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04.2
Gedichte
Oskar Loerke
Der Silberdistelwald
Berlin 1934
__________
Gericht
Im Zuge
Den Blick
entleert, im Gang, am Fenster lehnen
Die Menschen,
leis vom Sommertag beschlichen,
Und wenn sie
mit der Hand die Stirne streichen,
Ists ihrem Tag
für immer abgestrichen.
Die
Eisengleise, die den Berg bekriechen,
Sie messen
Zeit, sind blitzendes Geleite
Des Berges in
sein Alter, und sein Tunnel
Führt nicht
nur durchs Gefels zur andern Seite.
Und auf ihm
alle Bäume werden älter,
Wie sie ums
Licht noch miteinander hadern,
Und alle
Blätter, alle, werden älter,
Und in den
Blättern alle grünen Adern.
zurück
Dämon
Nur
heute
sprach ich auf dich ein.
Bald bin ich
weit hinausgestellt,
Ein harter
unbewußter Stein,
Als Wacht der
Straße durch die Welt.
Gedanken und
Gefühle,
Was immer in
dir sei,
Sie sehnen
sich ins Kühle,
Sie kommen mir
vorbei:
Wandrer krumm
und grade
Im Schmuck von
Mohn und Schweiß,
Alle auf dem
Pfade,
Der keine
Umkehr weiß.
zurück
Unerreichbar
Es
scheint mir
vor ein einsames Meer,
Es lauscht aus
meinem Blute,
Zu fern das
Leben, zu stumm dem Begehr
Des Magneten,
der Wünschelrute.
Vom Licht ist
die Salzflut grau und scharf,
Voll Inseln
aus Korallen:
Rote Schwären
haben die See befallen,
Die niemand
heilen darf.
Langgezogen im
Wasserbrühen
Schlafen
Schlingpflanzen reglos.
Sie vergessen
zu rudern und blühen,
Ihr Jahr und
Jahrhundert ist weglos.
Sie haben
keine Schaumtiermähnen
Mit ihrem
Lasso zu fassen.
Hier ist kein
Pfad für Schmerz und Tränen,
Nur Geschehn
und Geschehenlassen.
Und so, vom
heißen Wasser langgezogen,
Ruhn Wachstum
und Gewächse.
Nur nachts
türmt sich am Himmelsbogen
Goldscharfig
eine Urzeit-Echse.
In Luft und
Wasser funkeln die Flecken
Dem feurigen
Salamander.
Die Lichter
spähen und entdecken
Immer nur
einander.
Was um das Haupt
der Echse kreist entlegen,
Strömt an,
meinen Geist zu spalten,
Und Süchte des
Herzens schleppen verwegen
Mein Ich durch
Weltraumgestalten.
Und endlich
lassen sie sich fallen,
Wo niemand sie
heimholen darf.
Sind sie das
Meer, lichtgrau, salzscharf,
Voll Inseln
aus Korallen?
zurück
Parkmitternacht
Wes
Haus umlagerte der Mammuttroß
Der Wipfel? Schatten sah ich wie
vom Fest
Die Wendeltreppe gehn im
Ordensschloß,
Und gotisch alt war der
Gewitterrest,
Der schalen Plantschens aus der
Rinne floß.
Horch, wie die Pappel ihre Habe
zählt
Und immer zählt – ach taubes Gut
und Glück!
Wie sich die riesige Platane
schält
Und klappernd niederwirft ihr
Borkenstück –
Das fällt – und fällt nicht in
die Welt zurück.
Da kommt mir, daß ich, die mich
liebgewann,
Daß ich die Mitternacht nicht
hindern kann,
Wenn sie im Rindenfloße
niederfährt,
Ich weiß, es ist mein Hauch, es
geht mich an,
Was mit dem Wind im Pappelturm
vergärt.
Vorbei der Segen, scholl der
Wasserrest,
Der schalen Plantschens aus der
Rinne floß.
Ein Schatten mehr geht um im
Ordensschloß,
Er hebt sich vor mir auf und hält
mich fest.
Tief um uns schnarcht der Wipfel
Mammuttroß.
zurück
Der dunkle Schattenfreie
Von
Hügeln, die ihr Herbstbett
machen,
Scheinen die Skelette schon.
In kalte, grelle Wasserlachen
Schüttet gebückter Himmel Mohn.
Der tränkt und speist
Ein Sausen wie Feuer
Mit seinem Geist
Und gibt ihm die Erde zum
Abenteuer.
Er wetzt daran wie gelber Zähne
Schaben,
Die, längst von keinem Fleisch
bedeckt,
Das Bittre schon gekostet haben,
Das doch niemandes Zunge
schmeckt.
Ich gehe still im
Tagentschwinden,
Meine vielen Schatten will ich
nicht stören,
Wie sie zerbrechen auf den
Birkenrinden,
Wesen, die mir nicht mehr
zugehören.
Sie blieben hinter mir im Holz,
Bald unabsehbar ist die Reihe,
Dann, als die Nacht mit ihrer
Nacht verschmolz,
Verließ ich sie, - der dunkle
Schattenfreie.
zurück
Zeitloses Erwachen
Im
Garten wuchs bei Nacht der
Norden,
Ich bin von keiner Zeit noch
schwer.
So bin ich ausgenommen worden,
Zu altern wie die Welt umher?
Auf Beeten schmilzt die weiße
Flocke
Im Ginster-Immergrün und Buchs,
In welkem Farn hängt Haargelocke
Von einem Wolfshund oder Fuchs.
In Vasen wuchs die Zeit und
Tassen,
Sie nahmen die Erfüllung hin
Mit horchendem Geschehenlassen –
Nur meine Zeit ist nicht darin.
Vielleicht hat sie der Traum
betreten,
Der nicht nach meinen Träumen
fragt,
Und ihre Schleppe ziehn Kometen
Durch eine Nacht, die mir nicht
tagt.
Armaden ruhn von Schlacht und Böe
Dort aus, das Erz im dichten
Stahl,
Das Ammonshorn ruht auf der Höhe
Des Berges aus vom Meer im Tal.
Für Völkerzüge der Vandalen
Ist Raum darin, für Zeit und Vieh
–
In Vasen wuchs die Zeit und
Schalen
Und wächst, doch über fließt sie
nie.
Ein Tropfen mag es einmal wagen,
Er neigt sich über, hängt am
Rand,
Vom Altern ausgenommen und
verschlagen
Wie außer Leib und außer Land.
zurück
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weiter
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