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Literatur


04.2



Gedichte
Oskar Loerke

Der Silberdistelwald
Berlin 1934

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Am Rande der großen Stadt

 
Nach dem Gewitter
 
Ein Regen fiel. Nun streicht ein Windesgähnen
Zum See hinab durch nasses Schilf und Erlen.
Fern geht ein Klang: einst werden alle Tränen
Im himmlischen Jerusalem zu Perlen.
 
Es hüten fern, wo sich die Wälder teilen,
Verlorne Söhne dudelnd ihre Säue.
Auf Wolkenfels, umblitzt von lichten Keilen,
Schwebt schon die Stadt des Heils in finstre Bläue.
 
Die kleinen Wege münden wie die großen
Dort ein, doch sah ich keinen Wandrer kommen.
Denn viele lebten, nur vom Grab verstoßen,
Denn viele starben, in ein Grab nur aufgenommen.
 
Ich habe Menschenseufzer aufgelesen
Aus Löchern der Verachtung, Schmutz der Gleise —
Nun sind sie wieder Flügelwesen
Und spielen vor dem Stadttor auf der Schneise.

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Genesungsheim

Was schlug man diesen zum Krüppel?
Er dachte hinter der Stirn:
Da öffnete ihm der Knüppel
Den Schädel, und Hirn war nur Hirn.
 
Warum haben Jauche-Humpen
Dort jenen die Augen verbrannt?
Sie haben einen Lumpen
Einen Lumpen genannt.
 
Warum schweigt dieser im Knebel?
Weil sein Gewissen schrie!
Wes Kopf sprang zum Reiche der Nebel?
Dessen Gurgel vor Ekel spie!

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Nichts Ungesegnetes

Kein Ungesegnetes verneint sich,
Und endlich segnet sichs: es sei!
Und ist es nur gering – es scheint sich
Hinein in Form aus Gold und Blei.
 
Es wird ein Ding und macht den Frieden,
Worin das Schluchzen sich verlief,
Vor unsern Augen unverschieden
Vom Dinge, das ein Lächeln rief.
 
Gestaltet lebt es eine Spanne
Im immer wirbelnden Kehraus –
Doch Zinnkrug, Laute, Silberkanne
Sind nur im Wandbild noch zu Haus:
 
In altem Öle aufgehoben,
Bewacht vom Wurm im Rahmensaum,
Aus Glanz und Klang zurückgeschoben
In einen wesenlosen Raum.
 
Und auch der Geist, der die Palette,
Den Farbenlehm zum Leben schrie,
Weilt kurz, als ob du müd im Bette
Entschlafend krümmst und streckst das Knie.
 
Und selbst, wer doppelt war gepeinigt,
Geht bald, - wen brennt noch, daß zum Gram
Der Miselsüchtige, gesteinigt,
Die heisre Klapper mit sich nahm?
 
Doch weiß, wer schwebt, daß er nicht falle.
Dem Geist wird nie der Geist gefällt,
Er schwebt. Und es rinnt keine Galle,
Die lang den Rausch der Welt vergällt.

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Berliner Winterabend

Häuser, trübe Tafeln, beschmiert mit brennender Schrift,
Die zuckend ruft und bettelnd beteuert.
Sterne sind in Wolken auf der Trift,
Der blaue Lein des Sommers ist längst eingescheuert.
 
Nackte Bäume wie Besen der Arbeitslosen.
Darüber streunt der freie Wind.
Ein Hauch von Süden macht das Auge blind:
Weit reicht der Dufthof der Mimosen.

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Stätte

Ein Straßenbaum, von Nacht durchdrungen,
Vom Winde hin und her geschwungen.
Und auf dem hohem, auf dem schlankern
Gezweige mag die Stelle sein,
Wo Krallen eines Vogels ankern.
Der segelt auf seinem Blut allein.
In seinem Herzen liegt die Fabel,
Doch lüpft er nicht zu sprechen den Schnabel:
Auf seiner Zunge felsenschwer
Schweigt einer andern alten Seele Wiederkehr.

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Abräumen

Ein Tisch glänzt silbern vom Familienschatze,
Im Stadtlärm inselstill. Die Gäste gingen.
Durchs schwarze Fensterloch am Uhrenplatze
Senkt Januar den Hermelin der Schwingen.
 
Die Löffel, wann sie wohl das Letzte nahmen?
Wenn Diener kämen, trügen sie Perücken?
Und ihre toten Herren, ihre Damen,
Sie brauchten sich nicht mehr beiseitzubücken.
 
Ists nur der Krieg der Kühle mit der Wärme?
Es knackt und rieselt hinter den Tapeten.
Ach, Jahre kehren heim wie Lemmingschwärme,
Nun ists, als hätten Stern und Mond sie nie betreten.
 
Geschicke springen, krause Krumen Kalkes,
Einst Geistes Raum, durch Spalte der Zerreißung,
Wie Böse aus der Haft des Katafalkes
Zum Höllenlande biblischer Verheißung.
 
Doch ihre Gier, und Stolz und Rausch und Liebe,
Legt sich als leichte Trübung auf die Teller,
Lind wenn ein Finger spielerisch drein schriebe,
Er machte nicht das Hingesunkne heller.
 
Und kämen jetzt, das Silber aufzubahren,
Die Diener endlich, und den Bann zu brechen,
Sie würden am Geschirr den Staub gewahren
Und weichend einer zu dem andern sprechen:
 
Laßt! Was auch Menschen tun, sie schütten
Nur Staub auf; Fingerhüte voll und Bütten;
Und sind sie werktreu, — Hügel, Wüstendünen.
Laßt! Einmal werden alle wieder grünen.

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Gotische Steinfigur

Betrübnis, der die Träne stockt,
Die nicht auf ihren Weg mehr achtet,
Um die es, wo sie niederhockt,
Zu Zeit und Unzeit reglos nachtet,
 
Bis sich im Schauern des Ermüdens
Ein Jenseits an die Iris legt:
Der Nord-Arktur, das Kreuz des Südens?
Wer blieb? Wer hat sich fortgeregt?

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