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Literatur


04.2


Gedichte

Oskar Loerke
Die heimliche Stadt
Berlin 1921

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Der Himmel über den Straßen


Gasel
 
Was dir bittre Wolkennächte weben, räumen
Selbst sie auf. Bald soll dein Atem eben träumen.
Es ist Spiel. Getrost! Schon spielt es reisig
  draußen.
Wo die Hauswand Wolken überschweben,
  zäumen
Weiße Kinder, magisch blind und magisch
  langsam
Große Rosse, die den Bug im Widerstreben
  bäumen.
Kinder siegen, Kinder sterben, doch die Riesen,
Den Bezwingern schmerzlich preisgegeben,
  säumen,
Schwinden blaß, den Kopf gesenkt, mit ihren
  Siegern.
Künftig, gleich dem süßen Geist der Reben,
  schäumen
Blaue Himmel über die schon Geistern gleichen,
Bis auch ihre kühnen Tiefen eben träumen.


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Der Komet

Die Schläfer glaubten über der Schlucht der
  Straße
Den Frieden, einen leidend trüben Streif,
Wo fahl sein ungeheures Schwert zum Fraße
Herabhängt ein Kometenschweif.
 
Erstickend lichtlos stürzt mit ihm, gereckt zu
  Wällen,
Das Häusermeer, sich engend, wild nach vorn,
Als donnerten aus böser Götzen Ställen
Urmammutherden unterm Geißelsporn.
 
Nein, oh! als stürmten sie aus meinem Blute,
Aus Pulsstrom Fieberfratzen ungezähmt,
Wie wenn die Todesangst sich siedend spute,
Mit Fels bewachsen, felsgelähmt.
 
Im Wettlauf rasend schwebt wie in der Scheide
Umdampft das Blutschwert in der
  Straßenschlucht,
Und von der Erde reißen sie sich beide
Hinaus, - im Fluge ringend steht die Flucht.
 
Da jagt vorbei mir auf Zentaurenhufen
Ein Mann. Und wo der Kopf des Schweifsterns
  steht,
Hat jemand meine Einsamkeit berufen, -
Mit meiner Stimme singt mir der Komet:
 
„Dein Antlitz steigt, durch nichts mehr zu
  vermummen
Schon wie zum Parsenturm des Schweigens still.
Am ausgesetzten Haupte wird verstummen
Ein Schwarm von Geiern bald, noch schreit er
  schrill.
 
Schon hackt er nieder, du wirst leiden müssen,
Dann öffnet zuckend sich nie mehr dein Mund,
In Schlamm geworfen deine eigne Hand zu
  küssen
Und nach dir selbst zu hacken wie ein Hund.“
 
Verhüllte Macht, hast du das dir gesprochen?
Sprachst du von mir, dem leer die Zunge dorrt?
Aus meiner Stimme bist du ausgebrochen –
Ich lausche, dem Kometen zögernd folgsam, fort.

   
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Dächermond

Wie bist du lang schon unterwegs! komm heim!
Nicht Dächer mehr überwandelst du, staunendes
  Fernweh:
Sind es von Mondfrost spitzige Wellen?
Führst du mich an der Hand
Über den See Genezareth, Fernweh?
Gespenst, aus mir erwachsen,
Und läßt mich versinken im Spalte?
Denn dann: entflögst du mir,
Entflogen wärst du dem Tode.
 
Nicht mehr über Dächer,
Auf dem irrlichten Monde selber schon schreitest
  du,
Doch wagst nicht zu bellen im wüsten Käfig der
  Sterne;
Und legst dich, ein Schatten, zu Schatten
Der tonlosen silbergeschirrten Felsen.
Ihre Nacktheit, die niemals zuckt,
Zeigt dem Tierkreis im Schwarzen
Schmerzlose Schwären.
 
Keine Steinmiere wächst hier, zu tauen.
Die Schatten sind auch ohne Feuchte.
 
Nur einer bringt den Tau der Bängnis.
Wie bricht sein Quell aus meiner Stirn?

 
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Leidspiegelung

Leid, Leid,
So rein von Menschen und von Dingen,
Du willst im Stein,
Ein Wasserquell, an meinem Fuß entspringen?
 
Viele würden horchen. Darum rauschst du nicht. –
 
Doch wo im Himmel bange
Das Auge ruht, ist nun der Quell entsprungen,
Fließt, sein vergessen, wie von einer Wange.
 
An seinem Borde senkt ein Palmenhaupt
Die Last wie vielgeflügelten Flug
Und trifft schon Strauchwerk an, das vor ihm da
  ist,
Und Schilf genug.
 
Ein bärtig schwarzes Wild tritt aus dem Schilfe.
Scharf spiegeln sich im Quell die weißen Zinken
Der Zähne. Seine Kehle heckelt gierend,
Doch sie vergißt zu trinken.
 
Die Purpuraugen starren in das Fließen.
Gewaltig schlürft ihr Geist die Form: das Schilf,
  den Strauch,
 
Die Palme –
 
In seinen Blick hinein erblaßt das Tier, der Quell
  wie Rauch.

   
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Die bange Last

Öd-öder Himmel,
Zu tief dem Schrei, zu hoch für eine Schwinge!
Doch leben durch ein Herz nur kann die Gier
Der Öde: und schau hin, es ist, als ginge
Dort hoch ein fleißiges und kluges Tier.
 
Im Leeren
Ein Esel, enge schreitend, stellt die Ohren,
Er ist schon weit empor und ist schon klein,
Ein Pfad aus Glas scheint unter ihm gefroren,
Er ginge durch ein Nadelöhr fast ein.
 
Im tobenden Blau
Wo ist ein Ziel für ihn? Ein Mond? Ein Hafen?
Wo eine Hand, die ihn am Halse faßt?
Des Ausgangs Stern? Der Stall, wo er geschlafen,
Vor dem man früh gerüstet seine Last?
 
Erstickend
Herniederzuckt der Raum! Ich bin inmitten!
Sein Schreck, sein Blitz glüht ewig aufgetan.
Das Tier entschwindet hoch mit kleinen
  Schritten,
Ich stürze wild hinab den Ozean.
 
Im funkelnden Ozean:
Du Armut,

Du ferne Erde warst des Esels Bürde!
Du triebst einst warm und still und golden breit,
Ach, und trugst Flieder, der nun blühen würde
Mit einem Duft wie sanftes Herzeleid.

   
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Mondwolken

Der Fuchtelwind der Angst ist irr
  hereingeschlagen:
Bett wankt und Haus.
Grund fliegt wie Spreu.
Aufweint der Styx – kein Ach weiß ach zu sagen.
 
Der Schöpfung feuchtes Bild ist aus dem Fleisch
  vertrieben.
Nur schwarze Last,
Windflut der Nacht,
Und Streifen mondnen Himmelschaumes sind
  geblieben.
 
Gewendet wird ein Geisterfeld in großen Schollen
Wie Blut so weich,
So klar wie Seim –
Zu Häupten keinem schon die weißen Knollen.
 
Sie keimen schon in Schmerzen, die sie sanft
  verändern;
Wie grünes Leid
Und goldne Milch
Schlägts heilig über an den aufgegangnen
  Rändern.
 
Mein Herz – nah weint der Bach – mein Herz, so
  leicht zu pflücken,
Nun fülle dich:
Wie Pauken schön
Noch dies, noch dies zu schlagen von
  umschluchzten Brücken.


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