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Literatur


04.2



Gedichte
Oskar Loerke

Der Wald der Welt
Berlin 1936

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BEIM LESEN DES HERDERS


Gesang über totem Volke

 
Selige Worte waren viel in meiner Seele
Wie im Buchenwald die Blätterfracht.
Worte standen unter ihrem Befehle –
Ich hatte ihre Jugend ewig gedacht
Unter ihrem Winke.
Ich bat nicht, Einer möge bestimmen,
Daß die sausende Welt sinke,
Aber nun ist sie niedergesunken,
Mit rotem Feuerglimmen
Ist sie vereinsamt erloschen:
Sie tastete vor und fand
- Ruhe. Aber kein Strand
Ächzte, vom Schlage zerdroschen:
Ins Leer ist sie niedergesunken.
 
Ruinen stehn auf meinen Soden;
Wärterzungen, geschwätzig, doch lahm,
Halten darinnen haus.
Sie hängen gleich Bäumen im Herbste,
  dem kahlen;
Ihrer Stämme gedrehte Spiralen
Wissen die Bahn des Windes, der häufig
  kam;
Schlagen sie nicht wieder aus,
So soll man sie roden.


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Sprache

Rede:
 
Am schwersten ist das Leichte zu
  begreifen.
Der Taube meint, das Dichterlichtreich sei
Doch eine orphisch dumpfe Wüstenei,
Wo die Verirrten mit Schakalen schweifn.
 
Gegenrede:
 
Vergiß nicht in den Geisterreichen,
Daß alle Rede, losgelöst vom Schrei,
Nur Rückkehrgnade und nur Zeichen
Für Wissende und Wißbereite sei.


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Flügelwesen

Du prüfst mein Wort und fragst, warum es wund
  sei.
Mein Lächeln fragt zurück: ist es denn wund?
Du nickst. Ich sage, wie der Herbst so bunt sei,
Und sage, grundlos heißt doch ohne Grund.
 
Es flügelt, mit dem Blick nicht zu ergründen,
Aus mir. Wes Wesens zwischen Mann und Frau?
Wie Fledermaus und Albatros die Sünden?
Gelüst wie Sittich, Vogel Rock und Pfau?
 
Beim grauen Dämmerglühn im Wolkenschleichen
Verhuschts im Walde, klebend naß wie Teer.
Die mondne Silberwiege zwischen Eichen
Steht still, ein Märchen, längst von Kindheit leer.
 
Welch Unbekannter nun umkrallt die Schlange
Des Zweiges vogelgleich und sieht mich an?
Ist er ein Muttersohn, so bin ich bange,
Und ist er meiner Seele Hauch, auch dann.
 
So häkelt Dürrgeäst, worauf ein Rabe
Die schweren Flügel schüttelt, reckt und spreizt,
Doch wieder senkt und wie in teurer Habe.
Mit seinem Abflug aus der Öde geizt.
 
Er bleibt zurück, und wir sind fortgeschritten.
Ein Torenreim, dem ich verfallen bin!
Und viele Flügelpaare, sah ich,  glitten
Weit hinterm Sinn in andern Hintersinn.
 
Auf Vogelinseln sind sie nun verschlagen
Voll morgengrünen, sausend roten Wehns.
Sie schrein, als ob sich Taube Böses sagen,
Die Qual der Fremde und des Nichtverstehns.
 
Du atmest nicht, von meinem Wort betroffen,
Und hast mit mir auf ihre Klagen acht.
Ach, dein geschloßnes Auge ist zu offen,
Sie sind schon abendstill, und nun ist Nacht.

 
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Trinkspruch

Immer stand ein Lichtberg auf Erden gegründet,
Unverdrossen hat ihn die Sonne täglich entzündet.
Unverdrossen nahm ihn zu sich die große Nacht,
Immer tat sie ihn in die ewige Acht.

Wie gut: im Glas den Sonnenberg von einst zu heben,
Getrost, nicht nur in Einer Zeit zu leben.

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