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Literatur


04.2


Gedichte
Joseph Roth

aus: Werke 1 - Anhang 2






Welträtsel



Sterne gibt’s, die ewig scheinen wollten
Und doch verglühn . . .
Wolken gibt’s, die eben weinen sollten
Und weiterziehn . . .
Steine gibt’s, die viel zu fragen wüßten,
Doch keiner spricht . . .
Menschen gibt’s, die sich was sagen müßten,
Und sagen’s nicht . . .
 
Österreichs Illustrierte Zeitung
17.10.1925

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Herbst

 

Spürst du des Laubes nassen Moderduft?
Sieh her: Die Welt ist gram und grau und alt . . .
Und durch die dämmerdumpfe Nebelluft
Erklingt ein Schrei. –
Erklingt. – Erstirbt. – Verhallt. –
 
Das ist der Tod. –
Er gilbt in Rohr und Ried,
Er welkt im Blatt und spielt im Sonnenschein,
Er jauchzt im Wind und weint in jedem Lied:
Er lebt im Sterben – und er stirbt im Sein, -
 
Österreichs Illustrierte Zeitung
24.10.1915

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Marschkompanie
 
 

So war es noch nie,
Wie heute in jedem die Sehnsucht schrie,
Wie heute in jedem das Leben sang
Durch Trommelwirbel und Hörnerklang . . .
Sie trugen auf Kappen Blumen am Band
Und jeder führte sein Weib an der Hand
Und sie schrien und johlten: Ade! Ade! . . .
Doch lauter schluchzte in jedem das Weh . . .
Und sie stampften, daß ihnen die Ferse sprang.
 
Doch die Sehnsucht jauchzte im Hörnerklang
Und in jedem, trotz Johlen und Tanz und Strauß,
Rief es: Mein Haus! . . .
 
So war es noch nie,
Wie heute in jedem das Heimweh schrie . . .
 
Sie standen scheu an die Wand gedrückt,
Mutter und Kind, Mutter und Kind,
Sie haben ihm schluchzend nachgeblickt,
Als der Trommler wirbelte Wind um Wind . . .
 
So war es noch nie,
Wie heut in der Trommel die Sehnsucht schrie,
Wie heut in der Trommel das Leben sang,
Daß das Kalbfell sprang . . .
 
Der Trommler war ein bleicher Mann,
Sie sahen ihn alle erschrocken an,
Und plötzlich wußte die ganze Schar,
Wer der bleiche, schweigsame Trommler war,
Der wirbelte heute Wind um Wind
Und dazwischen schluchzte grell auf ein Kind
 
Und dann war die ganze Halle leer . . .
Sie weinten nicht mehr, sie johlten nicht mehr . . .
Nur der Trommler wirbelte Wind um Wind
Und die Trommel heulte wie Weib und Kind . . .
 
So war es noch nie,
Wie heut in der Trommel das Sterben schrie . . .
 
Arbeiter-Zeitung
24.12.1916

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Lied der Glocken


 
. . . Seitdem wir die Klänge des Hasses geboren,
sind unsere Seelen krank:
Wir haben das Lied der Liebe verloren
und Suchen und Sehnen ist unser Gang.
 
Uns ist unser silbernes Lachen verschwunden,
seitdem unser Schoß den Sturmlauf gebar-:
Wir wandern und wandern, bis wir es gefunden,
Stunden um Stunden und Jahr um Jahr . . .
 
Arbeiter-Zeitung
3.1.1917

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Der sterbende Gaul


 
Vor Tag im feuchten Graben
Liegt ein verendendes Pferd.
Die Kanoniere haben
Es von der Straße gezerrt . . .
 
Die Batterie trabt vorüber,
Die Kanonen, Stück für Stück –
Den sterbenden Kameraden
Lassen die Gäule zurück.
 
Der wiehert noch einmal so traurig
Und hebt den Kopf so bang.
Der Lärm der Räder und Hufe
Den Abschiedsgruß verschlang . . .
 
Sehnsüchtig bläht er die Nüstern,
Dann sinkt er zurück und ist tot.
In den verglasten Augen
Bricht sich das Morgenrot.
 
Illustrierte Kriegszeitung
10.1.1917


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Christus



O Herr! O, damals litt ich nicht –
ich jauchzte über meine Wunden
und durch den Flor der dunklen Stunden
ging ich der Liebe Weg zum Licht –
Doch jetzt durchwühlt mich diese Qual
der Brüder, die einander hassen:
Ich kann von meinem Kreuz nicht lassen
und sterbe täglich tausendmal.
 
O Herr; diese Tage sind rot
weil sie in heißem Blute schwammen
und alle Nächte sind nur Flammen
von deren Brand der Himmel loht . . .
ich berge still mein Angesicht
und harre auf mein Auferstehen:
Denn – Herr – nun will ich wieder gehen
der Weltenliebe Weg zum Licht.
 
Prager Tagblatt
25.2.1917

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Wo?



Ich war einmal ein kleines Kind,
Das angstgequält zur Mutter floh,
Wenn durch den Schornstein fuhr der Wind - - -
Ich weiß nicht, wo . . .
 
Ich hab’ einmal gehört ein Lied,
Das klang so zart und müde so,
Als ich von meiner Heimat schied, - - -
Ich weiß nicht, wo . . .
 
Es hat einmal mein Herz gelebt . . .
Mohnblumen brannten lichterloh . . .
Ich hab’ einmal ein Glück erlebt. . .
Ich weiß nicht, wo . . .
 
Österreichs Illustrierte Zeitung
6.2.1916

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