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Literatur


04.2



Gedichte
Oskar Loerke

Der Silberdistelwald
Berlin 1934

__________

 
Die Verbannten
 
Worte zerspellte das Wasser am Fels: Du Abschied,
  wie sauer!
Mir schien zur Nacht, der Steinbach komme gefahren
In diese schöne Niederwelt der Trauer
Von Höhen, die mich auch verbannt, und ihren
  Barbaren.
Manch Stimme schoß hin, wie wenn sie verzweifelt sich
  töte.
Andre sanken langsam, gebeugtes Recht, bis in Scham
Sie alle – Hölderlin, Jean Paul und Goethe –
Hier unten bei Farren und Schnecken ein Hörender zu
  sich nahm.
 
Doch mochten sie, zu nah noch der lichtfrechen
  Schmach,
Nicht weilen, sie flössen hinab, und es bezwang
Ihr Stolz mein Herz und zogs in ihre mitschwebende
  Heimat nach,
Bis es, bang vor dem Sturz, im Schlaf der Erschöpfung
  versank.
 
Nun, in einsam üppigen Himbeern und Blaubeerkraut,
Wiegt mich der Morgen wie im grünen Kahne,
Mit der Sonne spricht meine Haut,
Mit ihrem Geiste reden alle Organe.
 
Vernimm! so sagt er. – Stimmen im Steinbach, alle
  Gespenst
In wahnhaft kicherndem, machtlos röchelndem
  Schube!
Keine darunter, freies Licht, die du bei Namen kennst,
Du nennst sie nur „Geißler des Lebens“ und
  „speichelnder Bube“.
 
Trüb ist der Zug, dennoch rein bleibt die Flut für alle,
  die dürsten.
Und wer schöpft und trinkt, dem schmeckt das Lautre
  nicht bitter.
Die Verbannten aber streiten empor wider der
  Finsternis Fürsten,
Mächtig schweben sie an, wie gegen den Wind das
  Gewitter.


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Kleiner Bahnhof

Du spielst, ein Luftzug, mit den weißen Tüchern
Der Tische in den leeren Wartesälen.
Die Kellnerinnen stricken über Büchern,
Versenkt, beklopft von eisernen Signalen,
Die Hämmer aus der schwarzen Glocke quälen.
Du spielst, ein Lufthauch, der sich selbst nicht kühlt.
 
Geranienkübel blühn an Eisenträgern,
Vom Kohlenrauch des Kessels plump umarmt.
Derweilen flieht nahbei vor seinen Jägern
Das arme Wild aus warmen Lager-Kralen
Zu einem Gotte, der sich nicht erbarmt.
Was spielst du? Weil ein Hauch sich selbst nicht fühlt.
 
Längst ist ein Mahlen in den Rädern rege,
Die Weiche klappt, es kreist das Immergleiche,
Die Birkenpilger horchen in die Teiche,
Wie Schicksal werden weiße Wolken groß,
Doch vorher schweigt der Bahnhof klein am Wege,
Da pulst ein Hauch wie Herzschlag herrenlos.

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Das böse Tal

Nun zürne nicht. Gewiß, ich war
Mit meiner Schwermut in Gefahr,
Doch dauerte dich meine Qual, -
Ich war in keinem bösen Tal.
 
Wohl wies an jeder Wegescheide
Die Tafel immer nach Herzeleide,
Die Knospen glichen wühlenden Rüsseln,
Die Blüten glühenden Purpurschüsseln.
 
Dann wurde Nacht, die Giftkapsel brach
Mit fernem Knall, ich ging ihm nach,
Ich habe den süßlichen Samen genossen,
Und sein Reich hat sich innen noch einmal
  erschlossen.
 
Doch wagt sich das Leben am tiefen Sturz:
Ohne ihn wäre es kürzer kurz,
Weils, wenn es dann anders enden gemußt,
Von jenem Tale nichts hätte gewußt.


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Tannen

Die Sonne, schräg vom schwarzen Berg zerschnitten,
Licht meiner Sinnwelt auch, von Welt inmitten
Gespalten, halb verfinstert, bald bezwungen –
 
In Felsen und Erden übergegangen:
Heute benetzt sie die Schläfen nur noch den langen
Reglosen Tannen der Niederungen.
 
Ihre Schatten schlugen viel Zirkel im Grase,
Der Fingerhut dorrt in der Apothekervase,
Die Tannen ragen reglos noch immer
 
Mit grünen Bärten, mit moosigem Schurze,
Es endigt das Menschenleben, das kurze –
Die riesigen Tannen ragen noch immer:
 
Die Sonne, vom Berge schräg zerschnitten,
Ist heute abend nach hundert Jahren nicht tiefer
  geglitten,
Die grünen Türme ragen wie damals, wie eben.

 
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Das Gericht

Nach stolzer Lehre laßt uns tun:
Die Fackel über Schläfer weiterreichen,
(Wie sie im Schlaf uns rührend gleichen -!)
Am Fuß der Irrsal steile Härten,
Die Sterne schließlich an den Schuhn
Wie Margueriten unsrer Gärten.
 
Und oben wird zu Milch der trübe Strom,
Er floß durch Mekka, Schiras und Athen,
Da baden wir das Angesicht.
Und oben läßt der Wald von seinem Wehn,
Das Mexiko durchrauscht und Bali, Rom,
- Nun fällt man ihn zu mildestem Gericht.
 
Wie du dich hierher durchgeschlagen hast,
Gebenedeit, betrogen,
Es gilt gleichviel;
Vom Scheiterholz die gleiche Last
Wird jedem zugewogen,
Du bist am Ziel.
 
Von unten langt man Leuchte schon an Leuchte,
Doch die sie reichen, können noch nicht kommen,
Und ihre rechte Hand ist noch nicht frei:
Sie haben sich der Schläfer angenommen,
Sie wischen Trunknen das Gespei
Und trocknen bleicher Bruderstirn die Feuchte.


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