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04.2
Gedichte
Joseph
Roth
aus:
Werke 2 - Politische Lyrik
Die
Invaliden Grüßen den General
Zehn
Jahr' sind um, zehn Jahr' sind um,
es
faulen unsre Knochen,
das
Auge blind, das Rückgrat krumm
und
Bauch und Brust zerstochen;
es
hat die Milz ein großes Loch,
es
brennt in Herz und Niere --
Noch
leben wir! - Wir leben noch!
Und
sind nicht Mensch noch Tiere - -
Wer
aber blieb von allen heil
trotz
Bombenwurf und Donnerkeil?
Wer
aber kam gesund nach Haus
zu
Weib, Pension und warmem Flaus?
Es
war der Herr, der uns befahl: - -
Herr
General! - Herr General! –
Wir
gratulieren, General,
Du
hast den Krieg gewonnen!
Durch
Ehrenfeld und Heldental
ist
unser Blut geronnen --
es
rötete das Blut den Stahl -
Erinnerst
du dich, General?!
Es
kommandierten schauerlich
die
Herren Offiziere,
wir
krochen durch den Dreck für dich,
in
uns dein Schrei: krepiere!
Wer
blieb denn von uns allen heil,
wer
zahlte keine Spesen,
wen
traf kein Stich, wen traf kein Pfeil,
wer
brauchte nicht Prothesen?
Es
war der Herr, der uns befahl: - -
der
General! - der General! –
Heut'
hinken wir, heut' kriechen wir,
es
kracht in den Scharnieren,
wir
können dir, wir können dir
nicht
stramm mehr salutieren - -
Wir
bieten Streichholzschachteln feil,
wie
du uns feilgeboten,
wir
wimmern und wir stöhnen: Heil
dem
tiefen Tod der Toten!
Erinnerst
du dich, General?!
Schläfst
du auch gut, und melden
sich
dir im Traum nicht manches Mal
noch
deine toten Helden?
Verwüstet
ist ihr Angesicht,
sie
suchen ihre Knochen - -
Der
findet seine Nase nicht
und
kommt zu dir gekrochen
und
hockt auf deines Bettes Rand
und
fragt: Wer kam ins Vaterland
zurück
und blieb an Gliedern heil,
trotz
Bombenwurf und Donnerkeil?
Wen
traf kein Stich, wen traf kein Pfeil?
War
es der Herr, der uns befahl?!
Bist
du gesund, Herr General!?
Josephus
Lachen
links, 1.8. 1924
zurück
Justitia
Gerecht
ist ungerecht und umgekehrt:
Es
ist nicht alles eins, ob ein Prolete
erschossen
ward und ein Prophete
ans
Kreuz geschlagen - oder ob versehrt
die
Fensterscheibe eines Fabrikanten
vom
Steinwurf eines Unbekannten:
denn
oft ist eine Scheibe mehr als ein Leben wert –
es
hängt nur davon ab, wem es,wem sie gehört.
Lachen
links, 15.8.1924
zurück
Lied vom Spengler
Die
Wahrheit
und das Abendland,
sie
gehen beide
unter;
doch
schreibt
der Spengler vorderhand
an
ihrem Bette
Band um Band
und
macht das
Sterben munter . . .
Der
Oswald
Spengler ist Prophet
und
kann den
Teig der Zukunft kneten -
es
machte ihn
die Fakultät
für
Kalamität,
für
Autorität
zum
Untergangspropheten . . .
ER
ist sein
bestes Argument,
er
braucht
nicht schwärzen noch zu färben
als
mit dem
eignen Pigment -
Denn
nur, weil
ihn Europa kennt,
muß
es ja
nebbich sterben . . .
Josephus
Lachen
links,
29. 8. 1924
zurück
Ungeziefer
Es ist die
deutsche Republik
ein
neues Haus
mit alten Betten,
man
kann kein deutsche Möbelstück
vor
Ungeziefer retten:
Hier
hüpft ein Prinz, ein junger Floh,
dort
kriecht die Laus, ein alter König,
es
juckt am Kopf, und anderswo
juckt
es uns auch nicht wenig . . .
es
nagen in der Dunkelheit,
in
eines Rechtsanwaltes Schatten,
an
unserm Speck, an unserm Kleid
die
Hohenzollern-Ratten.
Sie
hüpfen auch bei Tageslicht
auf
Tischen und auf Bänken,
denn
jedes Deutschen erste Pflicht
ist's:
Ratten zu beschenken.
Der
Kronprinz huscht, der Mäuserich,
zum
Jubel aller Mäuse,
in
Potsdam auf dem noblen Strich
der
Ordensmummelgreise ...
Es
stinkt enorm monumental
aus
unsern Strohmatratzen,
es
kratzt feudal ein General
mit
seinen blut'gen Pratzen,
er
kratzt uns wund, er kratzt uns weh
zu
unserem Entzücken
und
kitzelt mit dem Portepee
uns
unsern krummen Rücken - -
Indessen
dringt ein Mordsgestank
aus
alten deutschen Kronen,
wir
singen Heil, wir singen Dank
den
stinkenden Regionen,
wir
sind so deutsch, wir sind ganz hin,
wenn
wir mal einen Floh verlieren - -
Deutsch
sein heißt: ohne Zacherlin
krepieren!
Josephus
Lachen
links, 10. 10.
1924
zurück
Das neue Lesebuch
Wirf
sie ab, die Pietät!
Rostig
sind die Ideale!
Was
im Lesebuche steht,
ist
nur eine hohle Schale!
Reiß
dir jeden „deutschen Spruch“
aus
der Seele, aus dem Magen:
Deutsches
Volk, es ist dein Fluch,
Pietät
herumzutragen . . .
Volk,
verliere den Respekt
Vor
den leeren Monumenten,
steh
nicht so verdammt erschreckt
vor
„historischen Momenten“!
Hinter
der Geschichte Glanz
birgt
sich Trödel, fahler, greiser - -
Reiß
dich los vom Rattenschwanz
deiner
alten deutschen Kaiser! . . .
Pfeife
auf die Tradition
der
verkalkten Professoren!
Lümmle
dich in jeden Thron!
Und
laß keinen ungeschoren,
der
dir was von Achtung spricht - -
Niemals
hat man dich geachtet,
jeder
königliche Wicht
saß
im Glanz - - du warst umnachtet!
Deine
Dichter sangen dir
fromme
Sprüche, zahme Lieder,
und
sie schrieben aufs Papier,
daß
du sittig bist und bieder! -
Deutsches
Volk, du warst zu lang
Primus
in Europas Klasse - -
Stimm
ihn an, den Spottgesang
auf
des Hohnes frechstem Basse!
Lies
mit heit'rer Ironie
jeden
deutschen Leitartikel,
jede
fromme Melodie
störe
bei dem frömmsten Stückel!
Hab
nicht so enorme Angst
vor
moralischer Pathetik!
Wenn
du vor dem Vollbart bangst,
sagt
er: dieses heiße „Ethik“ . . .
Volk,
wie bist du schwach und stark!
Eine
Predigt kann dich lähmen!
Brauchst
dich vor dem alten Quark
keineswegs
zu schämen!
Wie
man sich vor Herren schützt,
mußt
du einmal lernen,
und
wie man das Beste nützt,
was
ein braves Volk besitzt -
es
sind die Laternen! - -
Josephus
Lachen
links, 28. H. 1924
zurück
Die Internationale
für
Kapital, Kaplan und General,
zu
singen nach der bekannten Melodie
Wir
sind die Internationale
aus
Gold und Blut und Ekrasit:
Wir
leihn auf Zinsen Ideale
und
wuchern noch mit dem Profit;
uns
dienen tausend Generale
vom
Appenin bis an den Belt:
Die
Internationale
regiert
die ganze Welt! . . .
Wir
putzen täglich die Symbole
zu
neuem Glanz und altem Trug:
Es
schürft der Sklave unsre Kohle
und
wimmert hinter unserm Pflug,
den
Blick gesenkt, die Ideale
der
sauren Arbeit beigesellt:
Die
Internationale
regiert
die ganze Welt! . . .
Wir
sind die dicken Totengräber,
wir
mästen uns an Blut und Schorf:
Es
leben unsre Spesengeber,
der
Horthy und der Ludendorff.
Wie
Felsen stehn die Generale,
an
denen Volk um Volk zerschellt:
Die
Internationale
begräbt
die ganze Welt! . . .
Einst
kommt die große Nacht der Nächte,
schon
bricht sie an, die Dunkelheit.
Da
stinkt das Gas! und unsre Knechte
marschieren
in die große Zeit . . .
Horch,
Horch: Signale der Schakale,
sie
wittern eurer Ehre Feld:
Die
Internationale
regiert
die wüste Welt! . . .
Josephus
Lachen
links, 17. 10. 1924
zurück
Bürgerliche Kultur
Rechts
ist ein Korso, links ein Strich
und
in der Mitte Reitalleen -
so
ist man immer unter sich
und
kann die letzten Moden sehen.
Man
trifft sich im Cafe intim
und
wiederkäut die Operette -
Nach
Mitternacht geht sie zu ihm
und
er zu ihr ins Eh'bruchbette.
Rechts
ist ein Tempel, links ein Kreuz,
rechts
beten Juden, links die Christen,
man
trifft sich nachher beiderseits,
um
alte Götter auszumisten. -
Denn
in der goldnen Mitte ragt
der
Goldgott über Kreuz und Sternen. -
Das
Konto ruft - der Vater sagt:
Ein
Sohn muß das Verdienen lernen! ...
Rechts
ein Bordell und links die Bank,
ein
Monument steht in der Mitte -
Rechts
ein Parfüm, links ein Gestank,
rechts
Syphilis und links die Sitte -
Dazwischen
geht ein Kolporteur
mit
kosmischem Lokal-Anzeiger:
Rechts
Politik, links ein Malheur
mit
Nacktballett und Shimmygeiger . . .
Rechts
ein Lokal, links ein Lokal -
Lokal-Anzeiger
in der Mitte . . .
Rechts
Kapital, links General,
im
Auto und mit Stechmarschtritte - -
Und
seitwärts singt ein Invalid:
„Lieb
Vaterland, hast gute Beine!
Du
legst mit gütigem Gemüt
mich
mütterlich auf Pflastersteine!“
Rechts
Tennisplatz, links die Fabrik -
Dazwischen
gähnt ein tiefer Graben -
Es
führt kein Weg vom Leid zum Glück -
und
Tod und Sport sind Schicksalsgaben:
Es
hüpft ein Ball- durch Mauern dringt
ein
Radgestöhn, das sich verirrte - -
Ein
Kronprinz tummelt sich beschwingt
vom
Sport weg in die Illustrierte . . .
Hier
ist Kultur! - Die Diele blinkt
in
amourösem Ampelscheine -
Wer
Geld hat, lebt! Wer Geld hat, trinkt!
Wer
keins hat, hat die Wäscheleine! . . .
Die
Polizeipatrouille späht,
ob
sie auch richtig alle hängen - -
Es
hat sich niemals ein Prolet
ins
Leben listig einzudrängen.
Hier
ist Kultur! - Wie wär' es schad,
dies
Wort des Bürgers zu vernichten!
Die
Gleichheit macht die Welt so fad!
Gott
will den Unterschied der Schichten!
Die
Welt ist eine Eisenbahn
mit
ersten, zweiten, dritten Klassen,
Verboten
ist's, den Untertan
auf
einen weichen Sitz zu lassen . . .
Lachen
links, 12. 12. 1924
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