lifedays-seite

moment in time



Meine Lizenz
Creative Commons Lizenzvertrag 
Literatur


04.2



Gedichte
Oskar Loerke

Der Wald der Welt
Berlin 1936

__________


BEMALTE VASEN VON ATLANTIS


D
ie Erste: Atlantische Bergstadt
 

Seht den Felsen, dessen Flanke
Tausend Jahre schlägt die Schwinge
Uralt schwarzer Vogelvölker –
Einmal muß der Riese fliegen! –
 
Dessen Fuß ein Fieberwasser
Matt umringt, die Safranotter,
Und sie wellt und würgt im Schleichen
Keine Beute, nur ihr Leben.
 
Hoch im Blauen, wie aus Schaume,
Liegt die weiße warme Bergstadt.
Gärt der Schaum? Es ist, er müsse
Bald verschlemmen und vertrocknen.
 
Oben aber ist kein Ufer,
So verharrt er wie erschrocken,
Wenn die Tiefenfische leuchten,
Blinde, die das Zeitmeer trinken.

zurück




Die Zweite: Der Alte Lehrer

Komm her, was steigt aus diesem Buch?
— Durch Rosenöl ein Aasgeruch.
— Hört zu, ich hab es auch erfahren
Und viele noch, die vor uns waren.
 
Gefühl, Gesicht, ins Wort geprägt,
Woran ein Fremdes sich erwägt
Als Ahnen, das dich kurz bedrängt
Und angstvoll dir am Halse hängt:
 
Atlantis lebt, das sein bedarf,
Atlantis stirbt, das er verwarf —
Durch Rosenöl ein Aasgeruch
Nimmt ab, schwillt an in diesem Buch.

zurück




Die Dritte: Des Bannes Ende  

Die ihr den Geist auf eure Mühlen schleift
Und mahlen wollt und fangen wollt wie Grütze,
Der Sack bleibt leer, der töricht nach ihm greift –
Und leer blieb eure Hand und eure Mütze.
 
Ihr könnt von einem Toten, der noch lebt,
Nicht wollen, daß er seine Tage preise.
- Die Lippe, die so sprach, hat ausgebebt.
Von da bis nun war Schlamm und Nacht die Reise.
 
In Frieden kommt mein Fuß und ohne Ton.
Und was er trug, ist mit ihm wie verwichen.
Wer seufzt: hier will ich ruhn? Ich ruhe schon.
Wer träumt: ich habe längst mir selbst geglichen?
 
Es leuchten Birken. Gehn sie nicht vom Grab
Und seinem Schläfer, den sie doch nicht kannten?
Als stützten Menschen sich auf ihren Stab,
Zu fragen einen, den die Menschen bannten!
 
Dünkt sie für mich ihr Schatte noch zu schwer?
Sie schieben ihn den ganzen Tag beiseite
Und mindern ihn das Jahr lang immer mehr,
Daß sich zuletzt nur Nacktheit auf mich breite.
 
Die kann von einem Toten, der noch lebt,
Erhorchen, wie er seine Tage preise.
So oft das Mondschiff sich vor ihn erhebt,
Der Sonne folgend: es ist seine Reise.
 
zurück




Die Vierte: Die Botschaft  

Wir nahmen dir, was du erwerkt einst hast,
Wir spien auf deine Seele, wußten nicht,
Wie sie dem Unflat stand und ihn nicht ehrte,
Daß sie uns Raum nicht nahm, daß sie ihn mehrte –
 
Wir bitten dein bedecktes Auge um Verzicht
Auf deine Hand, enthüllt es doch, sei unser Gast.
Das dich so arm und uns nicht reich gemacht,
Es war einmal für dich auch Vaterland.
 
So bringt es mir in meinen Wüstensand!
Vergeßt die Toten nicht, die alten Frommen.
Mir wuchs der Weg zurück in jeder Nacht,
Ich habe nicht mehr Zeit, zu euch zu kommen.
 
zurück




Die Fünfte: Gleichlaufende Streifen 
 

Und was ist dies? Geweb für einen Sessel?
Ziehn Wolken Farbenfäden übers Licht?
Enthüllen Linien ohne Formenfessel
Im Schnitt durch ein Gebirge Schicht um Schicht?
 
Notwendigkeit hat kurz und lang geendet.
 
Was tuts? Und wo die Streifen einst sich schneiden,
Woher und wann – es ist Notwendigkeit.
Die schwarzen Rätselrater, deine beiden
Pupillen, macht dir keine Nacht mehr weit.
 
Notwendigkeit hat alle Not gewendet.

zurück




Die Sechste: Zuspruch 

Rote Felsen der Eremiten
Engen dich wie Rätsel ein.
Aber Rätsel, die sie nicht rieten,
Dünkt mich, machen die Menschen klein.
 
Oder es geschieht dem Vogel
Seele nach vergeblichem Wetzen,
Daß ihn, spät entdeckt am Kogel,
Klagewasser letzen:
 
«Zerscherbt ist meine Leben. Sie haben
Mein Vieh entführt beim Zaum.
Die Scherben kann ich begraben,
Wie aber den Traum?»
 
Du mußt ja nur, doch willst nicht entsagen.
Kehr zurück, dort ist kein Ziel.
Kaum hast du dein Spiel zerschlagen,
Schon ertönt ein Widerspiel.

zurück




oben

weiter
____________________________

   lifedays-seite - moment in time