht.
Und ist einmal von euch die Erde rein,
Kein Auerochs wird darum froher sein:
Ihr bleibt — und keine Strafe schlägt so schwer —
So überflüssig und so Nirgendwer!

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Opferspruch

Wer opfert, trachtet, daß er es verhehle.
Wers gern tut, hat die Welt trotzdem zum Bürgen.
Sein Weg ist frei, und frei ist seine Kehle
Von Händen, die ihn um ein Opfer würgen.

So viele starben, die erlesen waren,
Indem sie ihren Leib zum Opfer schenkten.
Nie mochten sie an ihrer Gnade sparen,
Die früh Versenkten, oft die früh Gehenkten.

Wer Opfer holt aus Bergen oder Tälern
Von Hirten, die des Lächelns sich begeben
Und ihre Mahlzeit vor Erpressern schmälern,
Als hätten die ein Recht auf fremdes Leben,

Der ist des Todes viele Male schuldig.
Daß er sich nicht zu überheben brauche,
Erspieße man ihn hoch und sei geduldig,
Bis niederrinnt des Schächterhirnes Jauche.


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Fegefeuer

1
Du querst den Fegeberg auf seinem Rücken,
Trotzdem wird dir, sein Innres zu entdecken,
Nur seltnen Falls auf Blickes Dauer glücken:
Dann leuchten Purpurflöße, aber Schnecken
Sind unterwegs zur Kuppel, und sie lecken,
Das Licht mit ihrem Schleime zu erdrücken.

2
Ergrimme nicht, wenn nach den neusten Sitten
Dich Massenmörder gern erziehen wollen.
Nur sorge, daß sie unter deinen Tritten
Zur Hölle, kräftig angespieen, rollen.

3
Zu Kesselpauken spannen sie schon manche Stunde
Verstummter Vögel kleine Nesterrunde.
Doch Nest bleibt Nest, durch seine Löcher scheinen
Die Erdensommer, fadenscheinig und zum Weinen.

4
Ein Ruhm, den ich nicht heute habe,
Ist mir nicht rühmenswert,
Ein goldnes Eßgeschirr im Grabe,
Ich hab es nie begehrt.

Und holen sie sich meinen Becher,
Und macht sie, was ich sann,
Als sei’s das Ihre, immer frecher:
Sie schirren Böcke an.

Ihr springt vor leerem Wagen.
Wen sucht ihr? Dionys? —
Ach, der ist hingeschlagen
Und schläft unweckbar süß.

5
Hörst du den Chor? Die Millionen lügen!
Hört einen draußen? — Wahrheit spricht nur einer.
Der Chor brüllt lauter: Nun ist er schon keiner! —
Die Millionen müssen sich ihm fügen.

6
Der Verräter

Du hast den Freund verraten,
Schlimmer als irgendwer.
Würdest du dafür gebraten
So tröffe dir kein Schmer.

Denn wer sich dem verschrieben,
Was uns zu sein verbot,
Ist aus der Welt vertrieben
Und selbst aus ihrem Tod.

Die Leichenwürmer schauern,
Die Flamme stößt ihn aus.
Wen wird die arme Seele dauern?
Und wer bringt sie nach Haus?

Noch hast du abzubitten.
Erst wenn kein Puls mehr hüpft,
Hast du auch ausgelitten
Und bist in Nacht entschlüpft


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