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04.2
Gedichte
Oskar Loerke
Der Silberdistelwald
Berlin 1934
__________
GERICHT
Geleit
An Wilhelm
Lehmann
Wo war der Gott? Sein grünes Vlies
War Unterwelt, war Paradies.
Der grüne Gott war dein Gedicht.
Du sahst ihn an, er war Gericht.
Sein Spruch war wie sein Werk so hart:
Gericht war seine Gegenwart.
zurück
Paradies
Er
schritt im Schlendergang und stieß
Auf Knochen eines Kolibris,
Der sich vom Baum den Bissen nahm
Zur Zeit, bevor die Sintflut kam.
Es scholl so fern wie schlafgedacht:
Du mußt nun durch die Wassernacht!
Und er schritt hinter dem Befehl
Wie durch das Schilfmeer Israel.
Und jenseits klomm er lange fort –
Verdorrte Zeit stand unverdorrt,
Des Lebens Ton schien alt betont
Und längst auf Erden eingewohnt.
Nur, nirgend waren Menschen da,
Bis er sich selber leiblich sah.
Zum Grund gebückt im Paradies
Auf alte Knöchlein eines Kolibris.
zurück
Die Wüste
Immer
wieder
schwillt die Wolke,
Immer wieder fliegt der Sand
Hinter dem Ende der Augenwege
Über den Wohnungen Fleiß und Verstand.
Ist die Wüste müde zu fliegen
Und streut nieder, so deckt sie zu
Völkerträume, die eben versiegen,
Brüder von Babel und von Peru.
Eben ertrinken im Gelben, Weichen
Ruinenquadrate mit hartem Rand,
Gewittergüsse, Sonnenbleichen
Drücken die steinerne Fatmehand.
Starre Völker von Stachelkakteen
Stehn hier, stehn da wie Beduinen,
Doch zeltlos, und keine Worte gehen
Und keine Lieder zwischen ihnen.
Und schon ist hundert Jahre leer
Der letzte reisende Wasserschlauch,
Und tausend Jahre schon steht nicht mehr
Die letzte Säule Rauch.
Und schon wieder schwillt die Wolke,
Und schon wieder fliegt der Sand
Über den Wohnungen Fleiß und Verstand
Hinter dem Ende der Augenwege.
zurück
Der Löwe
Wie
kam ich in
das weite Scherbenfeld?
Satrapenhausrat,
den die Zeit zerschlug.
Ein Meer, das
mir am Fuße heiser bellt,
Wenn ers
durchwatet. Kessel schreit und Krug.
Ein Tier,
gebrannt mit grünlicher Glasur!
Ich griff den
Löwen Assurs in den Bart.
Wie
lebensspurlos diese Lebensspur
Und
gegenwärtig ohne Gegenwart!
Ich schlug ihm
ins Gesicht, und er blieb zahm;
Mein Speichel
floß von seiner Zähne Wehr;
Doch wenn ich
schamlos hieb, so wars aus Scham,
Daß ich so preisgegeben
war wie er.
Er sprach: Was
quälst du ? Nur, was dich so quält!
Du,
Gilgamensch, erfuhrst im Gramgesicht:
Die Tage
deines Lebens sind gezählt,
Die Tage
deines Todes sind es nicht.
Dann dröhnte
seine Stimme, und er sprang
Mich an, und
Feuerlohe war sein Fell.
Ich fiel, daß
über mir sein Atem stank,
Und Assurs
Geist stand auf: Gebrüll, Gebell.
Es schrie:
Auch dies bist du, was jetzt dich quält,
Mit zweien
Pranken auf dich niederbricht:
Die Tage
deines Lebens sind gezählt,
Die Tage
deines Todes sind es nicht.
Die Pranken
sind in gleichem Sprung gereckt,
Der aus dem
gleichen Unbekannten schießt.
Vielleicht,
daß dich ein später Welttag weckt,
Daß du ihn
dann, wie ich dich sehe, siehst.
zurück
Ich
schnitze Spielzeugtiere
Mein
Wandergeist, du siehst
Die
Wolkenschiffe sich tiefer befrachten.
Wohin zu Markt
und Kauf?
Hüte dich, die
Tage traurig zu betrachten,
Mein
Sehnsuchtsgeist, du ziehst
Traurige Tage
herauf.
Die Wäsche vor
dem Fenster bläht die Segel.
Und Segel mag
mein Heimweh ballen;
Doch schnell
ists wie im Sommerteich der Egel,
Vom süßen Blut
geschwollen, abgefallen.
Denn ob die
Lichter ihre Bahnen steilen,
Ob sie den
steilen Einfall wieder schrägen,
Das Holzmehl
staubt im Werkelgang der Sägen,
Im Eisendrehn
und Schliff der Feilen.
Und wenn ich
nach dem Wintersausen
Im Windbruch
harte Stubben rode:
Wo meine
Sonnentiere hausen,
Da bin ich
nicht im Leben und im Tode.
Und meine
tausend Dromedare,
Die
Däumlingscharen der Kamele,
Es wärmt kein
Fell die Spielzeugware,
Und innen
wärmt sie keine Seele.
Doch Mammutfuß
und Reißzahn kannten
In mancher
Nachtqual meine Knochen,
Dann waren
Tiger oder Elefanten
Aus
unbekanntem Urwald eingebrochen.
Und ein
Geseufz, das ich nicht unterscheide
Von meinem als
an seiner Geisterfarbe,
Ist über mir.
Und Einer führt die Schneide
Wie ich am
Holz und kerbt mir ein die Narbe.
zurück
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