lifedays-seite

moment in time


 Meine Lizenz

 
Literatur


04.2



Gedichte - Oskar Loerke

Der längste Tag
Berlin 1926

__________


Aus: Der magische Weg

Der längste Tag

Es ist der längste Tag. O Klarheit!
Der Abend ist weiß, die Welt ruht vor dir
Mit Himmelslichtern in Scheitelhöhe.
Die Wasserbrunnen laufen und bleiben,
Ihre niederhangenden Leben
Messen Mond und Sonne zugleich.
Feuer brennt Fett, dein Urvater opfert,
Die aufgerichtete flehende Säule
Rauches mischt der Tag mit der Nacht.
 
Es ist dein längster Tag. O Klarheit!
Dein ist die Welt, ach zu sehr dein:
Sie schweigt dich an wie heimlich entvölkert,
Denn viel, was dir hinging, will nicht enden
Und braucht ihren Raum für seine Gestalt.
Es freut sich der Schmerz, der Jubel weint auf,
Sie sind ganz bei dir, los aller Zeit.
Umschlungen sind sie in eins schon gewachsen
Und trinken an deinem Tierblut sich groß.
 
So lebt das Tier, das lange verschwiegne,
Die Götter spürend, und sie sind einfach?
Über der blauenden Stadt und den Gärten
Schwebt wie auf hohem Turmseil dein Schatten,
Umglüht von elektrischen Riesenzitronen,
Erstlingsfrüchten im Urhain des Finsters.
Es trägt auf der Hand zur Schau deine Seele,
Die Hündin mit purpurn hängender Zunge
Und niedergefalteten Fledermausflügeln.
 
Sie weiß, der Schatten mag wandeln, mag stürzen,
Süß ist ihm immer, denArm nur zu heben,
Leicht wie ein Flaum entfliegt die Gefahr.
Abseits zwar brummt und saust die Kaskade,
Nacht lärmt im vertieften Fallbett.
Erschreckend mit Kühle die Ufererlen;
Das Ufer flieht, die Nachtflut wird groß.
Aber der Schatten träumt ewiges Leuchten.
Denn ewiges Licht speist mit Ewigkeit ihn.
 
Das Turmseil ist über ein Meer gezogen,
Ein atemloses altes; die Fische
Sammeln sich im falschen Tage
Des Nordlichts. Das lastet breit mit Nadeln
Aus Zinn und Kupfer und rinnendem Eisen.
Schon wartet an der längsten der Lanzen
Der Hund mit gefalteten Fledermausflügeln,
Er schläft über goldenem Haufen der Fische
Und schattet unter dem Scheine tief.

 
zurück




Die Vogelstraßen

Vor vielen tausend Jahren auferbaut,
Ziehn hoch durch Luft die großen Vogelstraßen.
Den Erdball, wie ihn Ferndampf drunten blaut,
Ermaßen Flügel nur mit Himmelmaßen.
 
Sie sind verboten aller Menschenlast,
Verwehrt dem zwiegespaltnen Huf, der Klaue.
Kein Stäubchen lagert dort, kein Blatt vom Ast
Und, gibt es Gott, kein Haar von seiner Braue.
 
Von einer solchen Straße überbrückt,
Sahst du ums Haupt dir ihren Schatten stürzen.
Das Licht, das jemals unter ihr gerückt,
Sahst du erscheinen und zum Blitz sich kürzen.
 
Du hast die magische Figur befragt:
Als Donner schlug sie sich in träge Stücke!
Dein Magisches, dein Vogel-Leichtes jagt
Entlang die unsichtbare lange Brücke.
 
Des einen Endes Pfeiler steht in Frost,
Wo Moorpech quillt und Sumptohreulen kreisen
Und Federschwänze klatschen, rot von Rost,
Entrafft der Flut voll aufgelöstem Eisen.
 
Des andern Endes Pfeiler hüllt Geschmeiß,
Zum Fraß gesellt, im Neide sich Gehilfe -
Doch dort ertönt ein Strom in seinem Fleiß,
Dort senkt die Vogelstraße sich zum Schilfe.
 
Nicht fern besteigt den klaren Bergvulkan
Ein Elefant, schaut einsam in den Krater.
Darüber sinnt der Himmel, aufgetan,
Sein Alter aus, und er weiß keinen Vater.
 
Und Bild um Bild erbangt nach einem Sinn
Ob Worten, die wir sonst im Sinne hatten.
Auch dies scheint Donnerrufen her und hin,
Dem Blitz vorweggenommen als sein Schatten.
 
Zu reisen, ist der Vögel Winterschlaf,
Der schwere Frösche, Schlangen oder Bären
Im Schwebetraume nur mitschwebend traf.
O daß wir alle Vogelseelen wären!


zurück




Pilgerschaft

Im Pilgern wurde Chinas Büßer
Vom Tod nicht aufgehalten.
Nur scheint der Schritt durch Luft ihm süßer
Zu Wolkenberggestalten.
 
An rotem Felsgeröll zerfetzt sich
Sein gelber Seidenmantel,
An seine leuchten Augen setzt sich
Die gierige Tarantel.
 
Er naht dem heißen goldnen Blocke,
Die Glut versengt die Brauen,
Und er weiß nicht mit Axt und Stocke
Geschmeide loszuhauen.
 
So setze dich! Die Berge schweben
Dir unters Haupt wie Kissen,
Und Klamm und Grate werden eben,
Von Gluten eingerissen.
 
Sie nehmen aus der Hand wie Hände
Dir Axt und Stab; dein Linnen
Zieh ab! dich hüllen ihre Wände,
Du bist in ihnen innen.

 
zurück




Von fern

Von Pappeln klirrt das harte Laub wie Schwert um Schwert.
Mies - wie lange vergangen!
Ich sitze, ohne zu fangen,
Am öden Vogelherd.
 
Er steht nicht hier im rauhschwarzen Regen?
Unsichtbar ist er, hoch entlegen,
Als sah ich ihn in meiner leeren Hand:
Ihn trägt sie, zu Lichte gekehrt,
Und mich inmitten der wachsenden Schwertstreu.
 
Und wie den Weg hinauf nicht Huf, nicht Wagen fand,
Kannst du auch nicht zu nur hinabgelangen,
Beschattete Seele.
Du sitzest, ohne zu fangen,
An ödem Vogelherd.

 
zurück




Der Schwabenspiegel

So sagt das Spiegelbuch der Schwaben
Vom Schatz im Saatgelände:
»Was tiefer liegt, als Pflüge graben,
Gehört in Königs Hände.«
 
Noch Tieferes, nicht aufzuscharren,
Gehört den frommen Schauern;
Das fährt kein Roß-, kein Ochsenkarren
Dem Fürsten ein, dem Bauern.
 
Wo dessen Lager ist, du ahnst es
Aus einem frühern Leben,
Und ist es an der Zeit, du planst es
Und kannst den Schatz dir heben.
 
Ihn zieht ein tiefher Aufwärtswollen,
Ein Schweben felsdurchdringend,
Ein Stampfen und ein Feuergrollen,
Den Erdball ganz bezwingend.
 
Den stößt er manche Meilenspanne
Durch schwarzen Raumes Pfuhle -:
Doch steht des Schnitters Wasserkanne
Still neben deinem Stuhle.
 
Dies ungeheure Mächtewühlen
Will Opfer nirgend rauben.
Ein Regen lallt, die Tropfen kühlen,
Goldregenblüten stauben.


zurück




oben

weiter
____________________________

   lifedays-seite - moment in time