Die heimliche Stadt

Gedichte

Oskar Loerke
Die heimliche Stadt
Berlin 1921
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Das Schaufenster

1

Dieser Abend,
Geführt von keinen Abenden, gefolgt von keinen,
Hat sich, ein ungeheurer Berg im Zimmer,
abgekühlt.
Diesen Abend
Hat sich durch Leuchte, Holz und Kissen ein
Versteinen,
Durch Bücherrücken sich ein Firn herangefühlt.

Felsen wachsen in die Hand.
Die Leben sitzen spät – wie lang? – mit
Eulenköpfen
Um Feuerbrand. Ihr ganzes Angesicht ist Bart.
Sie sitzen jenseits der Felsen,
Sie haben, den sie suchen, nicht gewahrt
In Flammen, die den Wald der Welt erschöpfen.
Schatten röcheln im Feuer heran,
Doch schickt die Nacht die Eulen nicht zur
Schlacht.

Es ist schon Jahr und Jahr, seitdem ihr Schnabel
wetzte.
Es kommt kein Morgen mehr, und heute war der
letzte.
Wie glüht er süß, wie vega-fern aus schwarzem
Schacht!

2

Wie war der Morgen heute tief und nah!
In schmutziger Straße bei einem Krämer geschah
Die Sonnengeburt; auf der Goldhaut
eingepreßter Fische
In weißer Kiste begann des Lichtes Tanzen.
Wie wenn in ihre Höhle Frost die Sonne Sonnen
mische,
Sah ich ein Urgetümmel von Protuberanzen.

Die Straße schlich im Spiegel, wie mit
eingewebten
Figuren ein bewegter Schleier.
Aus ferner Menschensiedlung überschwebten
Figuren die gewaltig reine Morgenfeier.

Auch ich war unter ihnen,
Den Menschen zu klagen war ich zu stolz.
So tat ich zu den Fischen, die in Gnaden
schienen,
Mein Klagendes ins weiße Kistenholz.

Der Abglanz aus der Höhe und aus meinen
Tiefen
Ward eins und wußte nichts von Ursprung und
von Mühe –
O Abglanz aus den Fernen!
O wenn die Brunnen der Fernen jetzt
entschliefen?
Doch Sonne, du, und ich, entschliefen wir nicht
in der Frühe?

3

Wir entschliefen, doch jenseits von uns wacht es:
Nur Seelenklang, nicht Jammer, nicht Gelächter,
Nicht Mensch, nicht Stern, durchfährt es
Sphärenhaft die Nacht.
Die Eulen lauschen, beutelose Wächter:
So sicher fährt es aus den Reichen ihrer
Schlacht!

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