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Literatur


04.2



Gedichte
Oskar Loerke

Der Silberdistelwald
Berlin 1934
__________


Am Rande der großen Stadt

 
Geleit

Soll denn die Fremde schon beginnen,
Wo der eiserne Schwung der Maschinen
      Nicht schwingt?
Und bleibt das Licht denn ewig drinnen
An seinem glühenden Draht?
Wer will der Glaskugel anbetend dienen?
Wohin das Götzenlicht nicht dringt,
Auch dort grünt Saat.

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Feuerschein der Weltstadt

Feuerschein steigt alle Nächte
Wie der Fegeberg der Mythen.
Wer tief träumen könnte, dächte,
Raum und Ewigkeiten glühten.
 
Alles schiene ihm zerfallen.
Und der Nachschein heißer Feuer
Von den Abenteuern allen
Nun das letzte Abenteuer.
 
Wo zu wohnen, was zu essen,
Wie das Gut zu teilen not sei,
Wußten sie, und zu bemessen,
Was das Leben, was der Tod sei.
 
Doch ihr Wille blieb vergebens:
Sie versäumten, sich des armen
Todes und des armen Lebens
Durch Erstaunen zu erbarmen.
 
Wer ein Seher wäre, sähe
Dies im Licht zu Licht gekommen,
Denn gestaltlos glimmt die Nähe,
Und die Ferne raucht verschwommen.
 
Sinnlos beieinander quellen
Firngeleucht und Grubengase,
Ringt sich Trübnis zu erhellen,
Wächst und platzt die faule Blase.
 
Des kein Ende ist zu ahnen.
Wer nun lächeln könnte, wüßte
Einen Zauber der Schamanen,
Der das Lichtmal stürzen müßte.
 
Und schon kommen, aufzuräumen,
Böse Tiere der Gesichte,
Machen hoch den Brand sich bäumen,
Daß er schneller sich vernichte.
 
Die vom Spuk der Nachtvisionen
Ganz zum Dasein nicht genesen,
Werden Hirn und Blut nicht schonen,
Das nur halb am Licht gewesen.
 
Schleifen sie im Widdergarne
Die Verdammten und die Kranken?
Lebensspülicht, den sie tranken,
Spritzt im Kot und kocht im Harne.
 
Sank der Fegeberg der Sage:
Fern und glühend aufgerichtet
Flammt die alte Menschheitsklage,
Unverändert, unvernichtet.

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Drunten

Die Unterwelt wächst in die Ohren.
Am Radio durch Europa geht
Der Zeiger nach einem Trostgebet.
In einem Berg Vergangenheit verloren
Gregorianische Litanei.
 
Bei gelbem Wachsschein füllt die Stollen
Gepreßter Chorklang, Orgelrollen.
Die Lava dröhnt, bald kracht sie frei.
Und Weihnacht ist? Es war, als sei
Mariä Kind noch nicht geboren.

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An einem Wintermorgen

Die Seele grünt noch im Sehnsuchtskummer,
Der mit dem Schlafe nicht entschlief.
Am Ohre lungert ihm Fernsprechnummer,
Maschinenhacken, Schemabrief.
 
Er sieht: In rubinener Tagesneige
Nimmt raschen Abschied, was ewig hieß,
Schattet mit breiten Blättern die Feige
Über den Weg aus dem Paradies.
 
Eben hat er den Enzian gebrochen
Auf einem Berg, den die Eiszeit verschlang,
Und er hat ein brandiges Opfer gerochen
Zum Gebet, das ein Ahnherr für ihn sang.
 
Im Lichte der Sichel, fern hergeliehen
Vom donnernenden Tage, der jenseits stand,
Ist ihm das nächtliche Weistum gediehen
Bei schlissigem Laub an herbstkalter Wand.
 
Die Atemwolke aus ihm dauert
Im Raum, wo Vergehendes stille steht,
Wo der Büßer, der auf dem Bettrand kauert,
Draußen im Frost hockt, vom Nachtschnee verweht.

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Die weite Fahrt

Schon reißt der Schattenfluß. Schon überdrängen in Scharen
Meinen Tisch die Möwen.
Hell sangen die Bücher, die bei mir waren,
Nun sammelt die Flut alle heimatlosen Stimmen der Löwen.
 
Vorbei sind längst die Ufer der Heroen.
Säulenhöfe brennen, steinerne Genien und Ungeheuer,
Als gebäre sie nochmals der innere Himmel, erlohen. —
Aber das war der unwiderrufliche Abschied im Feuer.
 
Länder dann wie Balladen mit Kaisern und Rittern!
Mond unter Baldachinen, Sonnen in Karossen;
Überall rotteten Knechte hinter den Gittern,
Und sie prüften heimlich die Feste der Sprossen.
 
Andere Reiche reihten sich, immer ferner und blasser,
Sie hoben sich mühsam und kurz noch zur Kimme,
Und als die nichts mehr sah als Wasser und Wasser,
Da löste sich in mir die Stummheit zur Stimme:
 
Befahre zu deinem Glücke
Die Flut, die keiner kennt!
Hinüber führt eine Brücke?
Aber die Brücke brennt.
 
Die Nach ruft nach dem Fergen,
Er soll den Ruf begreifen!
Wein pflanzen wird man wieder an den Bergen,
Pflanzen wird man und dazu pfeifen.

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Marionetten

Die Sonne bückt sich, richtet sich nicht mehr nach oben,
Es ist Winter ums Zimmer, die Schatten wuchten
Und glimmen am Rande wie nasse Kloben.
Ein Bote verließ mich, es riecht nach Juchten.
 
Duft von Wildnis und Ferne.
Millionen Marionetten
Haben an ihren Spielern gelitten
Und über sich die Fäden zerschnitten.
Sie wollten gerne
Außer dieser Welt sich betten.
 
Abends jetzt steigen die Nebel aus Blatt- und Gräserdung,
Und morgens verspäten sie immer die Flucht.
Kiefernwipfel wie schwarzen Schimmels Wucherung
Wachsen riesig darin, ohne Laut, ohne Zucht.
 
Duft von verwesender Wildnis.
Millionen Marionetten
Wirken nicht mehr am irdischen Bildnis,
Aber keine konnte sich retten:
Ihr Fall aufs Gesicht, ihr Sturz auf den Rücken
Muß eine Spur in die Erde drücken.
 
Wollen erlöschen
Die niederbrennenden Feuer der himmlischen Schluchten?
Einer  klimmt aufwärts die seligen Böschen,
Der ganze Weltraum riecht nach Juchten.
 
Duft von Wildnis und Weite.
Beladen mit den Marionetten,
Bläst der Wandrer in die Scheite.
Doch weiß der Bote
Auch nicht das Tote
Außer dieser Welt zu betten.

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