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Literatur


04.2



Gedichte
Oskar Loerke

Der Silberdistelwald
Berlin 1934
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Die Tafelrunde

 
Geleit
 
Wir waren Freund
Bei Wein und Fisch.
Am bunten Lärm
Stand unser Tisch.
 
Er war gedeckt
Im innern Licht.
Das war der Traum,
Es war die Sicht.
 
Gegrüßt, wer dort
Die Grußhand hob,
Am Rock den Schnee,
Der draußen stob.

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An die Freunde

Freunde, wenn wir einst als Schatten
Um den Aldebaran schweben,
Mag uns wohl der Stern der Reben
Einen Gastbesuch verstatten.
 
Mag dann dieser Stern des Leides
Sein Gesetz uns nochmals messen,
Oder schenke er uns beides:
Die Berauschung, das Vergessen!
 
Daß uns dann die Dinge grüßten
Schwebend, jenseits Qual und Qualme,
Wie der Milchsee über Wüsten
In der Nuß der Kokospalme!
 
Aber was wir heute treiben,
Solls nicht auch uns einst erwarten?
Ewig mag die Erde bleiben
Unsres Geistes Dichtergarten!
 
Suchten wir zum Heimatfeste
Alten Tisch und alte Rede,
Wäre nicht am Glück das Beste
Wieder unsrer Herzen Fehde?
 
Wenn wir ihre Kühnheit wagen,
Götter aus der Erde steigen
Und sich selig zu uns schlagen,
Wollen wirs uns nicht verschweigen:
 
Letzten Tores schwarzem Bogen
Müßten wir die Nacken biegen,
Lange Nacht, die wir durchzogen,
Müßte wieder vor uns liegen.
 
Dennoch wollen wir nicht zagen,
Mag vorher der Stern der Mühen
Noch einmal für uns erblühen.
Dennoch wollen wir es wagen!

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Einer war sehr arm

Einer war sehr arm. —
Solcher Fleisch ist innen runzlig wund,
Und werden sie gespeist,
So müssen sie erbrechen,
Und haben das Gesetz vom Geist
Doch andern vorzusprechen:
Ihr Schlaf liegt in ihm wie in Mörserschlund,
Wie Keulenstampfen trifft sie sein Alarm.

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Die Entbehrenden

Manche brannte das Entbehren.
Die Welt war ihren Sinnen vorgeschenkt.
Sie sahn: es hält sie nicht in Ehren,
Wer in Verheiß Verzicht schon mengt.
 
Sie wußten: der tut sich zu Leide,
Wer großes Leid mit kleinem Leid erträgt.
Sie wußten, daß die sanfte Trauerweide
Im bittern Meer nicht Wurzeln schlägt.

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Vergebliche Gegenwart

Ausgeschlossen aus den Geschichten der Schrift,
Nicht berührt als Nahrung und nicht als Gift.
 
Wo das Gedenken meiner ganz noch nicht schwand,
Eine Klammer beschämt es im dicken Band.
 
Während ihr noch in grünen Wettern lest,
Augen, seid ihr der Welt schon längst verwest.
 
Dennoch blickt um euch: ihm, den man vertrieb aus dem Licht,
Dem sie die Gaben aus den Händen schlugen, begegnet ihr nicht.

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Erzähle

Du sprichst den Stein; der Dom steht altgeweiht.
Du sprichst das Glas: ein Rosenfenster strahlt.
Du sprichst den Sinn: den Meistern zugereiht,
Hast du die Bildertafeln mitgemalt.
 
Und machst du draußen dann die Domstadt weit,
Erzählend ein Erreger, ein Befrieder,
So wissen wir voll schönem Dankesneid,
Es war für dich, wir finden es nicht wieder:
 
Wie Lindenzweige gleitende Agraffen
Aus Schatten lieblich ans Gemäuer heften,
Darüber weiß die Wasserspeier-Affen
Vom Wolkensegel blühn, dem ungerefften.
 
Und was wir zutun, ist das eine nur,
Daß mit dem Wolkensegel wunderbar
Schon dieser Lauscherstunde Sehnsucht fuhr,
Die damals noch in deiner Welt nicht war.

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Das Auge

Der Erste gingst du von uns fort.
Dein Auge blieb: es ist dein Wort.
 
Das Auge, glaubt, entwöhnt sich nicht
Von dieser Erde.
Ihr Schmuck in ihm verschönt sich nicht,
Daß sie ihm nicht entfremdet werde.
 
«Mein Wort stirbt auch», sagt deine Klarheit,
«Auch sein Tod ist nicht weit,
Nur seine Wahrheit
Ist die Unsterblichkeit.»
 
Dein Auge hat mein Ohr gelehrt —
Nun soll ich weiterlehren.
Dein Auge spricht, mein Ohr begehrt
Zu ihm zurückzukehren.

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